Screenshot: The Sinking City
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Screenshot: The Sinking City

Howard Philips Lovecraft, Kult-Horror-Autor der 1930er-Jahre, ist immer aktuell. Im Medium Videospiele hat vor kurzem Call of Cthulhu mit sympathischem B-Movie-Stil zum angenehm altmodischen Tentakelgrusel gebeten, mit The Sinking City (erschienen für Xbox One, PS4, Windows) – UVP ab 48,99 Euro erscheint nun ein weitaus ambitionierteres Spiel, das den Versuch wagt, Lovecrafts Mythologie und ihre wackelige, stets von Wahnsinn bedrohte Realität als Open-World-Detektivspiel zu inszenieren.

Das ukrainische Studio Frogwares hatte sein seit Jahren in Entwicklung stehendes Mammutprojekt erst im März für weitere drei Monate Feinschliff einbehalten.

Ins Epizentrum des Wahnsinns

Das Setup ist klassisch: In der Gestalt eines abgehalfterten Detektivs ist man irgendwann Anfang des 20. Jahrhunderts auf der Suche nach Erklärungen für eine Epidemie von Geisteskrankheit. Die überschwemmte und von seltsamen Korallen überwucherte Ostküsten-Hafenstadt Oakmont scheint das Epizentrum des Wahnsinns zu sein.

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Die frei begehbare – oder per Motorboot befahrbare – Stadt bietet ein apokalyptisches Bild: In weiten Teilen überschwemmt, herrschen bei den Bewohnern Apathie und Misstrauen, zugleich bedrängen überall auftauchende unheimliche Wesen die Kleinstadt. Mit der Suche nach einer verschollenen Expedition beginnt ein Third-Person-Horror-Abenteuer, in dem detektivisches Kombinieren und Erforschung wichtiger sind als Kämpfe und Action. Kein Wunder, immerhin hat das Entwicklersudio mit seinen Sherlock Holmes-Spielen schon Erfahrung in diesem Genre.

Die Orientierung ist dabei weniger komfortabel als von anderen Open-World-Spielen gewohnt: Statt per Minimap mit Navi muss man sich selbst orientieren und sogar seine Ziele anhand der Missionsbeschreibungen selbst auf der Karte markieren. Die Suche nach Hinweisen in Polizei- und Zeitungsarchiven vermittelt ebenso Detektiv-Flair wie das spielmechanische Kombinieren gefundener Hinweise zu eigenen Schlussfolgerungen. Dazu kann der Protagonist rätselhafte Vorgänge in der Vergangenheit anhand von Indizien am Tatort aufdecken – meist eher simpel durch Festlegen der richtigen Reihenfolge der Ereignisse. Das erinnert ansatzweise an die logischen Rätsel des Indie-Spiels The Return of the Obra Dinn, deren Komplexität The Sinking City allerdings bei weitem nicht erreicht.

Was ist gelungen?

Story und Atmosphäre von The Sinking City machen Lovecraft-Fans Freude: Obwohl erwartungsgemäß dem bekannten kosmischen Horror wenig Neues hinzugefügt wird, ist das Erforschen der Geschichte eine wohlig-gruselige Angelegenheit.

Neben der Hauptstory zeugen vor allem liebevoll gestaltete optionale Nebenmissionen vom Willen, hier ein atmosphärisches Erlebnis zu bieten – und erfreulicherweise wird sogar wiederholt die explizit rassistische Grundströmung Lovecrafts thematisiert. Die Konzentration auf die Ermittlungs-Spielmechaniken hebt The Sinking City angenehm von anderen Open-World-Schablonenspielen ab.

Screenshot: The Sinking City

Was ist weniger gelungen?

Dass The Sinking City sein Publikum dazu zwingt, sich auf seine langsame Erforschung und Detektivarbeit einzulassen, wird für manche Spieler*innen ebenso eher früher als später zu Ermüdung führen wie die Tatsache, dass man sich neben dem Verfolgen der Handlung durch mühseliges Plündern und Sammeln von Craftingmaterial bei Kräften halten muss.

Die Kämpfe nach Schema F sind keine spielerischen Highlights und auch die Stadt büßt durch großteils stumm herumstaksende NPCs viel von ihrem Reiz ein. Dass zwar jederzeit gespeichert werden kann, man aber beim Laden stets ausschließlich beim letzten Schnellreisepunkt auftaucht, ist ebenso ärgerlich wie die vor allem bei der Archivsuche und Kartenmarkierung umständliche Bedienung.

Fazit

The Sinking City ist mit seiner spielerischen Konzentration auf Detektivarbeit in einer atmosphärischen Open World ein Spiel für ein ganz spezielles, wohl eher schmales Publikum geworden. Wer sich mit genügend Ernsthaftigkeit auf dieses manchmal sperrige, aber liebevoll gemachte Lovecraft-Rollenspiel-Abenteuer einlässt und seine gelegentlichen Längen verzeiht, wird in der versinkenden Hauptstadt des Wahnsinns solide unterhalten.

An die Klasse der Konkurrenz – etwa von The Evil Within 2, das ebenso Open World mit Survival-Horror verband – kommt The Sinking City aber nicht heran. (Rainer Sigl, 28.06.2019)