Die Pariser Société de Géographie ist zum Schluss gekommen, dass die Befürchtungen, vom Rand der Scheibe zu stürzen, unbegründet sind. Die Erde ist eine Kugel. Diese Mitteilung zur Geographie würde uns im Juni 2019 seltsam erscheinen. Eine Mitteilung zur Medizin von der französischen HAS (Haute Autorité de Santé) im Juni 2019 sorgt indes tatsächlich für Aufsehen. Die oberste Gesundheitsbehörde des Landes ist zu dem Schluss gekommen, dass homöopathische Mittel nicht wirken. Das ist bekannt, es klingt lapidar und es bewirkt tatsächlich etwas. Die Politik wird homöopathischen Zauber und Zuckerkugeln wohl aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen in Frankreich streichen. Am Wochenende sind in Frankreich zwar keine Demonstrationen von Verfechtern der Flache Erde-Theorie angesagt, wohl aber welche der Homöopathie-Kunden. Für Schamanismus auf Krankenschein geht mancher auf die Straße.

In Frankreich könnte es zum Aus für homöopathische Mittel auf Kassenleistung kommen.
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Domino-Effekt?

Die Entscheidung in Frankreich hat Tragweite. Der nach eigenen Angaben weltgrößte Homöopahtiekonzern Boiron (600 Millionen Euro Umsatz) hat den Handel mit seinen Aktien ausgesetzt, nachdem die Entscheidung bekannt wurde. In den letzten beiden Jahren hat die Aktie des Konzerns im Zuge der Diskussion rund die Hälfte ihres Werts verloren.

Auswirkungen wird die französische Entscheidung vor allem auf Deutschland haben. Anders als in Österreich erstatten dort zahlreiche Kassen die Kosten für den pseudomedizinischen Analogiezauber. Dem weht allerdings verstärkt Wind seitens der Skeptikerbewegung entgegen. Vor allem das Informationsnetzwerk Homöopathie leistet dort nüchterne, sachliche und vor allem ausdauernde Aufklärungsarbeit. Die Homöopathie ist in Deutschland mehr als angezählt. In Österreich hat sich mit der Entscheidung in Frankreich die Situation für die Initiative "Kassenleistung" (für Homöopathie) vermutlich nicht verbessert. Ironie der Sache: Vor allem Grüne und die FPÖ schenkten dem vorwissenschaftlichen Irrsinn bislang Gehör.

Pro-Homöpathie-Demonstranten mit dem Banner "Meine Gesundheit. Meine Homöopathie. Meine Wahl".
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Welche Lehren kann man aus Frankreich ziehen?

1. Der Kampf gegen populisitische Wissenschftsfeindlichkeit ist möglich. Das Ausbooten der Homöopathie ist keine populäre Entscheidung. In Frankreich glauben laut einer aktuellen Umfrage 72 Prozent der Menschen, dass Homöopathie gut für die Gesundheit sei. Was aus dieser Zahl nicht hervor geht: Wie viele der Befragten wissen, was die Homöopathie in ihrem Wesen ist und verwechseln sie mit Naturheilkunde? Diese Unschärfe wird vom Marketing der Homöopathie-Konzerne bewusst lanciert. Kaum ein Globuli-Sujet verzichtet auf irreführende grüner Blätter, Blumen oder Blüten. Die Google-Bildersuche belegt den Phytoschmäh der Zuckerkugelindustrie recht deutlich.  

2. Klare Worte sind nötig. Der Entscheidung der HOS in Frankreich ging eine Initiative der medizinischen und pharmazeutischen Akademie Frankreichs voraus. Deren gemeinsame Erklärung lässt an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig und begegnet dem irreführenden Zuckerkugel-Marketing mit einer klaren Message: „Beenden Sie die Erstattung der Homöopathie durch die gesetzliche Sozialversicherung. Beachten Sie, dass es sich um ein Placebo handelt, und informieren Sie die Patienten entsprechend; machen Sie auf auf der Verpackung kenntlich, dass keine Wirksamkeit wissenschaftlich nachgewiesen ist.“

3. Ein Bekenntnis zur Wissenschaftlichkeit ist das Gebot der Stunde. Frankreich zeigt vor, das sich die Politik schützend vor Wissenschaft und Evidenz stellen kann, ungeachtet der Attraktivität, die Pseudomedizin in breiten Teilen der Bevölkerung genießt. Wissenschaftlichkeit steht nicht nur in der Medizin unter Beschuss. Das zeigt sich unter anderem bei der Leugnung der anthropogenen Ursachen der Klimakrise, die im rechten politischen Spektrum mit Passion zelebriert wird. Das Thema Klimaschutz wird vermutlich ein Wahlkampfthema fast aller Parteien. Bei der Diskussion um das Klima auf Evidenz verweisen und beim Thema Medizin dem Schamanismus das Ohr schenken, das wird nicht mehr lange funktionieren. Wir sind uns ja auch seit einiger Zeit einig, dass die Erde keine Scheibe ist. (Christian Kreil, 29.6.2019)

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