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Napoleon Bonaparte (1769–1821) wusste sich im Einklang mit dem Zeitgeist, ...

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... so wie dieser Tage der österreichische Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz. Letzterer sucht Menschen, die mit ihm (mit)gehen.

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Tatmenschen als Ausdruck ihrer jeweiligen Zeit, von ihren Mitmenschen mitunter "verkannt": Napoleon Bonaparte und Sebastian Kurz.

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Nicht jedem Politiker ist es gegeben, die Gunst der weltgeschichtlichen Stunde zu nutzen. Hamlet, dem Helden der gleichnamigen Shakespeare-Tragödie, wird vom Vatergespenst aufgetragen, möglichst umgehend das Gesetz des Handelns an sich zu reißen. Rächen soll er den alten Herren, den der eigene Bruder, buhlerischer Absichten wegen, gemeuchelt hat. Hamlet ist konsterniert. Er ist ein notorischer Schöngeist, der sich im fernen Wittenberg in Humanismus unterweisen ließ.

Hamlet wäre womöglich der goldrichtige Mann, um das finstere, von Kriegsdrohungen erschütterte Dänemark in eine hell leuchtende Zukunft zu führen. Er besäße alle Fähigkeiten, um seinen Landsleuten deren unheilvolle Neigung zur Intrige und Gewaltausübung auszutreiben. Hamlet kommt nur leider nicht dazu, gerecht zu herrschen. Die Zeit, die solcher Fähigkeiten bedürfte, wie er sie offenbar im Übermaß besitzt, ist (noch) nicht gekommen.

Sebastian Kurz, der erst kürzlich aus dem Amt geschiedene Bundeskanzler, wäre als Hamlets Bruder im Geiste anzusprechen. Der Dänenprinz spricht im ersten Akt seiner Tragödie die denkwürdigen Worte: "Die Zeit ist aus den Fugen, o verfluchte Schicksalstücken, dass ich jemals geboren war, um sie zurechtzurücken!"

Stark verschnupfter Ton

Kurz hat das Kapitel seiner Kanzlerschaft vorerst mit einem Plakat abgeschlossen. Auf diesem steht, in nicht ganz einwandfreiem Deutsch: "Rot-Blau hat bestimmt. Das Volk wird entscheiden." Und, in Großbuchstaben: "Unser Weg hat erst begonnen." Wie sehr auch für den türkisen Spitzenkandidaten die Zeit aus den Fugen ist, erklärt der stark verschnupfte Ton der landesweit affichierten Botschaft. Er selbst, Kurz, hätte sich mit der Zeit und deren politischen Erfordernissen durchaus im Einklang gewähnt. Es mussten sich ihm missgünstig gesonnene Mitbewerber verbünden, um ihn, den strahlenden Jüngling, aus dem Amt zu drängen.

"Die Zeit zurechtzurücken": So lautet die Aufgabe von charismatisch veranlagten Politikern. Diese werden vom eigenen Sendungsbewusstsein über die Widrigkeiten einer Epoche hinweggetragen, die sich – in ihren Augen – längst überlebt hat. Die verkalkt ist und dem Vortrab ihrer vermeintlich begabtesten Politiker nicht folgen kann. Etwas von der Unduldsamkeit der geborenen Tatmenschen eignet auch jetzt, in der erzwungenen Ruhigstellung seiner Entmachtung durch das Parlament, Sebastian Kurz. Eben deshalb empfiehlt der Meidlinger allen Wahlberechtigten mit Nachdruck das Eingehen einer Wandergemeinschaft. Nur so darf der eigentliche Souverän, das Volk, darauf hoffen, mit dem Weltgeist wenigstens "zu Fuß" Schritt zu halten.

Napoleon Bonaparte (1769–1821), der korsische Vollender der Französischen Revolution, wurde vom Philosophen Hegel tatsächlich als "Weltgeist zu Pferde" begrüßt. Und auch Goethe, der Klassiker, ließ sich nicht lumpen und nannte den Kaiser aus Anlass einer persönlichen Begegnung 1808 in Erfurt einen Dämon – und verglich ihn obendrein mit Prometheus.

Gerechtigkeit für Cäsar

Napoleon verlangte von Goethe umgekehrt die Abfassung einer Tragödie mit Titel "Der Tod Cäsars". Darin sollte der Dichter dem römischen Diktator posthum Gerechtigkeit widerfahren lassen. Man müsste, so Napoleon, "der Welt zeigen, wie Cäsar sie beglückt haben würde", wenn man ihm nur Zeit gelassen hätte, seine hochtrabendsten Pläne zu verwirklichen.

Derselbe Napoleon äußerte Jahre später gegenüber Metternich, dass so jemand wie er "auf das Leben von Hunderttausenden scheiße". So unfein spricht, wer sich mit dem Zeitgeist bis zur Ununterscheidbarkeit verschmolzen weiß. Prompt verschob das Schicksal den Soldatenkaiser ins Exil, auf die Mittelmeerinsel Elba. Dort litt es den Sprunghaften kaum ein Jahr. Dann sprang er 1815 auf das Festland zurück, um Europa in einen neuen Krieg zu stürzen.

Die Frage nach der rechten Zeit lässt sich heute gottlob nur noch im Licht demokratischer Volksentscheide beantworten. Noch Wallenstein, Schillers bestürzend moderner Dramenheld, wagte keinen Schritt ins Offene hinaus, ohne vorher ausgiebig die Flugbahn der Sterne konsultiert zu haben. Für manche ist der Gebrauch des freien Willens nur dann gerechtfertigt, wenn seine Entscheidungen mit dem Horoskop in Einklang stehen. Weniger skrupulösen Erscheinungen, als Hamlet oder Wallenstein es sind, kann sonst Bismarcks Schicksal blühen. Der saß als deutscher Ex-Reichskanzler in Pension und mochte einfach nicht wahrhaben, dass das Rad der Geschichte sich ohne ihn weiterdrehe. (Ronald Pohl, 27.6.2019)