Foto: Screenshot/GameStandard

Das hässlichste Spiel der Welt. Ich will es finden, auch wenn ich weiß, dass "hässlich" – genauso wie "schön" – ein äußerst subjektiver Begriff ist. Doch bekanntlich ist der Weg das Ziel, und am Wegesrand werde ich mit Sicherheit die eine oder andere Erkenntnis pflücken können: Was empfinden wir bei Computerspielen überhaupt als hässlich? Gibt es einen klaren Zusammenhang zwischen "hässlichen" und mechanisch oder inhaltlich "schlechten" Spielen? Existiert so etwas wie eine Ästhetik der Hässlichkeit jenseits von amüsanter Ulkigkeit? Jedenfalls erscheint es mir sinnvoll, die Grenzen des Ansehnlichen abzustecken, indem ich mich in jene Winkel begebe, in denen für eine ansprechende Gestaltung das Geld, die Zeit, das Talent oder schlicht der Wille fehlt. Ich halte mir die Nase zu, setze die Schutzbrille auf und beginne meinen Abstieg.

Legendär hässlich

Nützliche Hinweise erhoffe ich mir von Heinrich Lenhardts monatlicher Gamestar-Rubrik "Legendär schlecht", in der die Klassiker unter den verzichtbaren Spielen vorgestellt werden. Denn etwas scheint nach ein wenig Internetrecherche klar: Es muss zwangsläufig ein klarer Zusammenhang zwischen Mechanik und Ästhetik bestehen, sie bedingen einander. Natürlich gibt es sie, die hässlichen Entlein unter den Spielen, in denen bei genauerer Betrachtung ein schöner Mechanikschwan schlummert, doch meistens sind hässliche Spiele auch langweilig und einfach schlecht. So. Nichts gegen zweckdienliche und simple Gestaltung, aber halbwegs nett verpacken sollte man sein Werk dann doch. Denn wen interessieren die inneren Werte, wenn man schon beim Anblick des Startbildschirms schreiend davonlaufen will? Eben.

Papa Boris

Okay, ein Beispiel neueren Datums für eine gewisse Diskrepanz zwischen Aussehen und Spielspaß sei hier doch erwähnt: Dream Quest aus dem Jahr 2014, eine verwegene Mischung aus Rogue-like und Magic: the Gathering-Abklatsch. Ich sage nur: Mit Paint handgezeichnete Strichmännchen und Karten-Illustrationen, munter zusammengewürfelte Grafikbausteine uneinheitlichen Stils, überfrachtete Textfenster – Hilfe! Ein Grafiker war daran wohl nicht beteiligt. Doch wer die Zähne zusammenbeißt und nur mit halbem Auge hinsieht, der erhält – so geht die auf Steam verbreitete Kunde – ein durchaus lohnendes Spielerlebnis. Manchmal ist ein starker Magen eben von Vorteil. Ich selbst habe allerdings keinen. Ängstlich begebe ich mich immer tiefer in Lenhardts Archiv, um den Schlechtigkeits-Legenden nachzuspüren. Erste Anzeichen von Übelkeit machen sich bemerkbar.

CDiFan237

Hier finden sich Perlen wie Superman 64 für den Nintendo 64, in dem man als blau-roter Klotz mit Umhang in ziemlich verwaschenen Levels durch Ringe fliegt. Neben der Oberfläche ist auch das Gameplay nicht allzu prickelnd. Lenhardt spricht zu Recht von einem "Spiel wie Kryptonit". Superman sollte seine Heldenkarriere eindeutig an den Nagel hängen und sich ganz auf sein Leben als Brillenschlange Clark Kent konzentrieren. Das ist schon mal ein früher Anwärter auf den Hässlichkeits-Thron, befinde ich. Eine Sache sollte bei dieser Suche jedoch stets berücksichtigt werden: Spiele müssen möglichst bereits zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung als unansehnlich gelten (sofern sich dies nachvollziehen lässt), schließlich wäre es nicht gerecht, etwas Jahre oder gar Jahrzehnte später als hässlich einzustufen, weil es "bloß" schlecht gealtert ist. Wäre ja auch unfair, seinem Opa zu sagen: Hey, du siehst aber nicht so geil aus wie dieser Waschbrett-Michel aus dem einen Film!

Stormspirit 86

Auch die Stephen-King-Verwurstung The Dark Half oder das Grusel-Adventure Darkseed werden vorgestellt, beides wahrlich keine Augenschmeichler. Vielleicht hat auch einfach jemand eine Wette verloren. Plumbers Don't Wear Ties kann als Beispiel für einen Sonderfall der Hässlichkeit herangezogen werden, denn statt durch eine klassische Spielumgebung müht sich der Spieler durch Standbilder aus Echtweltszenen, mehr wie in einem interaktiven Fotoroman – wobei es mit der Interaktivität nicht weit her ist, nur alle paar Minuten darf durch eine Multiple-Choice-Auswahl der weitere Handlungsverlauf beeinflusst werden. Diese Standbilder sind allerdings nicht sehr hübsch anzusehen. Professionell ausgeleuchtet wurde da nichts, auch mit Kulissen oder Garderobe hat sich wohl niemand länger auseinandergesetzt. Es wirkt, als hätten die Macher mal eben ein paar befreundete Laiendarsteller gebeten, in Alltagsklamotten zu schlüpfen, um auf dem Parkplatz oder im eigenen Badezimmer verwackelte Fotos zu schießen – genauso muss es sich abgespielt haben. Zu allem Überfluss wurden einige Bilder mit seltsamen Filtern verfremdet, was wohl "cool" sein soll. Auf dieses neumodische Zeug stehen die jungen Leute doch!

GameZard

Zugegeben: Wer bei Videospielen auf reale Schauspieler setzt, tritt in Konkurrenz zum teuren Look großer Filmproduktionen, den wir als Kinogeher gewohnt sind. Dagegen kann man ja fast nur abstinken. Viel gravierender wird diese unfaire Gegenüberstellung bei tatsächlichen Realfilm-Sequenzen, wie sie die Command & Conquer-Reihe zwischen den Missionen eingestreut hat. Anfangs noch eher um Ernsthaftigkeit bemüht, gerieten diese Minifilmchen gerade im *Red Alert-Paralleluniversum selbstbewusst trashig. Die Billigkeit der Kulissen und das übertriebene Gebaren der Schauspieler waren also "freiwillig komisch" und bewiesen damit auch einen gewissen Mut zur Hässlichkeit.

Rocket Beans TV

Cry Engine

Auf Youtube nimmt sich der deutsche Kanal Rocket Beans TV des Themas an und präsentiert mit "Die hässlichsten Spiele aller Zeiten" eine gelungene Top-Ten-Liste. Platz acht belegt berechtigterweise Zelda – The Wand of Gamelon mit seinen Zwischensequenzen in wirklich peinlichem Zeichentrickstil. Ein negatives Highlight ist mit Platz sechs The You Testament, ein mit Bibelzitaten angereichertes 3D-Adventure, in dem wir römische Soldaten vermöbeln und uns mit Jesus anfreunden. Alles reichlich bizarr und nur bedingt für die Missionierung Ungläubiger geeignet. Die visuelle Gestaltung der fruchtbaren Jordanlandschaft legt nahe, dass man ins Fegefeuer verbannt wurde, aus dem man sich nun herauskämpfen muss. Man begegnet kantigen Figuren mit platten, schmerzverzerrten Gesichtern und weit aufgerissenen Augen. Ich leide still mit. Auch der Heiland selbst wirkt wie von einem Dämonen besessen, eine Teufelsaustreibung scheint angebracht. Superman 64 (das in dieser Auflistung immerhin den dritten Platz belegt) bekommt jedenfalls starke Konkurrenz. Amen.

hfric

Zum wohlverdienten Spitzenreiter kürt Rocket Beans TV das Beat 'em up Executioners (1992) von Bloodlust Software, bei dem jeder Strich der unsachgemäßen Handhabe von Paint geschuldet scheint. Darin prügelt sich der Spieler vor dem Hintergrund einer nächtlichen Großstadt durch Horden grunzender Unterweltgestalten. Der größte Gegner bleibt dabei mit Sicherheit stets die Grafik. Allerdings: Geschaffen wurde Executioners von zwei damals 15-jährigen Highschoolfreunden. Eine durchaus beachtliche Leistung; einen Hässlichkeits-Award sollte man ihm nur mit einigem schlechten Gewissen verleihen. Ich habe weniger davon, als ich vielleicht sollte.

Ich studiere weitere englischsprachige Worst-of-Listen der Spiele-Optik. Insgesamt fällt auf, dass sich viele davon explizit auf außergewöhnlich hässliche Helden und Charaktermodelle beziehen. Zwar bekommen auch verwaschene Texturen und polygonarme Fahrzeuge ihr Fett ab, doch anscheinend beschäftigt Spieler nichts so sehr wie die unzulängliche Darstellung von Menschen beziehungsweise die eigene Entsprechung in der Spielwelt.

Digitaler Mord

Äußerst ergiebig fällt die Beschäftigung mit sogenannten Fake Games aus, wie sie seit einiger Zeit den Steam Store verstopfen. Hier wird nicht im eigentlichen Sinn designt oder entwickelt, sondern rasch etwas zusammengeschustert, das mit einigem Wohlwollen gerade noch als eine Art Spiel durchgehen kann. Käufer, die diesen Halunken in die Falle tappen, streichen im besten Fall ein paar Achievements oder Trading Cards ein, die in der Steam-Ökonomie genutzt werden können. Oft kommen sogenannte Asset Flips zur Anwendung, also das ungenierte Wiederverwerten oftmals gestohlener Grafikbausteine. Eine Art Kanalarbeiter in den Untiefen der Schrottspiele ist der britische Youtuber und Berufszyniker Jim Sterling; bei einem seiner Erzfeinde, dem Entwickler Digital Homicide Studios, erhoffe ich mir Hässlichkeit einer neuen Qualität – und werde nicht enttäuscht!

Jim Sterling

Um die zwanzigminütige "Digital Homicide Library Review" zu ertragen, ist schon einiges an Willenskraft vonnöten. Da finden sich ungenießbare Machwerke wie Temper Tantrum oder der Space Invaders-Klon Krog Wars. Ihr berüchtigtstes "Spiel" ist jedoch mit Sicherheit der Action-Titel The Slaughtering Grounds, ein Zombieshooter im weitesten Sinn. Hier stimmt einfach nichts: Die Steuerung ist unpräzise, das Gameplay ein dröges Abknallen gleichförmiger Dumpfbackengegner, ein Spielziel ist kaum vorhanden. Potthässlich ist es sowieso – jedoch nicht auf eine liebenswerte, unbeholfene Art, sondern Resultat fauler, menschenverachtender Gier. Der Spieler bewegt sich durch ein tristes Industriegelände, der Boden graubrauner Grasmatsch. Ständig poppen grobe Büsche auf, die wohl erst aus einem Speicher ins Spielgeschehen geschaufelt werden müssen. Die Gebäude sind grau und leer, die Waffenskins seltsam glatt und detailarm. Würg! Kein Wunder, dass der Spieler Amok läuft und watschelnde Retorten-Zombies abknallt, was die immergleiche Blutfontänenanimation auslöst. Nachgoogeln auf eigene Gefahr!

Jim Sterling

Überteuert war The Slaughtering Grounds zu allem Überfluss auch noch (als es noch verfügbar war), und regelmäßige Abstürze gab es sowieso. Hier will jemand abzocken und gibt sich nicht einmal die Mühe, es groß zu verschleiern. Besonders lächerlich ist die Tatsache, dass die Grafik-Assets der eingeblendeten Blutschlieren nur eine Google-Suche entfernt sind.

KingKire

Zwischen Ende 2014 und Ende 2016 brachte es Digital Homicide auf gezählte 21 Eintragungen auf Steam, mittlerweile sind sie alle von der Plattform verschwunden. Denn nicht nur Sterling wurde mit einer Verleumdungsklage über zehn Millionen Dollar eingedeckt, auch gegen kritische Steam-Nutzer wurde sehr rabiat vorgegangen. Mittlerweile hat Digital Homicide es jedoch aufgegeben, auf dem Rechtsweg bessere Kritiken einzufordern, alle Klagen wurden zurückgezogen. Nach Sichtung der meisten Titel ist gewiss: Wirklich jeder einzelne würde das Prädikat "hässlich" verdienen.

Und die Gewinner sind ...

Stellvertretend küre ich also The Slaughtering Grounds zum hässlichsten Spiel der Welt. Der gute Jim Sterling hätte sicher seine Freude damit. Knapp dahinter folgen Superman 64 und The You Testament. Wir gratulieren herzlich! (Lukas Meschik, WASD-Nr. 15, 30.6.2019)