Emil Jellinek, k. u. k. Generalkonsul in Monte Carlo mit Sitz in Nizza, in vollem Dienstornat.

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Er kam, fuhr und siegte – in der Autoklasse: Semmering-Bergrennen 1899, Emil Jellinek am Steuer seines Daimler-Rennwagens.

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Wer heute eine Rast am Semmering riskiert, bedauert das triste Ambiente. Der jährliche Auftritt des Ski-Weltcups am Zauberberg ist vorbei, bevor man ihn richtig wahrgenommen hat. Die Annalen wissen aber von einem Semmering zu berichten, der als elitärer Treffpunkt der Gesellschaft im Fin de Siècle galt. Der geniale Eisenbahnbau von Carl Ritter von Ghega verband die gesunde Waldlandschaft mit seinen sanften Hügeln mit dem Zentrum der Macht, der Residenzstadt Wien.

Mit der Südbahn unterwegs nach Grado, Abbazia, Triest oder Fiume galt es schick, kurz am Semmering Bergluft zu atmen. Bald standen 50 prachtvolle Villen der Reichen und Schönen rund um den Scheitelpunkt der Bergstraße. Fünfsternehotels wie Panhans, Südbahn, Erzherzog Johann versprachen Komfort der Spitzenklasse, selbst das Tal bei Reichenau galt als erweitertes Semmeringrefugium, wo die Familie Rothschild einen Prachtbau im Loire-Schloss-Stil errichtete oder das Geflüster über die angebliche Liaison von Arthur Schnitzler mit Olga Waissnix die Salons bewegte.

Die Wiener Ringstraßen-Hautevolee, eine Mischung aus etabliertem Bürgertum, Adel und Neureichen, beherrschte um 1900 die öffentliche Szene. Emil Jellinek gälte nach heutiger Diktion als Star dieses Umfelds. Hoch gebildet, finanziell überaus erfolgreich – sein Leitspruch lautete: "Ich muss jeden Tag einen Scheck bekommen" -, vor allem aber gegenüber allen neuen Technologien rund um das noch fast im Kindergartenalter stehende Automobil aufgeschlossen.

Nebenschauplatz

Die ausgezeichnete Ausbildung verdankte er seinem Vater, einem angesehenen Mitglied der Wiener Kultusgemeinde. Der Semmering war für Jellinek eine Art Nebenkriegsschauplatz, als Generalkonsul in Monte Carlo mit Wohnsitzen in Nizza, Baden, natürlich auch in Wien, Schottenring 14, wollte er der feinen Gesellschaft vor ihrer Haustüre den technischen Fortschritt des Automobils demonstrieren, auch die Kauflust animieren.

Generalprobe des Unterfangens war die "Woche von Nizza" 1899, wo unter dem Pseudonym "Herr Mercedes" Emil Jellinek einen 23-PS-Daimler-Phönix-Wagen meldete. Als Maßstab der Leistung galt die Bergstrecke nach La Turbie. Zwei Jahre vorher hatte Jellinek bei der Daimler-Motoren-Gesellschaft ein 6-PS-Phaeton-Modell bestellt. Die zu geringen Fahrleistungen veranlassten auf sein Drängen Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach, drei zusätzliche PS herbeizuzaubern, den Wagen immerhin 42 km/h schnell zu machen. Alles zu wenig. Der fordernde Generalkonsul, der an seiner Diplomatenuniform mehr Orden trug als jeder österreichische Feldmarschall, trieb die Daimler-Techniker pausenlos vor sich her, noch stärkere, schnellere Autos zu bauen. 1899 garantierte das Werk bereits 23 PS.

Der 27. August 1899 gilt als Geburtsstunde des österreichischen Rennsports, man spricht vom ersten Semmering-Bergrennen, es war aber die wettbewerbsähnliche Ausfahrt des Österreichischen Automobil-Clubs, Zeitnahme inkludiert. Zehn Kilometer galt es zu überwinden, von Schottwien bis zum Hotel Erzherzog Johann auf der Passhöhe. Durchschnittliche Steigung: zehn Prozent, Schikanen: neun Kurven. Von Straße zu sprechen wäre vermessen, ein besserer Saumpfad käme der Sache näher.

Der Startschuss

Jellinek lenkte seinen 24-PS-Daimler in 25:26 Minuten ins Ziel, immerhin 23,6 km/h Schnitt, Sieg in der Auto-Klasse. Aber Arnold Spitz auf dem De-Dion-Bouton-Motordreirad markierte mit 22 Minuten und einer Sekunde Bestzeit, das bedeutete 26,8 km/h. Es war der Startschuss für die Semmering-Bergrennen, die mit Unterbrechungen bis 1933 stattfanden. Sämtliche Größen des damaligen Rennsports, allen voran Hans Stuck, Manfred von Brauchitsch und Rudolf Carraciola, zeigten ihr Können vor mindestens 60.000 Zusehern.

Konsul Jellinek, vor dem Ersten Weltkrieg Mercedes-Daimler-Generalvertreter für die K.-u.-k.-Monarchie, Frankreich, USA und Belgien, legte den Grundstein für die großartige Entwicklung der Stuttgarter Marke. Den Namen Mercedes (Mercédès) trug seine Tochter aus erster Ehe mit einer Dame der spanischen Gesellschaft.

Als Ferialpraktikant in der historischen Abteilung von Mercedes erhielt ich einst von meinem Chef, dem Fürsten von Urach, den Auftrag: "Schreiben Sie eine Geschichte, warum wir Mercedes heißen." Im Archiv stöbernd, fand ich die Notiz von Jellinek: "Mercedes kling in allen Weltsprachen gleich, sogar für die Russen am Zarenhof."

Erlaubnis erteilt

1903 erteilte die NÖ. Statthalterei – Statthalter Graf Kielmannsegg war Jellineks Freund und Co-Pilot von 1899 – der Familie Jellinek die Erlaubnis, den Familiennamen mit Mercedes zu ergänzen, ohne Adoption aus Stuttgart.

1900 rückte Ferdinand Porsche mit zwei Lohner-Entwicklungen zum ersten echten Semmering-Bergrennen an. Hybridtechnik vor 119 Jahren, ein Benzinmotor diente als Kraftquelle für den stromerzeugenden Generator. Keine mechanische Kraftübertragung, kein Stufengetriebe, über ein Reglersystem wurde der Strom an die Radnabenmotoren geliefert. Dagegen wirken aktuelle Hybridtechnologien fast altbacken. (Peter Urbanek, 1.7.2019)