Die lange Dürre im Nordirak hat deutschen und kurdischen Archäologen den Fund eines rund 3.400 Jahre alten Palastes am Ost-Ufer des Tigris ermöglicht. Die seltenen Überreste aus altorientalischer Zeit traten im vergangenen Herbst zum Vorschein, als wegen langer Trockenheit der Wasserspiegel des Mossul-Stausees sank.

Wie das internationale Forscherteam nun berichtete, lässt sich die Anlage am Fundort Kemune in die Zeit des Mittani-Reiches datieren, das vom 15. bis 14. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung weite Teile Nordmesopotamiens und Syriens beherrschte. Das Reich von Mittani ist einer der am wenigsten erforschten Staaten des Alten Orients. Die Wissenschafter hoffen nun, durch die Auswertung von im Palast entdeckten Keilschrifttafeln neue Informationen über Politik, Wirtschaft und Geschichte dieses Reiches zu erhalten.

Nur für dreieinhalb Wochen waren die Ruinen des Palastes von Kemune zugänglich. Dann stiegen die Pegel des Stausees wieder.
Foto: Universität Tübingen

Kaum bekanntes Mittanireich

Das Reich von Mittani erstreckte sich vom 15. Jahrhundert bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung von der Mittelmeerküste bis in den Osten des heutigen Nord-Irak. Das Kerngebiet dieses Großreiches befand sich im heutigen Nordost-Syrien, wo auch seine bisher nicht sicher lokalisierte Hauptstadt Waschukanni gelegen haben dürfte. Akkadische Keilschrifttexte aus dem Fundort Tell el-Amarna im heutigen Ägypten zeigen, dass die mittanischen Könige auf Augenhöhe mit den ägyptischen Pharaonen und den Großkönigen von Hatti und Babylonien interagierten. Beispielsweise ist bekannt, dass der mittanische König Tuschratta seine Tochter dem Pharao Amenophis III. zur Frau gab.

Um 1350 vor unserer Zeitrechnung verlor Mittani seine politische Bedeutung. Die bis zu diesem Zeitpunkt beherrschten Territorien gerieten unter die Kontrolle der umliegenden Großreiche der Hethiter und der Assyrer. Charakteristisch ist die bemalte Keramik der Mittani-Kultur. Solche Keramikgefäße zeichnen sich durch eine sorgfältig ausgeführte helle Bemalung auf dunklem Grund aus. Ihr auffälliges Aussehen ermöglicht es Archäologen Fundorte, an denen Scherben dieser bemalten Gefäße gefunden werden, in die Zeit des Mittani-Reiches zu datieren.

Rettungsgrabung mit spannenden Resultaten

Im vergangenen Herbst brachte der sinkende Wasserspiegel des Mosul-Stausees im Nordirak unerwartet Überreste einer antiken Stadtanlage des Mittani-Reiches zum Vorschein. An den vom Wasser freigespülten, offenliegenden Ruinen wurde spontan eine archäologische Rettungsgrabung unternommen. Diese wurde im Rahmen eines Gemeinschaftsprojekts der Universität Tübingen mit der Kurdistan Archaeology Organization (KAO) in Zusammenarbeit mit der Antikendirektion Duhok gemeinsam von Hasan Ahmed Qasim (Duhok) und Ivana Puljiz (Tübingen) geleitet. "Der Fund ist eine der bedeutendsten archäologischen Entdeckungen der letzten Jahrzehnte in der Region und veranschaulicht den Erfolg der kurdisch-deutschen wissenschaftlichen Zusammenarbeit", sagt Qasim.

Blick von Süden auf den Palast von Kemune.
Foto: Universität Tübingen

Wie Puljiz vom Tübinger Institut für die Kulturen des Alten Orients (IANES) berichtete, handelt es sich um ein planmäßig angelegtes Gebäude mit massiven, bis zu zwei Meter dicken Innenmauern aus Lehmziegeln. Einige Wände seien über zwei Meter hoch und die Innenräume teilweise verputzt. "Wir haben zudem Reste von Wandmalereien in leuchtenden Rot- und Blautönen gefunden", sagte Puljiz: "Wandmalereien dürften im 2. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung im Alten Orient ein typisches Ausstattungsmerkmal von Palästen gewesen sein, sie haben sich aber nur sehr selten erhalten. Deshalb stellt die Entdeckung von Wandmalereien in Kemune eine archäologische Sensation dar."

Lange Nutzungszeit

Wie Puljiz berichtete, sind die Überreste des Palastes mindestens sieben Meter hoch erhalten. Klar erkennbar seien zwei Nutzungsphasen, die anzeigen, dass das Gebäude über einen sehr langen Zeitraum benutzt wurde. Im Inneren des Palastes konnte das Team mehrere Räume identifizieren, von denen acht teilweise ausgegraben wurden. In einzelnen Bereichen wurden große, gebrannte Ziegel gefunden, die als Bodenplatten verwendet wurden.

Video: Die Überreste des Palastes von Kemune von oben.
Eberhard Karls Universität Tübingen

In den Palasträumen wurden zehn mittanische Keilschrifttafeln aus Ton entdeckt, die momentan von der Philologin Betina Faist (Universität Heidelberg) übersetzt und ausgewertet werden. Der Inhalt einer Schrifttafel deutet darauf hin, dass der Ort Kemune höchstwahrscheinlich die alte Stadt Zachiku war, die bereits in einer altorientalischen Quelle der Mittleren Bronzezeit (ca. 1800 vor unserer Zeit) genannt ist. Dies würde bedeuten, dass die Stadt mindestens 400 Jahre bestanden hat. Zukünftige Textfunde werden zeigen, ob diese Identifikation zutreffend ist.

Der Palast stand während des Altertums auf einer Anhöhe am Rand des Flusstales, die vor der Flutung des Stausees nur 20 Meter vom Ostufer des Tigris entfernt gelegen war. Um das abschüssige Gelände zum Fluss hin abzustützen, wurde in der Mittanischen Zeit eine monumentale, aus Lehmziegeln erbaute Terrassenmauer vor der Westfront des Palastes angelegt. Der Palast thronte also über dem Tigristal.

Dürre macht Archäologen glücklich

Geländebegehungen deuten darauf hin, dass sich eine größere Stadt in nördlicher Richtung an den Palast anschloss. "Wir hatten den Fundort Kemune bereits 2010 bei einem Niedrigwasserstand des Sees entdeckt. Schon damals haben wir eine mittanische Kleischrifttafel gefunden und Überreste von Wandmalereien in rot und blau gesehen. Aber erst jetzt können wir hier ausgraben", sagt Qasim. Eine umfangreiche Ausgrabung war bislang nicht möglich, da das Gelände seit Mitte der 1980er Jahre von den Wassern des Mosul-Stausees überflutet war. Aufgrund ausbleibender Niederschläge und Wasserknappheit im südlichen Irak war der Pegelstand des Sees im Sommer und Herbst des letzten Jahres so stark gesunken, dass erstmals mit einer Ausgrabung begonnen werden konnte. (red, 29.6.2019)