Die MA 48 testet derzeit vier Abbiegesysteme. Mit keinem ist sie vollends zufrieden. Spiegel sind nicht genug, sagen Experten.

Foto: APA/Neubauer

Dass ab 2022 neue Lkws einen elektronischen Abbiegeassistenten haben müssen, begrüßen Verkehrsexperten. Allerdings sei das nicht genug, denn es dauere bis zu zehn Jahre, bis genügend entsprechend ausgerüstete Fahrzeuge unterwegs seien.

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Wien – Sie zeichnen zwar nur für einen kleinen Anteil an Unfällen verantwortlich, doch wenn es zu Abbiegeunfällen mit Lkws kommt, dann enden diese meistens nicht glimpflich. Das hat nicht zuletzt der Tod eines neunjährigen Buben in Wien gezeigt. Er wurde Anfang des Jahres auf dem Schulweg von einem rechts abbiegenden Lkw erfasst und getötet. Laut dem Kuratorium für Verkehrssicherheit (KFV) sterben durchschnittlich drei Menschen pro Jahr im sogenannten toten Winkel.

Langer Weg zum Abbiegeassistenten

Um solche Todesfälle zu vermeiden, gibt es zwei Möglichkeiten, erläuterte am Dienstag Siegfried Brockmann von der deutschen Unfallforschung der Versicherer bei einem Besuch in Wien. Entweder müssten die Ampelanlagen so geschaltet werden, dass Radfahrer beziehungsweise Fußgänger und abbiegende Fahrzeuge getrennte Grünphasen haben – oder die Lkws werden mit elektronischen Abbiegeassistenten ausgestattet.

Letztere Maßnahme wurde nach dem Tod des Neunjährigen in Österreich breit diskutiert und gefordert: Bis Mitte Juni unterzeichneten knapp 75.000 Personen einen Onlinepetition für die verpflichtende technologische Aufrüstung. Beim Lkw-Sicherheitsgipfel im Februar wurde dennoch kein solcher Abbiegeassistent beschlossen, der damalige Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) verwies auf die Entscheidung der EU. Anfang April erfolgte dort dann der Beschluss: Ab 2022 sind Abbiegeassistenten für neu zugelassene Fahrzeuge Pflicht.

Experten plädieren für mehr Geld

Gut, aber laut Experten nicht ausreichend: Laut KFV und Unfallforscher Brockmann würde es nämlich etwa zehn Jahre dauern, bis eine Marktsättigung erreicht sei. Er plädiert deswegen stark für Förderungen – auch bei Nachrüstungen. Diese seien zwar nicht so wirksam wie neu ausgestattete Assistenten, aber "wesentlich besser als nix. Lieber 60 Prozent morgen als 100 Prozent nie."

In Deutschland wurde bereits Geld für entsprechende Förderungen lockergemacht – zehn Millionen Euro seien es im vergangenen Jahr gewesen, führt Brockmann aus.

Zugeständnisse aus dem Verkehrsministerium

Zu der Forderung des KFV gab es aus dem Verkehrsministerium am Dienstag gleich gute Nachrichten: Die Förderungen zur freiwilligen Nachrüstung mit Abbiegeassistenten bei Lkws sollen zu Schulbeginn starten. Demnach sollen bis zu 25 Prozent oder maximal 900 Euro der Kosten des Umbaus übernommen werden. Finanziert werden soll das Ganze aus Rücklagen des Verkehrssicherheitsfonds. Diese müssen aber vom Finanzministerium noch freigegeben werden – das solle bis zum Herbst passieren.

Wie die neuen Abbiegeassistenten technisch funktionieren, erläuterte Carsten Barth, der bei Mercedes-Benz als Entwicklungsingenieur maßgeblich an der Etablierung der neuen Technologien beteiligt ist. "Ganz gleich ob stehendes, fahrendes Fahrzeug oder Mensch – die Fahrzeuge müssen den Fahrer unterstützen, wenn ein Unfall droht." Eine besondere Herausforderung ergebe sich immer durch Bewegung. "Die Systeme müssen und können zwischen Ampel, Hydrant und Mensch unterscheiden." Für Unfälle und Probleme hätten in der Vergangenheit aber auch banale Dinge gesorgt, etwa falsch eingestellte Spiegel. "Bei einem elektronischen System kann das nicht passieren", sagte Barth.

Fehlende Infrastruktur für immer mehr Radler

Unfallforscher Brockmann spricht auch die Zunahme an Verkehrsteilnehmern an. "Wir fordern und fördern derzeit mehr Radverkehr. Das ist auch richtig so. Aber die Kommunen kommen mit der Infrastruktur, die dafür notwendig wäre, nicht nach." Und beim Thema E-Scooter, "da schlägt der Unfallforscher die Hände über dem Kopf zusammen", sagte der Deutsche, denn die Gefährte seien klein und schnell. Wichtig sei, dass sie nicht auf Gehwegen unterwegs seien. "Das muss nicht nur gesetzlich so vorgegeben sein, sondern auch wirklich passieren. Das erfordert wiederum eine enorme Kontrolle durch die Behörden."

In einer Entwicklung sei Deutschland kein Vorbild: Teil der neuen Straßenverkehrsordnung ist, dass Lkws nicht mehr mit mehr als elf km/h abbiegen sollen. "Das ist sinnlos. Wir wissen, dass die Geschwindigkeit der abbiegenden Fahrzeuge niedrig ist. Viel wichtiger ist die Geschwindigkeit der Radfahrer oder anderer Verkehrsteilnehmer." (Lara Hagen, 25.6.2019)