Foto: Tobias Müller

Wer in Serbien nur in Restaurants isst, kann schnell zu dem Schluss kommen, das Essen der Gegend sei großteils fürchterlich: Unmengen an billigem Fleisch, komplett tot gegrillt, dazu altes Brot und hinterher scharfer Schnaps. Das liegt aber mehr an mangelnder Restaurant- denn an mangelnder Esskultur. Das gute Essen ist hier nach wie vor zu Hause.

Mein bestes Essen in dem Land habe ich auf einem Bauernhof genossen, und es war fast vegetarisch: mit Reis gefüllte süße Paprika, kurz davor vollreif geerntet, dann im Ofen gebacken, bis sie weich und karamellisiert waren; frische, scharfe Paprika mit hausgemachtem Frischkäse, Kartoffelsalat mit Paprikacreme, gegrillter, sauer eingelegter Paprika, gebackene cremige Bohnen (mit etwas Paprika), eine Truthahn-Paprika-Pfanne (das einzige Fleischgericht) und jede Menge sauer eingelegtes Gemüse und Frischkäse aus der Milch der eigenen Kühe.

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Als krönenden Abschluss brachte die Hausfrau eine frischgebackene Banica mit hausgemachtem Käse – heiß, knusprig, cremig, sauer und mit dem Geschmack nach frischem Teig und Glut – kurz, göttlich gut. Sie hatte es kurz davor aus dem Sač geholt, einer Art Balkantajine, die direkt in die heiße Glut gestellt und mit mehr glühenden Kohlen bedeckt wird. Sie eignet sich zum Schmoren genauso gut wie zum Backen.

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Die Gegend mag wirtschaftlich und gesellschaftlich rückständig sein – das hat aber auch ein paar gute Seiten: Es hat sich hier eine Art der Landwirtschaft (kleine Strukturen, viel Handarbeit) und der Küche erhalten, die in reicheren Teilen Europas fast ausgestorben, weil arbeitsintensiv ist..

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Die Großmütter hier walken Teig, riebeln und mahlen Mais und sammeln Beeren und Pilze, die Hausfrauen machen so grundlegende Dinge wie Topfen oder Brot ganz selbstverständlich selbst und frisch. Das hat zwar zweifellos mehr mit Armut denn mit Esskultur zu tun – es schmeckt aber trotzdem mitunter ziemlich, ziemlich gut. In Westeuropa, wo das alles einmal genauso war, sind diese Dinge mit fortschreitender Entwicklung verloren gegangen und werden nun teilweise mühsam wiederbelebt.

Das heißt alles nicht automatisch, dass das Essen hier besser ist (im Gegenteil), und es gibt große Unterschiede zwischen den zahlreichen "Craft"-Bewegungen im Westen und traditionellem Handwerk – als Inspiration und Ideengeber taugt es aber allemal. Das erste Mal habe ich mich daher vor knapp sechs Jahren auf den Weg gemacht, um mit dem Max Stiegl das balkanischen Hinterland zu erforschen.

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Wir sind damals mit dem Auto von Wien bis in die Bucht von Kotor gefahren, haben dabei die touristische Küste (fast) komplett ausgelassen und stattdessen versucht, auf weniger befahrenen, meist ziemlich schlechten Straßen zu bleiben. Wir haben Spanferkel und Lämmer geschlemmt, über loderndem Holz am Straßenrand geröstet, würzigen Hartkäse von alte Hirten in den bosnischen Bergen gegessen und Froschjäger und Aalköche in Herzegowina besucht. Es war oft anstrengend und frustrierend, gelegentlich bizarr und manchmal wunderschön. (Dabei ist unter anderem diese Geschichte entstanden.)

Der Fjord von Kotor.
Foto: Tobias Müller

Es wäre wunderbar, wenn es den Balkanländern gelänge, reicher und moderner zu werden und diese Techniken trotzdem nicht ganz zu vergessen. Das kleine Start-up Biobalkan versucht dabei zu helfen. Die Firma importiert hochwertig produzierte biozertifizierte Lebensmittel, derzeit aus Serbien, in naher Zukunft vielleicht auch aus Nordmazedonien, Bosnien und anderen Balkanländern. Ihr erstes und aktuell wichtigstes Produkt ist Ajvar – von einer Reise zur Produktion stammen die meisten dieser Bilder.

Balkanesen nennen Ajvar gern den Kaviar des Balkans: Paprika (und in Kroatien etwas Melanzani) werden erst außen verkohlt, dann geschält und schließlich stundenlang eingekocht, bis sich eine dicke Paprikamarmelade bildet. Das Ergebnis ist konzentrierter Sommer, im Glas für den Winter konserviert. Süßsaurer Paprika, bittere Melanzani und Rauch mischen sich zu einem cremigen Ganzen, das tief und vielseitig und süchtigmachend schmeckt.

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Ajvar ist konzentrierter Spätsommer, im Glas für den Winter konserviert. Süßsaurer Paprika, bittere Melanzani und Rauch mischen sich zu einem cremigem Ganzen, das tief, vielseitig und süchtigmachend schmeckt. Für arme Familien, die sich keine Milchprodukte leisten können, war und ist es ein Butterersatz und wurde aufs Brot gestrichen – oft die einzige Mahlzeit.

Traditionell wird es eher im Winter gegessen – einst wurde es nicht gekocht, weil es köstlich ist, sondern weil es die Früchte des Sommers konserviert. Ich persönlich liebe es aber im Sommer zu gegrilltem Fleisch oder, am allerbesten, Eierspeise: Es gibt den Eiern eine üppig-rauchige Süße, eine verführerische Kraft, die an das beste Menemen, das klassische türkische Omelett, erinnert. (Mehr zum Ajvar hier).

Südserbien
Foto: Tobias Müller

Der Ajvar von Biobalkan wird in der südserbischen Kleinstadt Lebane von der Kooperative Radanska Ruža produziert. Einst war die Gegend bekannt für ihre Webarbeiten und den guten Filz. Heute liegt diese Industrie am Boden und die Arbeitslosigkeit bei 60 Prozent. Paprika hingegen gibt es genug.

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Die Kooperative begann bereits 2015, Ajvar und andere traditionelle Produkte in Handarbeit herzustellen, ab 2016 hat sie mit der Hilfe von Biobalkan einen Teil der Produktion auf Bio umgestellt.

Sie beschäftigt ausschließlich Frauen aus den umliegenden Dörfern, viele davon haben es schwer, sonst Arbeit zu finden, weil sie Alleinerzieherinnen sind, nicht mehr die jüngsten sind oder gesundheitliche Probleme haben.

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Ajvar besteht aus wenigen Zutaten: Paprika, Salz, Essig und Öl, die Kroaten geben mitunter noch etwas Melanzani dazu. Jede Hausfrau hat ihr eigenes Ajvar-Rezept, die Kooperative hat ihres daher gemeinsam erarbeitet – jede der Köchinnen durfte sich einbringen, gemeinsam wurde probiert und dann das beste ausgesucht.

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Die Paprika werden erst über Feuer geröstet, dann händisch geschält und klein gezupft.

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Dann kommt der entscheidende Teil: In riesigen Töpfen werden sie per Hand am Holzofen gerührt, bis die Masse die richtige Konsistenz erreicht hat.

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Dabei kommt es laut den Rührerinnen auf das Timing an: Zwei, drei Minuten zu viel oder zu wenig kann einen großen Unterschied machen. Wird die Masse zu lang erhitzt, ist die Emulsion und damit die Cremigkeit dahin.

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Jede Rührerin setzt sich daher intensiv mit ihrem Topf auseinander: Jedes Mal ist das Feuer ein wenig anders, der Paprika hat einmal mehr, einmal weniger Flüssigkeit. "Der Ajvar diktiert den Rhythmus", sagen sie hier. Die Profis rühren nicht nur einen Topf, sondern jeweils einhändig zwei.

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Gelingt die Übung (und das tut sie meistens), ist das Ergebnis fantastisch: supercremig, aber mit etwas Biss, verführerisch süß, zart scharf und rauchig – so gut, dass man das Glas am liebsten gleich auslöffeln möchte. Und genau das tun wohlhabende serbische Familien auch gern an einem Winterabend.

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Nach der Produktion haben wir dann noch einen der Bauern besucht, der die Kooperative mit Paprika beliefert. Zur Begrüßung gab es von der Hausfrau ein süßes Quittengelee und einen Löffel Honig und vom Hausherrn selbstgebrannten Schnaps – und dann wurde, siehe ganz am Anfang, aufgefahren.

Bevor wer schreit: Es gibt natürlich auch in Serbien hervorragende Restaurants. Das Hotel Moskau in Belgrad serviert ein ganz famoses Beef Tartare, und auch in manchen Landgasthäusern habe ich schon großartig gegessen. Aber das ist eine eigene Geschichte.

Der Max Stiegl und ich träumen übrigens schon lange davon, ein Kochbuch über diese tolle Gegend zu machen. Wer Interesse hat, bitte einfach melden – am besten über meine Website. (Tobias Müller, 30.6.2019)