Jeanne Calment ist bisher ungeschlagen. An ihrem Todestag war die Französin 122 Jahre und 164 Tage alt – und damit der älteste Mensch, der jemals gelebt hat. Glaubt man dem nicht unumstrittenen Alternsforscher Aubrey de Grey, sind wir aber noch lange nicht an der Grenze des Möglichen angelangt: Der Mensch, der einmal seinen tausendsten Geburtstag feiern wird, könnte heute bereits geboren sein. Man müsse nur das Problem an der Wurzel packen und den Alterungsprozess aufhalten oder verlangsamen.

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Die vermeintlich einfache Lösung dafür liegt in der Gerontologie, der Alternsforschung. Vor 20 Jahren sei hier eine neue Ära angebrochen, erzählt Pidder Jansen-Dürr, Leiter des Instituts für biomedizinische Alternsforschung an der Uni Innsbruck. Damals war man in kurzlebigen Organismen wie Würmern auf Gene gestoßen, die diese vorzeitig altern und sterben ließen. Evolutionär gesehen haben Lebewesen ihren Auftrag erfüllt, sobald die eigenen Gene an genügend Nachkommen weitergegeben wurden. Danach kommen Mechanismen ins Spiel, die zum Ableben führen. Es zeigte sich, dass Würmer, Fliegen und Mäuse bis zu doppelt so lang lebten, sobald man diese Gene veränderte. Auch sogenannte seneszente, also alte Zellen, die sich nicht mehr teilen, tragen zum Altern bei, da sie dem umliegenden Gewebe schaden.

Eines der Wundermittel der Alternsforscher sind daher sogenannte Senolytika. Sie erlauben es, seneszente Zellen zu entfernen, die im nächsten Schritt mit körpereigenen Stammzellen ersetzt werden könnten. Mäuse lebten auf diese Weise deutlich länger. Zusätzlich könnten auch Krankheiten wie Nieren- oder Herzleiden abgewendet werden. "Alterungsprozesse aufzuhalten und so zusammenhängende Krankheiten zu verhindern scheint ein gangbarer Weg zu sein", sagt Jansen-Dürr. "Aber wie das beim Menschen ist, wissen wir noch nicht – auch wenn manche Kollegen das weniger vorsichtig formulieren."

Altern als heilbare Krankheit

Alex Zhavoronkov, Gründer des US-Biotechnologieunternehmens Insilico Medicine, ist einer dieser Optimisten. Er sieht das Altern nicht als natürlichen Prozess, sondern vielmehr als eine fortgeschrittene Krankheit, wie er Anfang Mai beim Pioneers-Festival in der Wiener Hofburg erklärte: "Konservativ gesehen rechnen wir mit einer Lebenserwartung von 150 Jahren.

Es gibt aber viele Gründe zu glauben, dass wir noch viel länger leben können." Sein Team hat sich auf sogenannte Aging Clocks spezialisiert – also auf Methoden, die jenseits des chronologischen Alters Aufschluss über die Gesundheit einer Person geben können. Dabei analysiert künstliche Intelligenz Daten aus Blut- und Urintests, aus Genomsequenzierungen und Bakterien im Verdauungssystem. Dann wird das biologische Alter einer Person bestimmt: "Wenn man jünger aussieht – äußerlich oder innerlich -, ist man statistisch auch weniger anfällig für Krankheiten", sagt Zhavoronkov, auch Autor des Buches The Ageless Generation, im Gespräch mit dem STANDARD. "Wir suchen nach Molekülen, die diesen jungen Zustand imitieren und so die seneszente Struktur rückgängig machen."

Zweifel, ob die Mausversuche wirklich auf den Menschen übertragbar sind, hindern ihn und andere nicht daran, ihre Forschung tatkräftig zu vermarkten. Analysten der Bank of America schätzen, dass der "Langlebigkeitsmarkt" bis 2025 ganze 600 Milliarden Dollar schwer sein könnte.

Insilico Medicine wird unter anderem von dem Pharmariesen Glaxo Smith Kline gesponsert. Auch die Superreichen des Silicon Valley sind auf den Geschmack gekommen: Amazon-Chef Jeff Bezos und Paypal-Gründer Peter Thiel stecken viel Geld in das Start-up Unity Biotechnology, das zu Senolytika forscht. Thiel unterstützt Aubrey de Grey – den Mann, der an die baldige Existenz tausendjähriger Menschen glaubt. Zwei Google-Mitgründer gründeten 2013 die Firma Calico mit dem Ziel, noch weiter zu gehen und das Problem des Todes gleich ganz zu lösen. Aber wollen wir das?

Foto: iStockphoto/malerapaso

Probleme mit dem langen Leben

Die Suche nach dem Jungbrunnen gibt es seit Anbeginn der Menschheit. Chinas erster Kaiser wollte für immer leben und ließ nach dem Elixier des Lebens suchen. Französische Adelige des 16. Jahrhunderts tranken Gold in der Hoffnung auf ein ewiges Leben. Eine unsterbliche Maus gebe es aber noch nicht, sagt Jansen-Dürr; von einer Anwendung als Pharmazeutikum seien wir weit entfernt. Aber es ist eine Grauzone entstanden, in der manche dieser Stoffe bereits als Nahrungsergänzungsmittel käuflich sind.

Selbst der Genetiker David Sinclair von der Universität Harvard räumte Anfang des Jahres ein, Präparate zu schlucken, die er an Mäusen getestet hatte. Seither sei sein biologisches Alter signifikant gesunken. Ein paar Jahre davor war die Zeit noch nicht reif: 2008 verkaufte Sinclair seine Firma Sirtris Pharmaceuticals, die zu Resveratrol geforscht hatte, um 720 Millionen Dollar an Glaxo Smith Kline. Fünf Jahre später wurde das Unternehmen geschlossen: Die Forschung stockte, Nebenwirkungen von Resveratrol waren nicht ausgeschlossen.

Gerontologe Jansen-Dürr warnt vor einem Hype – Langzeitstudien würden fehlen, ethische und gesellschaftliche Fragen seien unbeantwortet: "Will ich damit nur akut einen Krebspatienten behandeln, bei dem es um Leben und Tod geht, oder ist es legitim zu sagen, man nimmt diese Mittel prophylaktisch, etwa gegen Alzheimer?" Auch Christiane Druml, Leiterin des Unesco-Lehrstuhls für Bioethik an der Medizinischen Universität Wien, ist skeptisch.

Soziale Ungleichheit

Sie verweist auf die soziale Dimension des Themas: "Sobald solche Behandlungen sehr aufwendig und teuer werden, werden sie wohl kaum von einem Staat für alle Bürger zur Verfügung gestellt. Dadurch werden sie nur wohlhabende Menschen erreichen, die Kenntnis darüber haben – und das ist natürlich selektiv."

Ungleichheiten bezüglich Lebenserwartung sind bereits jetzt, ohne Einsatz dieser Technologien, sichtbar: Im globalen Süden und einigen osteuropäischen Ländern leben Menschen mit höherer Bildung schon heute bis zu zehn Jahre länger als sozial Schwächere, sagt Demograf Sergei Scherbov. In Ländern wie den USA oder Deutschland ist die Lebenserwartung zuletzt sogar leicht gesunken. Selbst in Österreich beeinflusst das Soziale die Lebensdauer, wie die Armutskonferenz berechnete: Armutsbetroffene sterben rund zehn Jahre früher als der Rest der Bevölkerung, Wohnungslose sogar rund 20 Jahre früher. Bewohner des ersten Wiener Gemeindebezirks leben im Schnitt vier Jahre länger als jene des ärmsten, des 15. Bezirks.

Claudia Wild, Leiterin des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Health Technology Assessment, schlägt deshalb einen anderen Fokus auf die Lebenserwartung vor: "Wenn wir in das Gesundheitswesen investieren wollen, sollten wir lieber versuchen, diese Kluft zu schließen, anstatt Menschen noch älter zu machen." Für sie gibt es auch keinen gesellschaftlichen Bedarf, noch älter zu werden. Vielmehr gehe es darum, das Altern in der Gesellschaft aufzuwerten: "So könnte das Sterben sichtbarer und der Abschied vielleicht etwas leichter werden." (Katharina Kropshofer, 28.6.2019)

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