Wien – Es geht recht international zu beim Gerichtsverfahren gegen Magomed A. vor einem Geschworenensenat unter Vorsitz von Andreas Böhm. Der 29-jährige Angeklagte ist Kasache, soll mit Tschetschenen in Syrien gegen die Assad-Truppen und in der Ukraine gegen prorussische Rebellen gekämpft haben, ehe er im Dezember 2015 nach Österreich reiste und hier mit falschen Dokumenten als Russe Asyl bekam.

Nach Hinweisen des kasachischen Geheimdiensts flog die Täuschung auf, die von dem zentralasiatischen Staat begehrte Auslieferung wurde von Österreich aber abgelehnt, da es rechtsstaatliche Bedenken gegen ein Verfahren in A.s Heimat hatte. Also wird der glatzköpfige Hüne nun von drei österreichischen Justizwachebeamten in schusssicheren Westen in den Saal geführt.

Foto von Tochter mit Kopftuch

Der Unbescholtene lebte mit seiner nach islamischem Recht angetrauten Gattin und der gemeinsamen dreijährigen Tochter zuletzt von 365 Euro Sozialhilfe, verrät er bei der Überprüfung der persönlichen Daten. "Die Tochter muss ja trotz ihres jungen Alters auch schon ein Kopftuch tragen, habe ich mit Entsetzen bemerkt", merkt der Vorsitzende an. "Nein, muss sie nicht", lässt der Angeklagte übersetzen. "Es gibt aber ein Foto im Akt!", erwidert Böhm. "Das war nur für das eine Foto", beschwichtigt A. daraufhin.

Der Staatsanwalt wirft ihm die ganze Bandbreite terroristischer Straftaten vor: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation, terroristische Straftaten – darunter Mordversuch durch Schüsse in Richtung syrischer Regierungstruppen – sowie die Ausbildung für terroristische Straftaten.

Die Anklageschrift basiert im Wesentlichen auf den Aussagen, die A. vor der Polizei gemacht hat. Ein Umstand, den Verteidiger Wolfgang Blaschitz in seinem Eröffnungsplädoyer ausnutzt, indem er versucht, die Vorwürfe abzuschwächen. A. habe nicht "für die Mörderbande des Islamischen Staates" gekämpft, sondern für Rebellen, die damals auch vom Westen unterstützt worden seien. Das angebliche Ausbildungslager sei "besserer Turnunterricht gewesen", wenn sein Mandant überhaupt auf Gegner geschossen habe, dann nur in die Luft.

"Territorium beschützt"

A. folgt bei seiner Einvernahme dieser Verteidigungslinie. "Ich habe nicht bei Kampfhandlungen geschossen, sondern das Territorium beschützt. Das war ein psychologischer Trick, um zu demonstrieren, dass wir hier sind", erklärt er.

Warum er überhaupt im Jahr 2013 mit zwei Begleitern über die Türkei nach Syrien gereist sei, will der Vorsitzende wissen. "Ich wollte den Menschen helfen." – "Wie?" – "Auf jede erdenkliche Art und Weise. Es gab ja auch viele Baustellen, wo Kriegstrümmer beseitigt wurden."

Dass er sich bewusst der Terrororganisation "Emirat Kaukasus" angeschlossen habe, bestreitet der Angeklagte. "Wir haben uns der erstbesten Gruppe angeschlossen", behauptet er. Einer seiner Begleiter, genannt "der Sultan", habe einen Araber getroffen, dann sei das Trio in ein Ausbildungslager gebracht worden.

"Leibesübungen" im Ausbildungscamp

"Was haben Sie dort gemacht?", fragt Böhm. "Wir haben Leibesübungen gelernt", lässt A. übersetzen. "Nicht mit Waffen?" – "Nein, mit Stöcken." Böhm hält ihm seine Aussage vor der Polizei vor, wo er sehr wohl von Trainingseinheiten mit einem AK47-Sturmgewehr und Panzerfäusten gesprochen hat. "Jetzt reden Sie von Leibesübungen und Ihr Verteidiger von einem Sommerlager für junge Männer. Also, stimmt das mit der Kalaschnikow?", bohrt der Vorsitzende nach. "Ja, die Übungen mit den Stöcken waren, da es zu wenig Waffen gab. Am Nachmittag haben wir schon mit AK47 geübt."

Mehrmals behauptet der Angeklagte auch, seine Aussagen seien bei der Polizei falsch übersetzt worden. Beispielsweise habe er nicht behauptet, bei einem Feuergefecht in der Nacht selbst geschossen zu haben, sondern lediglich, dass die ganze Nacht geschossen worden sei. Wieder blättert Böhm im Akt und hat eine Antwort parat: "Sie haben auch bei der Haft- und Rechtsschutzrichterin noch gesagt, sie seien achtmal bei Kampfeinsätzen gewesen und hätten zweimal auf Menschen geschossen."

Wechselseitige Unterstützung mit IS

A. bleibt dabei: Es seien keine Kampfeinsätze gewesen, er habe nur das Territorium verteidigt. "Welches Territorium?", will der Vorsitzende wissen. "Das, wo friedliche Menschen gelebt haben." Auch eine direkte Unterstützung des "Islamischen Staates" schließt der Angeklagte zunächst aus, gibt aber dann doch zu, dass wechselseitige Unterstützung vereinbart war. Er beharrt auch darauf, dass der IS erst 2014 gegründet worden sei – was so nicht stimmt, damals wurde nur das "Kalifat" dieses Namens ausgerufen. Als "Islamischer Staat im Irak" bezeichnete sich die Gruppe bereits seit Oktober 2006.

Der Angeklagte leugnet auch, durch Schüsse auf die Regierungstruppen einen Mordversuch begangen zu haben. Verteidiger Blaschitz sekundiert in seinem Schlussplädoyer: Die AK47 habe nur eine Reichweite von 400 Metern, die Soldaten seien aber einen Kilometer entfernt gewesen.

Die Geschworenen glauben nicht an die Version der "harmlosen" Warnschüsse und verurteilen A. nicht rechtskräftig wegen terroristischer Straftaten zu zwölf Jahren Haft. (Michael Möseneder, 27.6.2019)