In der Serie alles gut? denkt STANDARD-Redakteur Andreas Sator über eine bessere Welt nach – und darüber, welchen Beitrag er leisten kann. Melden Sie sich hier für seinen kostenlosen Newsletter an.

Wenn ärmere Länder auf der Leiter der wirtschaftlichen Entwicklung nach oben wollen, ist der Exportsektor oft das Mittel der Wahl. Denn die eigene Bevölkerung ist großteils arm und die Kaufkraft daher niedrig. Traditionell läuft das über simple Industriegüter, das Spinnen von Baumwolle oder die Herstellung von Plastikspielzeug. Viele tun sich aber schwer damit, eine solche Industrie aufzubauen – Ausnahmen in Asien bestätigen die Regel.

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Mauritius ist eines der wenigen afrikanischen Länder, in denen es fast keine extreme Armut mehr gibt – auch dank des Tourismus.
Foto: imago/imagebroker/Peter Schickert

Darum gehört auch der Tourismus zur Entwicklungsstrategie vieler Länder. Statt Produkte ins Ausland zu exportieren, werden sie vor Ort an Ausländer verkauft. Kambodscha erzielt so 27 Prozent seiner Exporteinnahmen, São Tomé und Príncipe, ein afrikanischer Inselstaat, 73 Prozent.

Der Tourismus biete Chancen für ärmere Menschen, weil für die Jobs – als Fahrer, auf dem Bau oder in der Hotellerie – oft keine Ausbildung nötig sei, schreibt Tun Lin von der Asiatischen Entwicklungsbank in einer Studie. Außerdem sorge er für eine bessere Infrastruktur und Sicherheit, fördere den Nationalstolz und bringe dem Staat Steuereinnahmen.

Das Nationaltheater in San José in Costa Rica.
Foto: APA/AFP/EZEQUIEL BECERRA

In ein ärmeres Land zu fahren und dort Geld auszugeben heißt aber nicht automatisch, auch etwas Gutes zu tun. "Der beste Weg wäre, lokale Unternehmer zu unterstützen", schreibt Matteo Natalucci in einer Studie. "Aber die meisten Touristen bestehen auf einer Klimaanlage und westlichen Konsumgütern, die sich lokale Anbieter oft nicht leisten können." In Costa Rica etwa gehören zwei Drittel der Resorts ausländischen Firmen.

"In Kambodscha bauen chinesische Investoren große Resorts, bringen eigene Mitarbeiter ins Land, die lokale Bevölkerung wird oft verdrängt und hat wenig davon", sagt Susanne Becken von der Griffith University in Brisbane. "Je mehr man vor Ort bei lokalen Anbietern bucht, desto besser", sagt sie. "Nicht zu fahren wäre das völlig falsche Symbol. Am Ende des Tages kommt es darauf an, wo das Geld hingeht."

Wichtig sei auch, sich an das Verhalten und die Kultur vor Ort anzupassen und Müll zu vermeiden, weil die Abfallsysteme oft nicht gut funktionieren. Manche haben Bedenken, autokratische Länder zu bereisen, weil damit die Regierung unterstützt wird. Becken: "Wenn Sie nicht fahren, zahlen die Leute dort am meisten drauf. Ich bin etwa einmal nach Tibet und habe darauf geachtet, dass die Firma Tibeter anstellt."

Mexiko verdient gutes Geld mit Ausländern.
Foto: APA/AFP/DANIEL SLIM

Eine Studie der Universität von Daressalam kommt zu dem Ergebnis, dass der Tourismus in Tansania andere Sektoren der Wirtschaft stimuliere. Das scheint auch in Mexiko so zu sein: Regionen mit mehr Tourismus haben auch mehr Industriebetriebe. Das könnte an Investitionen in Infrastruktur oder einem entwickelteren Dienstleistungssektor liegen, so Ökonomen.

Mauritius ist eines der wenigen afrikanischen Länder, in denen es fast keine extreme Armut mehr gibt. Die Insel war 150 Jahre lang so wie viele andere ärmere Länder vom Rohstoffexport abhängig, von Zucker. Heute arbeiten viele im Textilsektor und im Tourismus. In 20 der 48 am wenigsten entwickelten Länder der Welt ist der Tourismus laut Weltbank das wichtigste oder zweitwichtigste Exportgut.

Insgesamt fließen aber immer noch nur etwa fünf Prozent der globalen Ausgaben für Urlaube in die am wenigsten entwickelten Länder, sagt Susanne Becken. Es fehle oft an Flughäfen, Hotels und Attraktionen. Laut Weltbank sind aber 2015 schon dreimal mehr Menschen in ärmere Länder gereist als zehn Jahre zuvor.

Tourismus ist meistens nicht sehr nachhaltig.
Foto: APA/dpa/Christophe Gateau

Harald Friedl von der FH Joanneum warnt. Nachhaltiger Ferntourismus sei ein Widerspruch in sich, ein Kreuzfahrtschiff etwa hochproblematisch, "mit derart massiven Emissionen, unter denen indirekt durch den Klimawandel Armutsbetroffene am meisten leiden". Das gelte auch für den Flugverkehr, sei aber komplex, "würde man ihn unterbinden, gäbe es morgen Bürgerkriege, weil wichtige Arbeitsplätze wegfallen".

Friedl sagt, für nachhaltiges Reisen gebe es ein paar Faustregeln. "Wenn Ferntourismus, dann so lange wie möglich bleiben. Ein absolutes Tabu ist der Wochenendflug nach New York. So viel Geld wie möglich lokal ausgeben, damit sich die Klimaschädigung wenigstens für die Leute lohnt." Friedl empfiehlt den Ratgeber "Reisen mit Respekt".

Der Tourismusethiker ist selbst zweimal per Anhalter durch die Sahara gereist und hat nachhaltige und sozialverträgliche Touren in Algerien organisiert. Wie reist er? "Im näheren Umfeld. Ich will, dass meine Kinder Regionen kennenlernen, die bei uns einen schlechten Ruf haben", sagt er. Er fahre nach Bosnien oder Rumänien, habe die Slowakei abgeklappert und immer in kleinen Unterkünften gelebt.

Eine Straße in Kathmandu in Nepal. Harald Friedl empfiehlt, "langsamer zu reisen".
Foto: APA/AFP/PRAKASH MATHEMA

Wer "gut" reisen wolle, habe zwei Möglichkeiten, sagt er. Die einfache Variante sei, sich einen Anbieter zu suchen, der auf nachhaltige Reisen spezialisiert ist. Die finde man etwa beim "Forum Anders Reisen". Die schwierigere sei es, sich de facto als Forscher zu betätigen. "Ich muss mich durch Websites kämpfen, mich einlesen, dann einfach mal runterfliegen und mich dem Ganzen ausliefern."

Das sei die Königsdisziplin des Reisens, "weil ich die Komfortzone verlasse und mich meinen Ängsten und Vorurteilen aussetze". Diese Verletzlichkeit führe zu Gesprächen, Kontakten und Einladungen. "Das Reisen verlangsamen, das Handy und die Kamera weg, keine fixe Route und sich auf Gespräche einlassen. Das sind meistens die sensationellsten Erfahrungen."

(Andreas Sator, 21.7.2019)

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