Salome, wildes Mädchen, das den Kopf des Jochanaan fordern wird, bleibt unterm Tisch.

Foto: Bayerische Staatsoper

Die Bayerische Staatsoper gehört zu den Gründen für die hohe Meinung der Münchner von sich selbst. Und Nikolaus Bachler hat das "Mir san mir" in den letzten Opernjahren fabelhaft personifiziert. Immer wenn die anderen sich auf ihre Sommerpause vorbereiten, startet München also mit den hauseigenen Opernfestspielen bis Ende Juli richtig durch. In Deutschland ist das konkurrenzlos.

Damit es richtig funkelt, gibt es zum Auftakt und gegen Ende hin denn auch jeweils Premierenfieber: Im Nationaltheater ist es diesmal Strauss' Salome. Kurz vor den Bayreuther Festspielen wird dann der Charme des Prinzregententheaters zum Rahmen für Händels Agrippina. Da darf man dank des Opernlieblings der Berliner, Barrie Kosky, getrost auf eine spannende Show wetten. Dazwischen werden übrigens alle – heuer also 14 – Opern aufgeboten, die der gut bestückte Spielplan des Opernhauses aktuell aufweist.

Bei Salome wirkt musikalisch alles hochklassig: Der designierte Chef der Berliner Philharmoniker (wie auch Münchner Musikchef) Kirill Petrenko und sein akribisches Staatsorchester punkten mit ihrer Mischung aus subtiler Feinzeichnung und Entfesslung. Grandios auch Salome-Debütantin Marlis Petersen: Sie ist eine wortdeutliche, wahrlich und fast zu schön singende Salome, der als Herodias eine Michaela Schuster in Hochform gegenübersteht. Da bleibt Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als Herodes etwas in ihrem Schatten. Wolfgang Koch ist der standfeste, szenisch aber unterbelichtete Jochanaan.

Es gab Buhsalve

Der in München gut bekannte polnischen Regisseur Krzysztof Warlikowski und sein Team (Eugen Onegin, Frau ohne Schatten, Die Gezeichneten) bekommen dann auch ziemliche Buhsalven ab, auf die Ausstatterin Malgorzata Szczesniak mit erkennbarem Unmut reagiert. Der Regieansatz scheint mit der eigentlichen Geschichte nicht wirklich stringent verschmelzen zu wollen.

Die Bühne ist eine noble, aber lädierte jüdische Bibliothek. Sie dient offensichtlich Verfolgten als Versteck oder auch einer geschlossenen Gesellschaft als Labor à la Pasolini. Die Kostüme und die Atmosphäre des Prologs mit Pantomime samt Gustav Mahlers erstem Kindertotenlied (kommt vom Band) behauptet den Rahmen der existenziellen Bedrohung der Juden kurz vor dem Holocaust.

Da wird dann Herodes mit Kippa und Gebetsschal ausgestattet, eine Abendmahlszene des gesamten Personals mit Dame (erst Herodias, dann ihre Tochter) zelebriert und das Begehren der selbstbewusst attraktiven Salome in eine anhaltend handgreifliche Attacke Narraboths auf Salome projiziert.

Abgedrehte Gesellschaft

Der bleibt nach seinem Selbstmord in den Armen von Rachel Wilson (Page), bis er wie auch Jochanaan am Ende wiederaufersteht. Wenn die Bedrohung dieser geschlossenen, ziemlich abgedrehten Gesellschaft erneut von außen anklopft, ist nur der Tod tatsächlich tot.

Mit dem hatte Salome zuvor im Brautkleid ein Pas de deux getanzt. Den Kopf des Jochanaan gab's in einer Kiste mit sechsstelliger Nummer, die als Assoziation den Schrecken des blutigen Hauptes übernahm. Also war alles, was wir erlebt haben, nur ein makabres Spiel, bei dem sich am Ende alle bis auf Salome mit Zyankali selbst umbringen, bevor die echten Mörder kommen? Würde man da ausgerechnet die Geschichte von Salome spielen?

Dass sie die Prinzessin von Judäa ist und eh alles nach Altem Testament klingt, reicht als überzeugende Begründung für die Behauptung der Regie kaum. Und so ist diese Salome eher ein Musterbeispiel aus der Rubrik: Vorhang zu und alle Fragen offen. (Joachim Lange aus München, 28.6.2019)