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Migranten an den Sperranlagen zwischen Mexiko und dem US-Bundesstaat Texas. Nachdem Donald Trump mit Strafzöllen gedroht hat, schickt Mexiko nun 15.000 Soldaten und Polizisten an die Grenze.

Foto: APA/AFP/GETTY IMAGES/JOE RAEDLE

Schockierende Berichte über skandalöse Zustände haben die US-Regierung gezwungen, ein Auffanglager der Grenzpolizei an der mexikanischen Grenze de facto zu schließen. In Clint, einer Kleinstadt in der Nähe der texanischen Metropole El Paso, hatten mehr als 300 Kinder unter menschenunwürdigen Bedingungen hausen müssen, bevor eine Gruppe von Juristen Alarm schlug.

Keine Zahnbürsten

Fast alle trugen auch noch nach drei oder vier Wochen dieselben schmuddeligen Sachen, mit denen sie über die Grenze gekommen waren. Da es an Betten und Matratzen fehlte, mussten viele Nächte lang auf dem nackten Betonboden schlafen. Weder gab es Zahnbürsten noch Zahnpasta oder Seife. Es stank, weil sich die meisten nicht einmal waschen konnten, von einer Dusche ganz zu schweigen.

"Es waren die katastrophalsten Bedingungen, die ich in den vergangenen Jahren gesehen habe", fasst es Warren Binford zusammen, Rechtsprofessorin im Pazifikstaat Oregon, eine von sechs Juristinnen und Juristen, denen nach einem Richterentscheid Zugang zu dem Lager gewährt werden musste. Minderjährige über Wochen in eine fensterlose Halle zu sperren – allein das stehe für ein blamables Versagen der Behörden. Nach Binfords Schilderung waren etliche Kinder an Grippe erkrankt, ohne angemessen behandelt worden zu sein. Fast alle hätten von Hungergefühlen gesprochen. Häufig hätten die Älteren versucht, sich in der Rolle von Ersatzeltern um die Jüngeren zu kümmern, sie zu beruhigen, ihnen Mut zu machen.

Käfigartige Zellen

Die New Yorkerin Elora Mukherjee spricht von Kindern, die ihre käfigartigen Zellen so gut wie nie verließen. Einige hätten ihr erzählt, dass man ihnen erlaubt habe, zum Spielen nach draußen zu gehen. "Aber sie sagten mir, sie hätten nicht spielen können an einem Ort, an dem sie nur zu überleben versuchten."

In aller Regel hatten die Minderjährigen im Schlepptau eines Verwandten den Rio Grande überquert, um sich einer der Grenzpatrouillen der Border Patrol zu stellen. Einige waren nach dem Betreten US-amerikanischen Bodens von ihren erwachsenen Begleitern getrennt worden. Mütter im Teenageralter waren mit ihren Babys, das jüngste fünf Monate alt, durch den seichten Fluss gewatet.

Eigentlich dürfen aufgegriffene Migrantenkinder höchstens 72 Stunden lang in Lagern wie dem in Clint festgehalten werden. Danach müssen sie von Jugendeinrichtungen aufgenommen werden. In der Praxis warten ihre bereits in den USA lebenden Angehörigen oft nur auf ein Lebenszeichen, damit sie ein Flugticket buchen, eine Busfahrkarte kaufen oder aber selber in die Grenzregion reisen können, um sie abzuholen. Bei den meisten von denen, die in Clint hausten, sagt Binford, hätte man nur die Verwandten zu verständigen brauchen, die sofort alles Nötige in die Wege geleitet hätten. Warum man Sieben- oder Achtjährige so lange festhalte, ohne ihre Angehörigen zu benachrichtigen, dafür gebe es keine plausible Erklärung. Die Border Patrol, nimmt die Dozentin die Grenzpatrouillen in Schutz, habe die Aufgabe, illegal Einwandernde zu stoppen. Weder verfüge sie über die Kapazitäten noch über die fachliche Eignung, um wochenlang Kinder zu betreuen.

Hilflose Bürokratie

Es ist nicht das erste Mal, dass erschütternde Berichte über das Chaos in den Notunterkünften der Border Patrol die Runde machen. Wie im Mai bekannt wurde, mussten sich in einem Gebäude in El Paso 41 Menschen eine Zelle teilen, die für maximal acht Personen konzipiert war. Es zeigt die Hilflosigkeit einer überforderten Bürokratie, die dem Ansturm von Flüchtlingen aus Ländern wie El Salvador, Guatemala und Honduras schlicht nicht gewachsen ist.

Nach der amtlichen Statistik wurden allein im Mai an der Grenze zu Mexiko rund 133.000 Migranten ohne gültige Einreisepapiere aufgegriffen, so viele wie seit 2007 nicht mehr. "Angesichts der Umstände machen wir einen fantastischen Job", behauptete Donald Trump noch am Wochenende, als er dem TV-Magazin "Meet the Press" ein Interview gab.

In Wahrheit, monieren die Kritiker des Präsidenten, nehme dessen Kabinett Missstände bewusst in Kauf, um potenzielle Migranten abzuschrecken. Der amerikanische Staat, so hatten Regierungsanwälte vor wenigen Tagen vor einem Gericht in San Francisco argumentiert, stehe nicht in der Pflicht, Migranten mit Zahnbürsten oder Seife zu versorgen. (Frank Herrmann aus Washington, 26.6.2019)