Wien – Wenn eine ganze Abteilung mit über 100 Mitarbeitern von einem Spital in anderes zieht, in dem noch dazu auch in den anderen Abteilungen alle ihre ersten Tage absolvieren, dann gibt es einiges zu berichten. Fragt man Ayman Tammaa, Vorstand der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe im Krankenhaus Nord, was ihm da besonders aufgefallen ist, bekommt man eine unerwartete Antwort.

Neue Geräte, andere Abläufe, Zusammenarbeit mit fremden Menschen? Fehlanzeige. Der Arzt nennt etwas anderes als Erstes: "Die Leute grüßen hier sehr viel. Am Gang, im Lift, beim Essen. Alle bemühen sich sehr." Es sei "auffallend, dass nahezu jede und jeder ausgesprochen freundlich und – auch in schwierigen Situationen – ehrlich bemüht ist, zur Lösung der meist organisatorischen Probleme beizutragen".

Ein noch leerer Gang auf der Geburtenstation. Bald sollen Fotos von Neugeborenen die Wände zieren.
Foto: Regine Hendrich

Bis Anfang Juni arbeitete Tammaa an der Semmelweis-Frauenklinik. Die wurde aufgelassen, das Team werkt nun im neuen Spital in Floridsdorf. Auch Abteilungen aus anderen Spitälern sind dorthin übersiedelt. Die Mannschaft im Krankenhaus Nord ist also eine bunt zusammengewürfelte. Sind plötzlich alle netter geworden? Wohl kaum. Dass der Neustart im neuen Haus mit vielen neuen Menschen eine Herausforderung ist, sei allen bewusst. Da brauche es auch gegenseitige Freundlichkeit und Offenheit, sagt Tammaa. Schließlich gehe es auch darum, eine gemeinsame Kultur zu entwickeln. Er hoffe, dass sich diese gemeinsame Kultur des "konstruktiven Miteinanders" noch viele Jahre bewahren lässt.

Anstrengende Tage

Tammaa sitzt in einem kleinen Besprechungsraum der Geburtenstation im zweiten Stock. Den Umzugs- und Eingewöhnungsstress merkt man ihm nicht an, er spricht gelassen über die letzten Wochen. "Es ist wenig Überraschendes passiert, im Gegensatz zu so manchen Unkenrufen, die es gegeben hat."

Mitte Juni wurde im Krankenhaus Nord das erste Baby geboren. Für das ehemalige Semmelweis-Team medizinische Routine. Das größte Thema seien momentan noch Prozessschritte, die von der EDV und der IT abhängig sind, weil hier teilweise auch externe Firmen beteiligt seien, die nicht immer sofort greifbar sind. Die Eingewöhnung sei auch sicher nicht eine Sache von Tagen oder Wochen. Der Arzt rechnet eher mit Monaten, bis alle und alles eingespielt ist.

Da nickt auch Dany Herzlinger. Die leitende Hebamme des neuen Spitals ist ebenfalls zufrieden mit den ersten Tagen am neuen Arbeitsplatz. "Nach der ersten Woche waren wir wahrscheinlich alle streichfähig. Das waren vier Tage intensiver Einschulungen, die wir da durchgepeitscht haben. Durchgepeitscht klingt jetzt vielleicht arg, es war aber auch so." Nach wie vor stehe im Vordergrund, sich an neue Abläufe zu gewöhnen, dabei trete immer wieder Neues auf. Herzlinger sammelt diese Infos auf großen Plakaten, die gut sichtbar beim sogenannten "Stützpunkt" hängen, einer Art Administration mitten in der Station. "So sehen alle auf den ersten Blick, wenn sie zur Arbeit kommen, was es zu beachten gibt. Ich denke, das ist sinnvoller als eine Vielzahl an Mails."

Ein Neugeborenes auf dem Weg in sein Zimmer.
Foto: Regine Hendrich

Geburtenzimmer statt Kreißsaal

Von der Stille des letzten Tages an ihrer alten Wirkstätte, der Semmelweis-Klinik, ist heute nichts zu spüren. Während Herzlinger durch die Station führt, ertönt bald schon ein lauter Schrei eines Babys aus einem Kreißsaal, der hier – zumindest laut Türschild – Geburtenzimmer heißt. Auch das war eine Idee für den Umzug. "Sprache verändert Verhalten", sagt Herzlinger. "Mir war es ein großes Anliegen, da an den Begriffen was zu ändern. Kreißsaal kommt ja vom Kreischen." Obwohl es ihre eigene Idee war, komme das Geburtenzimmer ihr noch nicht über die Lippen, sagt Herzlinger und lacht. "Das wird schon noch."

Gewöhnungsbedürftig ist im neuen Spital für das eingeschweißte Team auch manch anderes. Die Fieberkurve zum Beispiel. Dabei handelt es sich um ein Papier, auf dem alle möglichen Daten über Patientinnen und Patienten gesammelt werden – ihre Werte, aber auch, welche Medikamente sie bekommen. In der Semmelweis-Klinik hatte Herzlinger mit ihrem Team eine speziell auf die Geburtshilfe zugeschnittene Fieberkurve etabliert und angewendet. Hier im Krankenhaus Nord wird anders dokumentiert. "Ich verstehe, dass es einheitlich sein soll. Die Interne könnte mit unserer Schreibweise wenig anfangen. Aber das ist etwas, das uns momentan noch abgeht."

Geburtenzimmer statt Kreißsaal – auch eine sprachliche Änderung brachte der Umzug.
Foto: Regine Hendrich

Andere Dinge haben sich mit dem Umzug verbessert. Herzlinger steht nun im "Sozialraum", in dem sich die Mitarbeiter zwischendurch ausruhen können. "Der Geschirrspüler und der Herd, die freuen uns sehr." In der alten Klinik hätten die Hebammen die Patienten-Mikrowelle benützen müssen und später alles händisch abwaschen. Gegenüber der kleinen Küchenzeile liegen am Fensterbrett DVDs und Kartenspiele. "Kleine Erinnerungsstücke aus der Semmelweis-Klinik."

Kaiserschnitt-Alarm

"Echt cool" findet Dany Herzlinger auch den neuen Kaiserschnitt-Alarm. Die Hebamme drückt den entsprechenden Knopf neben dem Bett der Patientin, und alle involvierten – Kinderarzt, Anästhesist, Chirurg – werden sofort informiert. "Es gibt auch unterschiedliche Farben für die Dringlichkeit", führt die Hebamme aus. Über eine Abkürzung geht es dann in den eigenen Kaiserschnitt-OP. Und für die spezielle Nachbetreuung gibt es ein eigenes Zimmer.

Apropos Nachbetreuung: Auch hier hat der Umzug eine wesentliche Neuerung gebracht, die sich Herzlinger schon vor Jahren gewünscht hatte. Nach der Geburt betreuen im Krankenhaus Nord nämlich Hebammen die Mütter und ihre Babys, nicht mehr die Pflegekräfte. Auch hier brauche es vor allem Zeit, bis das neue Konzept sich wirklich durchsetzt, ist Herzlinger überzeugt. Für sie sind 100 Tage ein guter Wert, um eine erste Bilanz zu ziehen.

In allen sieben Geburtszimmern gibt es Zugang zu einer Geburtswanne.
Foto: Regine Hendrich

Hinter der elektronischen Tür zum Geburtenbereich wartet ein ungeduldiger Vater. Wenige Momente später wird er sein Baby zwei Stockwerke weiter oben ins Zimmer schieben, seine Partnerin kommt im Bett hinterher. Mit dem Umzug haben sich auch die Besuchszeiten verändert. Den lächelnden Vater betrifft das nicht – Väter können den ganzen Tag mit ihrem neuen Familienmitglied verbringen. "Für die Restverwandschaft sind wir aber strenger geworden. Die dürfen nur noch für eine Stunde pro Tag auf die Station", sagt Herzlinger. Es gehe dabei um das Wohl von Frau und Kind. "Wir möchten ja, dass die sich erholen. Da sind die vielen Besuche oft ein Hindernis. Und allzu lange bleiben die Frauen mittlerweile ohnehin nicht mehr in den Spitälern nach einer Geburt."

Vollbetrieb ab September

Die Tür zum Zimmer geht zu, nun ist es wieder still. Zumindest für kurze Zeit. Ende des Sommers werde man deutlich mehr Betrieb wahrnehmen, sagt Herzlinger. Für Juni und Juli hat das Team im Krankenhaus Nord 100 statt der üblichen 180 Anmeldungen angenommen. Im August steigert sich das auf 150, und im September sei man dann beim Normalbetrieb angelangt. Dann sollten auch die Wände am Gang nicht mehr so karg aussehen, sondern erste Fotos hängen: Besucher und Mitarbeiter werden dann von müde dreinblickenden Babys empfangen – und von freundlich grüßenden Mitarbeitern. (Lara Hagen, 30.6.2019)