Woher das Wasser für die Seen unter dem Eis kommt, ist nicht im Detail geklärt. Ein Großteil dürfte jedoch von der schmelzenden Oberfläche der grönländischen Gletscher stammen.
Foto: Winnie Chu/Stanford University

Der grönländische Eispanzer erstreckt sich über eine Fläche von annähernd 1,8 Millionen Quadratkilometern und bedeckt dabei etwas mehr als 80 Prozent der größten Insel der Erde. Nach dem antarktischen Eisschild ist dies die zweitgrößte zusammenhängende und permanent bestehende Eismasse unseres Planeten. An manchen Stellen erreicht das Eis eine Dicke von mehr als drei Kilometern.

Doch die bisherigen Verhältnisse sind bekanntermaßen gerade im Umbruch: Die steigenden Temperaturen als Folge des Klimawandels nagen mittlerweile von allen Seiten an den mächtigen Gletschern. Laut jüngsten Untersuchungen hat sich der Eisverlust in Grönland seit den 1980er-Jahren vervierfacht: Jährlich verwandeln sich über 280 Gigatonnen Eis in Süßwasser. Aktuell sind das an manchen Junitagen bis zu zwei Gigatonnen täglich (als zwei Kubikkilometer) – viel zu viel für diese Jahreszeit.

Kein seltenes Phänomen

Es schmilzt jedoch nicht nur an der Oberfläche der Gletscher, auch an der Unterseite geht Eis verloren. Das Ergebnis sind vereinzelte isolierte Seen tief unter dem Eispanzer, wie ein Team aus britischen und US-amerikanischen Wissenschaftern 2013 erstmals nachweisen konnte. Damals entdeckten die Forscher im äußersten Nordwesten Grönlands mithilfe eines speziellen Eisradars an Bord eines Flugzeugs zwei subglaziale Wasserkörper in rund 800 Metern Tiefe von jeweils acht bzw. zehn Quadratkilometern Ausdehnung. Zwei weitere Seen von ähnlicher Größe konnten in den folgenden Jahren ausgemacht werden.

Aufgrund dieser geringen Zahl ging man bisher davon aus, dass es sich bei solchen Wasseransammlungen – im Unterschied zur Antarktis, wo bislang annähernd 400 subglaziale Seen kartiert werden konnten – unter dem grönländischen Eis um ein eher seltenes Phänomen handelt. Ein Irrtum, wie eine nun im Fachjournal "Nature Communications" veröffentlichte Beobachtung zeigt: Eine Forschergruppe um Jade Bowling von der britischen Universität Lancaster entdeckte 56 weitere subglaziale Seen an der Unterseite des grönländischen Eispanzers. Damit steigt die Zahl bekannter Wasserkörper unter dem arktischen Eis auf 60.

Ein Teil dieser Flüsse, die sich während der sommerlichen Schmelzphasen an der Oberfläche der Gletscher Grönlands bilden, versickert im Untergrund und findet letztlich seinen Weg bis zum basalen Felsgestein.
Foto: Andrew Sole/University of Sheffield

Wie solche Seen tief unter dem arktischen Eis zustande kommen, ist bisher nicht bis ins letzte Detail geklärt. Wissenschafter vermuten mehrere Quellen: Ein Teil des Wassers entsteht durch den Druck, den die enormen Eismassen auf die darunterliegenden Felsen ausüben. Wärme, die beim Fließen der Gletscher frei wird, dürfte ebenso zum Schmelzen des Eises an der Unterseite beitragen. Darüber hinaus liefern vermutlich auch geothermale Aktivitäten einen entsprechenden Beitrag zum Schmelzvorgang im Untergrund. Ein Gutteil des Wasseranteils dürfte jedoch von der Oberfläche stammen, wo Schmelzwasser allmählich durch Spalten bis ganz nach unten vordringt.

Subglaziale Inventur

Die Wissenschafter analysierten für ihre aktuelle Kartierung Radardaten, die per Flugzeug auf einer Strecke von mehr als 500.000 Kilometern gesammelt wurden. Diese Untersuchung ermöglichte damit erstmals ein umfassendes Inventar der tiefliegenden Wasserkörper unter dem Eisschild von Grönland.

"Über die antarktischen subglazialen Seen weiß man mittlerweile, dass sie die Bewegung und das Abschmelzen der dortigen Gletscher beschleunigen", sagt Bowling. Die nun identifizierten zwischen 0,2 und 5,9 Kilometer langen Seen unter Grönlands Eis erscheinen dagegen relativ stabil – zumindest vorerst. In Zukunft dürften aber auch sie nach Ansicht der Forscher dazu beitragen, dass der grönländische Eisschild zunehmend ins Rutschen gerät. (Thomas Bergmayr, 26.6.2019)