In diesem Gebäude in Wien-Floridsdorf wurden am 21. Mai drei weibliche Leichen gefunden. Wie sich später herausstellte, handelte es sich um eine Mutter und ihre Zwillingstöchter. Alle drei waren verhungert.

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Wien – Wie konnte es dazu kommen, dass eine Mutter und ihre beiden Töchter mitten in Wien verhungerten? Seit im Mai bekannt wurde, dass eine 45-jährige Frau und ihre beiden 18-jährigen Zwillingstöchter in ihrer Wohnung – ein Gemeindebau in Wien-Floridsdorf – verhungert sind, musste sich diese Frage vor allem das Wiener Jugendamt gefallen lassen.

Jugendamt untersuchte Akt

Die Kinder- und Jugendhilfe (MA 11) stellte rasch klar, dass sich die Familie bis März 2017 immer wieder in Betreuung befand. Die "Abklärung der Situation" endete allerdings, ohne dass die Behörde noch eine Notwendigkeit für weitere Maßnahmen sah. Diese Einschätzung sorgte nach dem Tod der drei Frauen für Kritik.

Das Jugendamt kündigte deswegen eine interne Prüfung an, die nun abgeschlossen ist. Die beteiligten Sozialarbeiter seien in der fast durchgehenden Betreuung der Mutter und ihrer Töchter von Oktober 2013 bis März 2017 "sorgfältig" vorgegangen. "Schwerpunkt der Betreuung der Familie durch die Wiener Kinder- und Jugendhilfe war einerseits die finanzielle Absicherung der Familie und andererseits die therapeutische Unterstützung der beiden Töchter aufgrund von Gewalterfahrungen durch den Vater", heißt es von der Behörde.

Warum die Betreuung beendet wurde

Insbesondere im Scheidungsverfahren habe es Hinweise auf psychiatrische Auffälligkeiten der Mutter gegeben. "Da sich die Familie durch die langjährige Unterstützung der Wiener Kinder- und Jugendhilfe jedoch positiv entwickelte (Übersiedlung in eine eigene Wohnung, Schaffung einer Tagesstruktur für die beiden Töchter) und sich in den vielen persönlichen Kontakten mit der Familie für die fallführenden Sozialarbeiter keine psychischen Auffälligkeiten der Mutter zeigten, wurde die Betreuung im März 2017 beendet", resümiert die Behörde.

Allerdings: "Dieser Fall wird von der Wiener Kinder- und Jugendhilfe jedenfalls zum Anlass genommen, die verbindlichen Richtlinien für die Soziale Arbeit – das Qualitätshandbuch – zu überarbeiten", so Abteilungsleiter Johannes Köhler. "In Zukunft soll bei jedem Verdacht einer psychischen Erkrankung eines Elternteils oder beim Verdacht einer psychischen Erkrankung der oder des Minderjährigen der Psychologische Dienst der MA 11 zwingend eingebunden werden."

Volksanwaltschaft prüft ebenfalls

Nun bleibt abzuwarten, ob diese Antworten auch die Volksanwaltschaft zufriedenstellen. Volksanwalt Günther Kräuter erschien die Tatsache, dass der Kontakt vom Jugendamt eingestellt wurde, als "zumindest aufklärungswürdig". Bis vorige Woche hatte die Stadt – respektive das Jugendamt – Zeit, der Volksanwaltschaft eine Stellungnahme zum Sachverhalt zu übermitteln. Am Dienstag hieß es seitens der Volksanwaltschaft, man warte noch auf "weitere Informationen". Der am Mittwoch fertiggestellte Bericht hatte also etwas Verspätung. Die Unterlagen werden nun von einem juristischen Mitarbeiter geprüft. Am Ende gibt es eine Stellungnahme inklusive Empfehlungen des Volksanwalts.

Was bei Abklärungsverfahren passiert

Sozialarbeiter suchen bei sogenannten Abklärungsverfahren intensiven Kontakt mit den betroffenen Familien, man sieht sich an, wie es dem Kind geht, wie die Schulsituation ist, die Lage daheim, wer die Bezugspersonen sind und vor allem ob das Kind selbst- oder fremdgefährdet ist. 2017 – für 2018 liegen keine Zahlen vor – kam es in Wien zu 11.216 derartigen Abklärungen. Am häufigsten deshalb, weil ein Verdacht auf Vernachlässigung bestand (6.171 Fälle). Am häufigsten kommen die Meldungen über Polizei oder Schule. Im Fall der drei Frauen soll laut Medienberichten eine Rolle gespielt haben, dass die beiden Töchter aus der Schule genommen worden waren.

Staatsanwaltschaft wartet

Die Wiener Polizei ist nicht mehr zuständig. Der Akt zu dem tragischen Vorfall in Floridsdorf liegt bei der Staatsanwaltschaft. Dort warte man noch auf ein Obduktionsgutachten, hieß es am Dienstag gegenüber dem STANDARD. (Vanessa Gaigg, Lara Hagen, 26.6.2019)