Der Wohnwagen, in dem der Missbrauch stattgefunden haben soll, wurde von den Behörden mittlerweile vernichtet.

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Es ist Absicht, dass der parlamentarische Untersuchungsausschuss "Kindesmissbrauch" heißt und nicht den Namen jenes Ortes trägt, an dem mehr als 40 Kinder jahrelang von zwei Männern missbraucht worden sein sollen: "Lügde". Schließlich sollen im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen "alle Umstände des massenhaften Kindesmissbrauchs aufgeklärt werden", wie es in einer Erklärung der Fraktionsvorsitzenden von CDU, FDP, SPD und Grünen am Mittwoch heißt.

Lügde ist nur ein Ort von vielen und wurde doch zum Synonym für polizeiliche Ermittlungspannen und Behördenversagen – auf Kosten Minderjähriger. Am Donnerstag startet am Landgericht in Detmold der Prozess gegen drei Angeklagte. Auf einem Campingplatz sollen der heute 56-jährige Andreas V. und der 34-jährige Mario S. hunderte Male Kinder missbraucht und vergewaltigt haben. Das jüngste Opfer war vier Jahre alt. Sie übertrugen ihre Taten teilweise live im Internet. Der dritte Angeklagte, der 49-jährige Heiko V., soll einer der Zuseher gewesen sein. Mindestens vier Mal soll er an solchen Livestreams teilgenommen haben. Ihm wird deshalb Anstiftung und Beihilfe zum sexuellen Missbrauch vorgeworfen.

Vorwürfe gegen Behörden

Die vorgeworfenen Taten reichen teilweise bis ins Jahr 1998 zurück. Erste Hinweise auf den Hauptangeklagten Andreas V. soll es schließlich im Jahr 2002 gegeben haben. Damals soll bei der Kreispolizeibehörde Lippe der Verdacht gemeldet worden sein, dass V. ein achtjähriges Mädchen missbraucht habe. Ob die Polizei in dem Fall geschlampt hat, soll unter anderem in dem offiziellen Untersuchungsausschuss behandelt werden. Ebenso soll das Handeln der Jugendämter und die Kommunikation mit anderen Behören untersucht werden.

Anfang des Jahres eröffnete die Staatsanwaltschaft Detmold ein Verfahren gegen zwei Polizisten, welche die Missbrauchsvorwürfe zwar ans Jugendamt weitergeleitet hatten, aber ihnen nicht nachgegangen waren. Ermittlungen gibt es auch gegen Mitarbeiter des Jugendamts im niedersächsischen Hameln. Andreas V. sei 2016 als Pflegevater für ein fünfjähriges Mädchen eingesetzt worden, obwohl seine pädosexuellen Neigungen bekannt gewesen seien. Im Zuge der Ermittlungen kam zudem Beweismaterial abhanden. Ein Alukoffer und 155 Datenträger sind unter nicht geklärten Umständen aus dem Kriminalkommissariat Lippe verschwunden.

Expertenempfehlungen

Zu Beginn der Woche hatten sich mehrere Experten vor dem Landtag Nordrhein-Westfalens zum Thema Kinderschutz geäußert. Sie schlugen vor, dass das Bundesland einen unabhängigen Kinderbeauftragten einsetzt, wie das bereits in anderen Teilen Deutschlands Standard ist. Außerdem soll die Ausbildung von Mitarbeitern des Jugendamts, der Familienrichter und Kinderpsychologen verbessert werden. Die Experten kritisierten unter anderem die strenge Schweigepflicht von Kinderärzten. Sprechen diese nämlich den Verdacht von Kindesmissbrauch bei den jeweiligen Eltern an, würden diese oft den Mediziner wechseln. Die Ärzte dürfen sich aufgrund der Schweigepflicht aber nicht austauschen, und so kann der Verdacht nicht weitergegeben werden. Außerdem bemängeln die Experten den seltenen Einsatz von Videovernehmungen vor Gericht.

Eben diese sollen nun in Detmold zum Einsatz kommen. Denn auch Opfer werden im Prozess aussagen. Um die Minderjährigen bestmöglich zu schützen, legte das Gericht Vorgehensweisen fest. So durften sich die Kinder vor dem Prozess etwa den Gerichtssaal ansehen. Sollte eines der Kinder nicht per Video befragt werden, können Richter die Anwesenden während der Aussage aus dem Saal schicken oder Trennwände aufstellen lassen. Die Angeklagten müssen sich zudem nach hinten setzen, damit die Kinder sie nicht sehen müssen. Die Richter ziehen während der Befragung ihre Roben aus, um nicht einschüchternd zu wirken. (Bianca Blei, 27.6.2019)