Die größte Oppositionspartei, die Demokratische Partei unter Lulzim Basha, boykottiert die Wahl am 30. Juni.

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Sie kennen nur treu ergebene Freunde oder erbitterte Feinde. Die albanischen Parteien versuchen alles und jeden – seien es Ausländer, internationale Organisationen oder Pressevertreter – für ihre Sache zu instrumentalisieren. Sie verfügen über effektive Netzwerke der Manipulation. Dabei agieren sie in ihrem Vernichtungswillen gegenüber der jeweils anderen Partei äußerst brutal und verbissen. Am ehesten ist das noch mit der gnadenlosen stalinistischen Vergangenheit des Landes zu erklären. Die albanische Politik ist jedenfalls ein gefährliches Feld – die Sprache der Politiker übersteigt alle Grenzen zivilisierter Kommunikation. Vor allem vor den Wahlen.

Nun steigen die Befürchtungen, dass die Lokalwahlen am 30. Juni in weiteren gewaltsamen Protesten und einem Verfassungschaos enden werden. Denn die größte Oppositionspartei, die Demokratische Partei (DP), boykottiert den Urnengang und schickt ihre Anhänger in ihren Hochburgen im Norden des Landes stattdessen zu den Wahlkommissionen, wo diese teils die Wahlunterlagen verbrannten. In Burrel lieferten sich vergangene Woche die Polizei und Oppositionsanhänger einen stundenlangen Straßenkampf um das Wahllokal. Zwei Personen wurden verletzt. In Klos wurde Wahlmaterial verbrannt, in Kukes wurde das Wahlgebäude geräumt.

Schule angezündet

In Shkodra versammelten sich Anhänger der Opposition und Mitarbeiter der Gemeinde im Hof der Mittelschule "Shejnaze Juka" und zündeten das Erdgeschoß der Schule an. Die Wahlmaterialien wurden verbrannt. Fünf Personen wurden festgenommen, der ehemalige DP-Abgeordnete Bardh Spahia wurde unter Hausarrest gestellt. Nun wird er von der Opposition als "politischer Gefangener" betrachtet. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) verurteilte die Gewalt und sagte, dass auch jene, die dazu angestachelt hätten, zur Verantwortung gezogen werden müssten.

Diesen Mittwoch traf sich DP-Chef Lulzim Basha nun mit der Leiterin der internationalen Wahlbeobachterkommission, Audry Glover. Glover sagte, die OSZE/ODIHR Mission werde die Wahlen technisch überwachen, allerdings habe noch niemals die Opposition die Teilnahme verweigert. Es bleibt unklar, inwieweit und vor allem wo die Wahlresultate in den Gemeindeverwaltungen umgesetzt werden. Zurzeit werden 27 Bezirke auf der kommunalen Ebene von der Opposition geführt, 34 von den Sozialisten. Weil die Opposition aber gar nicht teilnimmt, kann sie gar keine Leute mehr entsenden.

Wahlen "stehlen"

Die DP argumentiert ihren Wahlboykott damit, dass die regierenden Sozialisten die Wahlen durch Stimmenkauf "stehlen" würden. Tatsächlich werden in Albanien seit vielen Jahren Wähler unter Druck gesetzt, eine bestimmte Partei zu wählen, auch Fälle von Stimmenkauf kommen immer wieder vor. So heißt es etwa in dem Wahlbeobachterbericht aus dem Jahr 2013: "Stimmenkauf und Druck auf Beschäftigte des öffentlichen Sektors, einschließlich Fälle von erzwungener Teilnahme an Wahlveranstaltungen und Entlassung aus dem Beschäftigungsverhältnis, wirkten sich negativ auf das Umfeld vor den Wahlen aus."

Ungeklärt ist, wie sehr sich Stimmenkauf und Manipulationen in den vergangenen Jahren entwickelt haben. Diese Praktiken wurden allerdings immer von allen Parteien, und auch bereits bevor die Sozialisten wieder 2013 an die Macht kamen, ausgeübt. Bei allen Parteien fehlt es an Bewusstsein für die Unrechtmäßigkeit dieses Vorgehens, und es gibt keine effizienten Maßnahmen der Polizei und der Justiz dagegen.

Unterstützung der EU-Kommission

Die EU-Kommission und die USA unterstützen indes die Abhaltung der Lokalwahlen, obwohl Präsident Ilir Meta diese per Dekret kürzlich abgesagt hat. Allerdings hat Meta auch ein parteipolitisches Motiv. Er ist mit Rama spinnefeind, weil Letzterer 2017 ohne Metas Partei die Regierung gebildet hat. Das Parlament, das ebenfalls von der Opposition boykottiert wird, hat mittlerweile das Dekret des Präsidenten für nichtig erklärt. Dem haben sich auch die Wahlkommission und der Wahlausschuss angeschlossen. Die Opposition und der Präsident haben demnach keine anderen Institutionen hinter sich. Und der zuständige Verfassungsgerichtshof ist derzeit wegen fehlender Richter nicht handlungsfähig.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg kam kürzlich nach Tirana und stellte sich klar gegen "politische Gewalt". Er forderte alle politischen Akteure auf, verantwortungsbewusst und zurückhaltend zu handeln. Die Differenzen müssten durch Dialog und etablierte politische Prozesse gelöst werden, sagte Stoltenberg. Die unklare rechtliche Situation könnte aber trotz all dieser Appelle zu weiterem Chaos führen, weil davon auszugehen ist, dass in den Hochburgen der DP im Norden Albaniens, die Wahlergebnisse nicht anerkannt werden. Zudem müssten die Stimmen auch von Wahlkommissionen ausgezählt werden, in denen Vertreter mehrerer Parteien sitzen.

EU-Verhandlungen verhindern

Der sozialistische Premier Edi Rama sagte vergangenen Freitag, dass das Hauptziel der Opposition darin bestehe, die Bemühungen des Landes um die Aufnahme der EU-Verhandlungen, zu verhindern. "Europa soll gezeigt werden, dass dieses Land nicht stabil ist und es nicht verdient hat, ernst genommen zu werden." Die Argumente der Opposition würden aber nicht standhalten, so Rama. "Die Lösung ist klar. Sie wird von der gesamten Europäischen Gemeinschaft und der überwiegenden Mehrheit der Albaner unterstützt. Die Wahlen gehören nicht Politikern, sondern Menschen. Das Volk hat das Recht, an dem in der Verfassung vorgesehenen Tag zu wählen", so Rama.

Der Regierungschef tritt in diesen Tagen öfters mit einem Shirt oder mit einer Baseballkappe auf, auf denen "30" steht – eine Anspielung auf den 30. Juni und die Lokalwahlen. Tatsächlich hat sich die deutsche CDU/CSU-Fraktion vor den Karren der DP spannen lassen. Der Hintergrund: Die DP versucht bereits seit Jahren ein "mazedonisches Szenario" herbeizuführen, also die EU oder die USA in ihren Machtkampf mit den Sozialisten zu involvieren, um selbst an die Futtertröge zu kommen. Bereits vor den Parlamentswahlen 2017 kündigte die DP deshalb einen Wahlboykott an und forderte eine Technokratenregierung. Die Wahlen wurden damals um eine Woche verschoben – doch die Sozialisten blieben an der Macht. Das Kalkül der DP ging also nicht auf.

Wiederholung von 2017

Doch nun hat die DP das Szenario wiederholt und den Wahlboykott bei den Lokalwahlen diesmal durchgezogen. Die CDU/CSU und die deutsche Bild-Zeitung spielten dabei eine Rolle. Denn sie übernahmen einfach unkritisch das Narrativ der DP, die behauptete, dass die Regierung unter Rama keinerlei Fortschritte bei der EU-Annäherung gemacht habe, obwohl seit Jahren eine umfassende Justizreform stattfindet, wie es sie noch in keinem anderen Land gegeben hat.

Bereits Ende Mai meinten die deutschen CDU/CSU-Abgeordneten Johann David Wadephul und Christian Schmidt, dass ein Dialog zwischen der Regierung und der Opposition nötig sei, erwogen eine Verschiebung der Wahl und kündigten andernfalls an, dass der "Weg nach Europa" ansonsten geschlossen werde. Damit überschritten sie nicht nur ihre Kompetenz, sondern stellten sich auch auch gegen die Einschätzung der EU-Kommission, die den Beginn von EU-Verhandlungen für Albanien empfiehlt. Dieses Vorgehen der CDU/CSU war und ist offensichtlich parteipolitisch motiviert, denn die DP gehört wie die CDU/CSU zur Parteienfamilie der Europäischen Volkspartei.

Keine Perspektive wegen CDU/CSU

Die CDU/CSU hat in der Folge in den vergangenen Wochen verhindert, dass die EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien beginnen können, obwohl das den beiden Staaten voriges Jahr versprochen worden war. Offensichtlich ging es dabei um ein Datum. Denn die Entscheidung für den Verhandlungsbeginn sollte beim letzten EU-Gipfel im Juni fallen, also kurz vor den nun anstehenden Lokalwahlen in Albanien – was den regierenden Sozialisten möglicherweise geholfen hätte. Offensichtlich gönnte man ihnen das aber in der CDU/CSU nicht und zerstörte so lieber die Perspektive für zwei südosteuropäische Staaten.

Die "Bild"-Zeitung veröffentlichte in den letzten Wochen immer wieder abgehörte Telefonate – unter anderem solche, die den Stimmenkauf durch die Sozialistische Partei in der Vergangenheit und die Involvierung von Kriminellen in die politischen Entscheidungsprozesse belegen. Sie stellte aber das gesamte Land – so wie die Opposition – als einen "Mafiastaat" dar, der im Chaos versinke. Tatsächlich finden seit dem Frühjahr wöchentlich von der Opposition geführte Proteste gegen Rama und seine Regierung statt, die immer wieder in Gewalt endeten. Die Demonstranten griffen Polizisten mitunter sogar mit Feuerwerkskörpern an. Die Verantwortung dafür lag also nicht bei der Regierung, sondern bei der Opposition. (Adelheid Wölfl aus Tirana, 26.6.2019)