Die Östlichen Graukängurus leben in der Region rund um Canberra ab sofort sehr gefährlich.

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In Canberra kommt der Tod mit einem sanften Ton. Ein gedämpftes "Pop" ist das Letzte, was in diesen Wochen tausende Kängurus hören werden. In Parks und öffentlichen Gartenanlagen lauern nachts speziell ausgebildete Schützen den Tieren auf – ein mit einem Schalldämpfer ausgerüstetes Gewehr im Anschlag. Die Strahlen von Hochleistungsscheinwerfern tasten die Landschaft ab. Lange müssen die Jäger nicht warten. In der australischen Hauptstadt leben zehntausende der ikonischen Tiere, die das Wappen der Nation zieren.

Zu Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, immer häufiger aber auch mitten am Tag, grasen Kängurus zu Hunderten auf Kinderspielplätzen und Golfanlagen. Immer wieder kommt es zu Unfällen. Canberra ist wohl die einzige Hauptstadt der Welt, in der Automobilisten sogar beim Umfahren des Parlamentsgebäudes die Gefahr droht, mit einem der Tiere, die bis zu zwei Meter groß werden können, zusammenzustoßen.

"Bestandskontrolle" nennt die Nationalparkbehörde die Aktion. Etwas über 4.000 endemisch vorkommende Östliche Graukängurus sollen bis Mitte Juli im Australian Capital Territory (ACT) abgeschossen werden, in dem die Hauptstadt liegt. 14 öffentliche Anlagen haben die Schützen im Fadenkreuz. Die Parks werden rechtzeitig geräumt und für das Publikum geschlossen. Auch Journalisten sind nicht zugelassen. Sicherheitsleute bewachen den Zugang, während die Jäger ihre Arbeit verrichten. 2018 hatte die Behörde bereits über 3.000 der Beuteltiere schießen lassen.

"Humanste Methode"

"Unsere Ökologen nutzen die besten wissenschaftlichen Daten, um zu entscheiden, wie viele Tiere gekeult werden müssen", erklärt Daniel Iglesias, Direktor der Parkbehörde. "Niemand tötet gerne Kängurus – doch es ist nun mal die momentan humanste Methode der Bestandskontrolle." Für den Chefbeamten ist klar: Die Keulung ist ein Muss. Nicht nur drohten einheimische Pflanzen als Folge von Übernutzung auszusterben. Den Tieren selbst drohe der Hungertod. Da sich die Kängurus derart rapide vermehren, reichen selbst die saftigen Wiesen der Golfplätze nicht mehr aus, um alle zu ernähren.

Genau darin liegt die Ursache für die Bevölkerungsexplosion, glauben Wissenschafter: Kängurus regulieren ihre Fruchtbarkeit auch nach der Verfügbarkeit von Nahrung und Wasser. In einem Land, in dem sich Dürre und Flut abwechseln, können Kängurus das Wachstum ihrer Jungen im Beutel so lange drosseln, bis wieder genügend Nahrung verfügbar ist. Auf diese Weise wird die Wahrscheinlichkeit ihres Überlebens erhöht.

Diese natürliche Form von Bestandskontrolle ist mit der Besiedlung des Kontinents durch Europäer vor über 200 Jahren vielerorts gestört worden. Mit der Landwirtschaft kam eine oftmals unlimitierte Verfügbarkeit von Wasser und Gras – das Signal für Kängurus, sich fortzupflanzen. So rasch und häufig, wie es geht.

Widerstand angekündigt

Gegner der Keulung sehen in der Argumentation der Behörde einen Widerspruch. "Auf der einen Seite sagt die Regierung, es gebe so viele Kängurus, weil es so viel Nahrung gebe. Auf der anderen behauptet sie, die Tiere töten zu müssen, um zu verhindern, dass sie verhungern", klagt Carolyn Drew von der Tierschutzgruppe Animal Liberation Act. Die Aktivistin ist eine von vielen, die Widerstand gegen die Abschussaktion angedroht haben. So könnten sie versuchen, während der Keulung in die geschlossenen Parkanlagen einzudringen.

Viele Tierschützer würden bevorzugen, die Kängurus gegen Schwangerschaft zu impfen, statt sie zu töten. Versuche, den Tieren aus der Distanz eine fruchtbarkeitshemmende Substanz zu injizieren, waren zu 92 Prozent erfolgreich. Allerdings ist die Methode um einiges aufwendiger und teurer als eine Keulung. (Urs Wälterlin aus Canberra, 25.6.2019)