Jagendra Singhs letzte Botschaft an die Welt war ebenso brutal wie kraftvoll. Sie zeigt, wie skrupellos in Indien, aber auch in anderen Teilen der Welt gegen Journalistinnen und Journalisten vorgegangen wird, die Umweltverbrechen und die damit verbundene Korruption aufzeigen.

Forbidden Stories

Singh wurde wegen seiner Recherchen von Polizisten und weiteren Angreifern verprügelt, mit Benzin übergossen und angezündet. Sein Körper war zu 50 Prozent verbrannt. Er starb sechs Tage später. Er hatte aufgedeckt, dass der Sozialminister des indischen Mega-Bundesstaates Uttar Pradesh illegal Sand im Garra-Fluss abbauen ließ und dafür die Polizei täglich mit 150 US-Dollar schmierte.

Singhs Familie, Freunde und Branchenkollegen wurden eingeschüchtert. Der Sohn zog letzten Endes nach einem Vergleich und einer "Spende" des Ministers sogar seine Anzeige zurück. Offiziell verübte Singh Suizid.

Sowohl an den Küsten als auch in den Flussbetten im Landesinneren wird illegaler Sandabbau betrieben.

Mindestens 13 Frauen und Männer starben weltweit in den vergangenen Jahren wegen ihrer Umweltrecherchen. Sie wurden erwürgt, erschossen, überfahren, verbrannt. Im globalen Projekt "Forbidden Stories" versuchen Journalisten im Rahmen einer Kooperation von Zeitungen, jene Geschichten über Korruption, Misswirtschaft und Umweltverschmutzung fertigzuerzählen, für die Branchenkollegen starben.

Milliardenmarkt

In Uttar Pradesh, dem mit 200 Millionen Einwohnern größten Bundesstaat des Subkontinents, blüht die Korruption um illegalen Sandabbau nicht weniger als in anderen Landesteilen. Die boomende indische Wirtschaft verschlingt Unmengen an Ressourcen. Vor allem der Bausektor benötigt jedes Jahr für die Herstellung von Beton Milliarden Tonnen Sand.

In Indien tobt der Kampf um Ressourcen.
DW Deutsch

Weltweit werden jährlich sogar 40 bis 50 Milliarden Tonnen Sand transferiert und verarbeitet, schätzt das UN-Umweltprogramm. Bis 2050 soll der Bedarf um weitere 25 Prozent steigen. Sand gehört damit längst zu einem der meistgehandelten Rohstoffe weltweit. Nur Wasser wird in größeren Mengen umgeschlagen. Aufgrund ihrer Grobkörnigkeit und unterschiedlicher Größen einzelner Sandkörner, aber auch wegen der mitunter enthaltenen seltenen Erden sind große Teile des indischen Sandes dabei gefragter als etwa der feingeschliffene Sahara-Sand.

Sandmafia

Um das lukrative Geschäft mit dem Sand haben sich in den vergangenen Jahren, wenig überraschend, auch kriminelle Strukturen gebildet. "Die Sandmafia gilt derzeit als eine der prominentesten, gewalttätigsten und undurchdringlichsten Gruppen der organisierten Kriminalität in Indien", sagte Aunshul Rege, Professorin an der Fakultät für Strafrecht der Temple University in Philadelphia, zur "Zeit". Viele vermuten die Gruppe hinter zahlreichen Attacken und auch Morden in Indien. Zu Festnahmen kam es in der Vergangenheit einzig und allein im Fall des erschossenen Journalisten Karun Misra.

Illegaler Sandabbau steht in Indien auf der Tagesordnung.
Foto: APA/AFP/SANJAY KANOJIA

Auch Sandhya Ravishankar kann ihre Recherchearbeit aus Angst um ihr Leben derzeit nicht fortsetzen. "Forbidden Stories" fand stellvertretend für sie heraus, dass 837 Millionen Tonnen Mineralien illegal von Stränden an der mehr als 1.000 Kilometer langen Küste Tamil Nadus abgetragen wurden. Mindestens zwei Millionen Tonnen sollen auch trotz eines entsprechenden Verbotes zwischen 2013 und 2016 ins Ausland – unter anderem auch nach Deutschland – exportiert worden sein. Denn Sand steckt nicht nur im Beton, sondern auch in Kosmetika, in Reinigungsmitteln oder Autoteilen. Auch als weiches "Bett" für Unterwasserkabel wird Sand häufig benötigt.

Nur Wasser wird weltweit in größeren Mengen gehandelt als Sand.
Foto: APA/AFP/SANJAY KANOJIA

Der Abbau entlang der indischen Küste fördert dabei die Erosion so sehr, dass zunehmend Salzwasser ins Landesinnere und damit in das Grundwasser dringt. Das Trinkwasser versalzt, Bäume und Pflanzen verkommen dadurch zunehmend. Mindestens 300 Menschen haben allein in Kovalam an Indiens Südwestküste bereits ihre Heimat verlassen müssen. Dabei setzen sich Erosionsschäden oft auch noch Jahre nach Beendigung von Abbauarbeiten fort.

Grönlands unverhoffter Sandboom

Pikanterweise könnte die Erderwärmung das Verlangen nach indischem Sand aber mindern. Das Abschmelzen der dicken Eisschicht über Grönland trägt nämlich dazu bei, dass jährlich fast eine Milliarde Tonnen Gestein unter der enormen Last erodiert und als Kies, Schlamm und eben Sand in die Fjorde fließt. Das entspricht in etwa einem Zehntel der weltweit in die Meere eingetragenen Sedimente. Seit 1980 hat sich die Menge geschmolzenen Eises zudem versechsfacht.

Manch Grönländer sieht im schmelzenden Eis gewaltige wirtschaftliche Möglichkeiten.
Lars Lønsmann Iversen

Noch wird weltweit der Großteil des abgebauten Sandes innerhalb eines kleinen Radius von etwa 50 Meilen verwendet, sagte der Mineralienexperte Jason C. Willet kürzlich der "New York Times". Das großflächige Verschiffen ist ob des niedrigen Preises für Grönland noch nicht rentabel, könnte es aber aufgrund strengerer Umweltschutzrichtlinien und einer stetig wachsenden Nachfrage nach Sand noch werden. Für bisherige Opfer der Klimakatastrophe wie Grönland öffnen sich so neue Geschäftsmöglichkeiten – die den CO2-Ausstoß ein weiteres Mal befeuern. (Fabian Sommavilla, 16.7.2019)

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