Antidepressiva brauchen einige Zeit, bis sie die gewünschte Wirkung entfalten. Anfangs können sie das Suizidrisiko erhöhen, wie eine Metaanalyse gezeigt hat.

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Zürich/Salzburg – Antidepressiva brauchen einige Zeit, bis sie die gewünschte Wirkung entfalten. Zu Beginn der Behandlung können sie eventuell ein Suizidrisiko erhöhen. Das ist das Ergebnis einer Meta-Analyse bereits vorhandener Studien durch Forscher von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und der Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in Salzburg.

Gemäß der von ihnen durchgeführten Metastudie steigt das Suizidrisiko mit Antidepressiva um den Faktor 2,5 im Vergleich mit einer Behandlung mit Scheinmedikamenten (Placebo). Eine Metaanalyse umfasst keine neuen Daten. Statistisch neu analysiert werden dabei bereits vorhandene Informationen.

Für ihre Metastudie werteten die Wissenschafter Daten aus Antidepressiva-Studien aus, die zwischen 1987 und 2013 von der US-Arzneimittelbehörde FDA für die Marktzulassung begutachtet wurden. Dabei zeigte sich, dass über alle Studien hinweg 0,8 Prozent der Patienten, die ein Antidepressivum erhielten, Suizid oder einen Suizidversuch begingen. In der Kontrollgruppe mit Placebo waren es 0,3 Prozent.

Jahrelanger Streit

Der Streit um die Wirksamkeit von Antidepressiva wird seit vielen Jahren geführt. Es gibt zahlreiche Studien, die für die Antidepressiva sprechen, aber auch solche, die in den vergangenen Jahren negative Effekte belegen wollten.

Da die Patienten für die klinischen Studien zufällig der Antidepressiva- oder die Placebo-Gruppe zugeteilt wurden und weder sie noch die behandelnden Ärzte wussten, zu welcher Gruppe sie gehörten, könne man andere Faktoren als Erklärung (für die erhöhte Suizidgefährdung; Anm.) ausschließen, heißt es vonseiten der Schweizer Hochschule.

Den Berechnungen der Wissenschafter zufolge dürfte in den klinischen Studien einer von 202 mit Antidepressiva behandelten Patienten einen Suizidversuch begangen haben, zu dem es ohne das Medikament vermutlich nicht gekommen wäre. "Unsere Analyse zeigt nicht, ob das Risiko in der Allgemeinbevölkerung gleich groß ist wie in den untersuchten klinischen Studien", sagt Michael Hengartner, einer der Autoren der Studien. "Wir können es aber nicht ausschließen."

Tendenz zur Überverschreibung

Die Wissenschafter rufen daher zu mehr Umsicht bei Medizinern und besserer Aufklärung der Patientinnen und Patienten über die Risiken auf. "Gerade zu Beginn der Behandlung, bei abrupten Dosisänderungen und beim Absetzen muss man mit einem erhöhten Suizidrisiko rechnen", erklärt Hengartner.

"In der absoluten Mehrheit werden Antidepressiva vom Hausarzt verschrieben", so der Forscher. Da sehe er eine Tendenz zur Überverschreibung. Oft seien nicht einmal die Diagnosekriterien für eine Depression oder eine Angststörung erfüllt, sondern die Patientin oder der Patient leidet an unspezifischen Symptomen wie Niedergeschlagenheit, Sorgen oder Schlafproblemen. "Diese Symptome werden pathologisiert, obwohl es zum Menschsein dazugehört, nicht immer glücklich zu sein."

Bei schweren Fällen von Depression stünde die Behandlung mit Medikamenten außer Frage, aber diese Patienten würden gerade in der Phase, bis sie auf die Medikamente eingestellt worden seien, sehr eng überwacht. Diese engmaschige Kontrolle könnte bei einer Behandlung von leichten Depressionen beim Hausarzt fehlen. Mediziner und Patienten sollten sich der Risiken bewusst sein und auch Alternativen wie Psychotherapie oder Sport in Erwägung ziehen, die ebenfalls helfen können, über eine schwierige Phase hinweg zu kommen, wie die Studienautoren betonen. (APA, sda, 25.6.2019)