Moskau – Der russische Präsident Wladimir Putin hält die liberalen Werte in den westlichen Demokratien für überholt. In einem aufsehenerregenden Interview mit der "Financial Times" sagt Putin, dass liberale Ideen "ihren Sinn bereits überlebt" hätten und in der künftigen Gesellschaft nicht mehr gebraucht würden. "Liberale können künftig nicht mehr einfach Befehle erteilen, so wie sie das in den vergangenen Jahrzehnten getan haben", sagt Putin, der sein Land schon vor Jahren zu einer "gelenkten Demokratie" umbauen ließ.

Außerdem seien die liberalen Werte von einer Mehrheit der Menschen in den westlichen Staaten zurückgewiesen worden. Es sei zu einem Interessenkonflikt mit der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung gekommen.

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Wladimir Putin nannte US-Präsident Donald Trump im Interview mit der "Financial Times" eine "talentierte Person", die wisse, wie man mit durchschnittlichen Wählerinnen und Wählern eine Verbindung aufbauen könne. Kurz darauf traf er ihn beim G20-Gipfel in Osaka
Foto: AP / Mikhail Klimentyev

"Kein Problem mit LGBT-Personen"

Putin kritisiert in dem Interview aber auch die Migrationspolitik der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, die er als Folgeerscheinung der liberalen Demokratie darstellt, um diese zu diskreditieren: "Die liberale Idee setzt voraus, dass nichts getan werden muss. Die Migranten können ungestraft töten, plündern, vergewaltigen, weil ja ihre Rechte als Flüchtlinge zu schützen sind. Welche Rechte sind das? Jedes Verbrechen muss bestraft werden."

Putin betont, dass Russland nicht homophob sei. "Ich habe kein Problem mit LGBT-Personen." Homosexualität zu umarmen sei seiner Ansicht nach aber "übertrieben". Traditionelle Werte seien stabiler und wichtiger für Millionen Menschen "als diese liberalen Ideen, die nach meinem Dafürhalten wirklich aufhören zu existieren".

Arbeitsabkommen ist keine Hilfe

Fragen über einen russischen Einfluss auf die US-Präsidentenwahl 2016 wies Putin zurück. Es habe keine verdeckte Zusammenarbeit mit dem Wahlkampfteam von Donald Trump gegeben, bei entsprechenden Vorwürfen handle es sich um "einen Mythos".

Allerdings lobt Putin in dem Interview Trump als "talentierte Person", die wisse, wie man mit durchschnittlichen Wählerinnen und Wählern eine Verbindung aufbauen könne. Auch andere populistische Bewegungen unterstütze Russland nicht, sagt Putin, dessen Partei "Einiges Russland" etwa 2016 ein "Arbeitsübereinkommen" mit der FPÖ geschlossen hat.

"Unbezahlbare Erfahrung" Syrien

Schließlich lobt Putin den Einsatz des russischen Militärs in Syrien aufseiten von Präsident Bashar al-Assad. Das Engagement habe nicht nur die "radikalen Islamisten" der syrischen Opposition besiegt, sondern auch russischen Soldaten einen "unbezahlbaren Erfahrungsschatz" eingebracht. Schätzungen gehen davon aus, dass im Kriegseinsatz mittlerweile mehrere hundert Russen gefallen sind.

EU-Ratspräsident Donald Tusk reagierte mit Ablehnung auf Putins Äußerungen. "Was ich tatsächlich für überholt halte, sind Autoritarismus, Personenkult und die Herrschaft von Oligarchen", sagte er mit einem Seitenhieb auf Russland. (mesc, APA, 28.6.2019)

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