Welche Varianten werden über mehr als 50 Prozent verfügen? Das wird man erst nach der Wahl am 29. September wissen.

ÖVP-Chef Sebastian Kurz kann sich vorstellen, nach der Wahl am 29. September nicht mit einer fixen Koalition zu regieren. Im Sommergespräch auf Puls 4 deponierte der Ex-Kanzler am Mittwoch erstmals öffentlich, dass er sich eine Minderheitsregierung nach skandinavischem Vorbild gut vorstellen könne. Die Regierung würde also nur von der ÖVP gestellt, eine oder mehrere Oppositionsparteien müssten sie im Parlament stützen, damit nicht der erste Misstrauensantrag zur Abwahl der Minister führt.

Kurz hofft, in so einem Szenario mit den Grünen Umweltschutzthemen beschließen zu können, mit den Freiheitlichen Migrationsfragen und eventuell mit anderen Parteien weitere Themenkomplexe.

"Für FPÖ nicht vorstellbar"

Auf Duldung einer Minderheitsregierung deutet derzeit aber nicht viel hin. FPÖ-Chef Norbert Hofer erteilte dem türkisen Ansinnen am Donnerstag eine klare Absage. "Die Volkspartei kann sicher nicht mit einem Drittel der Stimmen 100 Prozent der Macht ausüben. Das ist für uns nicht vorstellbar." Sein Wunsch geht klar in Richtung Neuauflage der gerade aufgelösten Koalition. "Wir wollen den erfolgreichen Weg der Regierungsarbeit fortsetzen." Immerhin habe es sich bei Türkis-Blau um die beliebteste Bundesregierung seit vielen Jahren gehandelt, ist der Ex-Infrastrukturminister überzeugt.

Auch die SPÖ, mit der Kurz möglicherweise Sozialpartnermaterie beschließen könnte, zeigt dem ÖVP-Chef die kalte Schulter. "Jetzt geht es um einen Wettstreit der besten Ideen und Konzepte im Rahmen eines fairen Wahlkampfs und ganz sicher nicht darum, über die Wähler und Wählerinnen hinweg über Minderheitsregierungen und Regierungskonstellationen zu philosophieren", sagt der rote Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda. "Offenbar geht es Sebastian Kurz lediglich um Posten für die ÖVP und um Taktik."

"Arbeit auf Augenhöhe nötig"

Neos-Generalsekretär Nikola Donig ist der Meinung, dass schon Kurz' Politikstil einer Minderheitsregierung widerspricht. "Minderheitsregierungen, wie sie in Skandinavien üblich sind, setzen auf ehrlichen Dialog, echte Anliegen und Arbeit auf Augenhöhe. Das ist nicht der Stil, den Sebastian Kurz in den vergangenen Monaten gezeigt hat." Außerdem seien Minderheitsregierungen mit "extrem viel Arbeit im Parlament verbunden. Das ist aber jener Ort, den Kurz bisher am wenigsten ernst genommen hat", kritisiert Donig.

Von den Grünen gab es am Donnerstag vorerst noch kein Statement.

Ablenkungsmanöver

Der Politikberater Thomas Hofer ortet hinter den Kurz-Aussagen ein strategisch motiviertes Manöver. Der Ex-Kanzler wolle jenen Stimmen kontern, die vor einer Neuauflage von Türkis-Blau warnen, und auch der FPÖ-Warnung vor einer "linken" Koalition zwischen ÖVP, Grünen und Neos etwas entgegenhalten. Kurz nehme also den Spekulationen Wind aus den Segeln. Hofer: "Es ist ein gutes taktisches Manöver, um die Diskussion wegzubringen von den gewünschten oder realen Koalitionsvarianten."

Auch der Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer verweist auf taktische Überlegungen. Kurz unterstreiche damit letztlich das "Selbstbewusstsein eines sehr, sehr guten Ergebnisses für die ÖVP, was ja Voraussetzung dafür wäre, dass überhaupt eine Minderheitsregierung vorstellbar ist". Beide Experten sind sich aber einig: Wahrscheinlich ist eine Minderheitsregierung nicht. "Welche der Oppositionsparteien hätte Interesse daran, einem Bundeskanzler Kurz ein Geschenk nach dem anderen zu machen? Wer würde die Lorbeeren einheimsen? Wohl nur Sebastian Kurz", ist Hofer überzeugt. (APA, go, 27.6.2019)