Feenzauber gegen eine Welt, in der auch die Libido keine Befreiung bringt: Marie Rathscheck als puppenhafte Titelheldin von Susanne Heinrichs "Das melancholische Mädchen".

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Das melancholische Mädchen ist auf der Suche nach einem Schlafplatz. Sie geht mit jedem Mann mit, der ihr ein Bett anbietet, im Tausch für Nacktheit, ein formelhaftes Gespräch oder auch nur reine Gegenwart. Sie ist eine Stadtnomadin, eingepackt in einen regressiven Plüschpelzmantel, unter dem ihre nackten Beine hervorschauen und die wandertauglichen Stiefelchen. Mit ihnen spaziert sie durch die 15 lose verbundenen Kapitel dieser absurden Theoriekomödie. Sie tanzt in Musicaleinlagen, steigt zu Prinzen in Badewannen oder verwandelt sich in Popsternchen und Animationsfiguren.

Das melancholische Mädchen hat viel zu tun: Sie führt einen "Krieg gegen sich selbst". Ihr Kampf hat bei den Vorstellungen begonnen, die man als Frau oder als Mann mit vielleicht gar nicht so individuellem Leben erfüllt. Aber nun, sagt sie, "fange ich an, meine Depression als Politikum zu betrachten. Es ist kein persönliches Versagen, sondern ein strukturelles Problem."

Edition Salzgeber

Damit legt man sich nicht mehr zwingend auf die Couch. Man kann auch erst einmal, wie Susanne Heinrich, die Regisseurin von Das melancholische Mädchen, in die Bibliothek gehen, um eine Idee zu bekommen, wie der neoliberale Spätkapitalismus tickt. Man kann lesen: feministische Theorie, Eva Illouz, Michel Foucault, all das postmoderne, poststrukturalistische, kulturwissenschaftliche Theoriematerial, das nun in diesen Film geflossen ist. Das melancholische Mädchen, das Marie Rathscheck mit viel puppenhafter Grandezza und verfremdender Singsangstimme gibt, ist vor allem ein Prototyp aus dem Selbsterforschungslabor, eine durch und durch künstliche Vertreterin von Ideen.

Big Band und Godard

Die Künstlichkeit ist in Heinrichs Film ausdrücklich gewollt, auf jeder Ebene hat sie dafür eine andere Lösung gefunden. Die Sets sind rosa und hellblau gestaltet, bestückt mit Dekors wie aus einem Warenhausschaufenster. Den zerstreuten Sound liefert aus dem Off eine Big Band, die Sprachmelodien könnten aus einem Straub-und-Huillet-Film stammen, der propagandistische Elan aus einem 1968er-Film von Godard.

Heinrich, Jahrgang 1985, war medienerfahren als junge Erzählerin und Romanautorin mit vier Büchern, bevor sie ihr Filmstudium an der Berliner DFFB begann. Parallel dazu entdeckte sie in einem Akt der Selbstpolitisierung Philosophie und Gender-Theorie für sich, und damit auch den experimentierlustigen Geist, der diese Filmschule in den 1970er Jahren noch beseelte. Das melancholische Mädchen ist bevölkert von Figuren, die wie Automaten die Kommunikationsprogramme unserer Gegenwart abarbeiten, Störungen inklusive.

Männliche Liebhaber als Pin-ups

Das melancholische Mädchen macht die männlichen Liebhaber zu Pin-ups, spielt detailreich mit dem Konzept des "Male Gaze" (Laura Mulvey), mit dem Hollywood in Filmen die Welt organisiert. Die Heldin, selbst Autorin mit Schreibhemmung, findet auf Umwegen schließlich auch die passenden Bücher, um das System infrage zu stellen.

Heinrichs In den Farben der Nacht wirft sie nach der Lektüre einer halben Seite weg ("sentimentaler Müll"), Julia Zanges Die Anstalt der besseren Mädchen ergeht es kaum besser. Erst als sie beim Kompilationskollektiv TIQQUN ankommt, ist sie zufrieden: "Ein Buch über mich!" Tatsächlich liefert TIQQUNs Grundbausteine einer Theorie des Jungen-Mädchens den Vignetten einen durchgängigen, ideologiekritischen Bezugsrahmen (bis hin zum expliziten Bildzitat).

In der konsumbunten Welt ist alles falsch, die Libido längst kein Mittel zur Befreiung, Sex auch kein größerer Spaß, als eine Waffel mit Eis abzulecken. Ein Akt, dem Heinrichs Film seine letzten fünf Minuten widmet – ein letztes, vergnügtes Lob der vorsätzlichen Höhepunktlosigkeit. (Robert Weixlbaumer, 26.6.2019)