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Emmanuel Macron, hier mit Angela Merkel beim EU-Gipfel vorige Woche, kommt mit klaren Forderungen nach Brüssel.

Foto: REUTERS/Stephanie Lecocq

In Osaka müsste man sein. Das traf zu Beginn des Wochenendes auf die Verhandler der vier wichtigsten Fraktionen im EU-Parlament und auf die Vertreter der großen europäischen Parteifamilien zu, die sich in Brüssel und in den Hauptstädten damit abmühten, eine Lösung im EU-Personalpaket-Poker rund um die Nominierung des Nachfolgers von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker auszuklügeln.

Sonntagabend findet dazu ein EU-Sondergipfel der 28 Staats- und Regierungschefs in Brüssel statt. Es ist bereits der zweite Anlauf zu einer Entscheidung in nur zehn Tagen. Freitag vor einer Woche war Manfred Weber, Spitzenkandidat der bei der EU-Wahl siegreichen Christdemokraten (EVP), am Widerstand von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sowie von Sozialdemokraten und Liberalen gescheitert.

Macron will neue Namen

Der Franzose hatte dabei gleich alle drei aussichtsreichen Spitzenkandidaten ausgeschlossen, auch Frans Timmermans (SP) und Margrethe Vestager (Liberale), und "neue Namen" verlangt. Nach ein paar Tagen Durchatmen beharrten mehrere SP-Parteichefs dann aber auf Timmermans statt Weber. Freitagabend berichtete die Welt am Sonntag vorweg, dass Kanzlerin Angela Merkel akzeptiert habe, dass Weber aus dem Rennen ist. Eine Einigung darauf sollte beim G-20-Gipfel in Osaka erfolgt sein.

Dort wollte sich Merkel dann nicht mehr auf eine Unterstützung Webers festlegen. Die deutsche Kanzlerein erklärte nur, dass die beiden Spitzenkandidaten Weber und Timmermans "auf jeden Fall" Teil dieser Lösung seien. Nähere Angaben machte Merkel nicht. "Ich unterstütze, dass eine Lösung gefunden wird." Dies solle "auf Grundlage der Spitzenkandidaten geschehen". Nachsatz: "Die beiden Spitzenkandidaten sind im Gespräch."

Weber will im Rennen bleiben

Weber ließ dann am Samstag wissen, er habe bisher nicht auf den Anspruch verzichtet, Nachfolger von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zu werden. Weber sei Kandidat der Europäischen Volkspartei (EVP), hieß es am Samstag aus seinem Umfeld, aber man sei "zu Kompromissen bereit", die "das Ergebnis der Europawahl berücksichtigen" müssten.

Praktischer Nebeneffekt des Treffens in Japan für die großen EU-Länder: Nicht nur Macron und Merkel, auch Spaniens Premier Pedro Sánchez oder der Niederländer Mark Rutte konnten dort am Rande die Köpfe zusammenstecken und überlegen, wie sich die anstehenden Personalfragen nach der Rückkehr am Sonntag in der EU-Hauptstadt lösen lassen. Im Gespräch seien der EU-Chefunterhändler bei den Brexit-Verhandlungen, Michel Barnier, die geschäftsführende Präsidentin der Weltbank, Kristalina Georgieva, und der kroatische Ministerpräsident Andrej Plenkovic.

Macron zeigte sich nach dem Gipfel in Japan jedenfalls zuversichtlich: "Ich denke, die Sache kommt voran". Ob es im Kreis aller 28 Mitgliedstaaten Konsens oder zumindest eine klare Mehrheit für eine Lösung gebe, werde man aber erst Sonntagabend sehen. "Ich weiß nicht, was die anderen denken", erklärte Macron.

Ratspräsident Donald Tusk, wie Juncker auch in Osaka mit von der Partie, will vor dem EU-Gipfel erst einmal die Fraktionschefs des Parlaments treffen. Die werden ihm (mit Ausnahme des Liberalen Dacian Ciolos) sagen, dass sie auf dem Prinzip der Spitzenkandidaten bestehen: dass also Weber, Timmermans oder Vestager an die Kommissionsspitze kommen soll. Daneben müssen Nachfolger für Tusk und die Außenbeauftragte Federica Mogherini gefunden werden.

Möglicher Tauschhandel

Und nächsten Mittwoch wählen die EU-Parlamentarier eine/n neue/n Präsidenten/in in Straßburg. Tusk möchte eine Lösung finden, indem alle Parteien dabei zum Zug kommen. Aber Macron hat auf dem Flug nach Japan erklärt, dass dies nicht infrage käme: Drei neue Namen müssten her, sonst drohe "eine institutionelle Funktionsstörung" in der EU, sprich Blockade. Paris streute gleichzeitig, dass Weber aufgeben oder sich damit zufriedengeben werde, dass er fünf Jahre lang Parlamentspräsident sein könnte. Aber eben nicht Kommissionschef.

Hoffnungen der SP für Timmermans und der Liberalen für Vestager zerstreute das EVP-Lager: Man werde den Anspruch auf die Juncker-Nachfolge auch erheben, sollten alle Spitzenkandidaten vom EU-Gipfel abgelehnt werden. Notfalls käme eben jemand anderer von den Christdemokraten.

Widerstand der Liberalen

Die liberale Fraktion des Europaparlament übt sich wiederum im Widerstand zu Macrons versuchter Aushebelung des Spitzenkandidatenprinzips. "Es ist eine Tatsache, dass Herr Weber bei der Europawahl Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei war und die EVP die Wahl gewonnen hat. Man kann das nicht ignorieren", sagte die Niederländerin Sophie in't Veld, die der gleichen Fraktion wie die Abgeordneten von Macrons Partei La Republique en Marche (LREM) angehört. "Meiner Ansicht nach sollte ein Spitzenkandidat Präsident der EU-Kommission werden", fügte die Abgeordnete hinzu. In't Veld warnte vor einem Rückfall in die Zeit der "traditionellen Hinterzimmerpolitik". Es müsse verhindert werden, "dass jemand auf der Basis völlig intransparenter Kriterien ausgewählt wird und die Bürger darauf keinen Einfluss haben". (Thomas Mayer aus Brüssel, 29.6.2019)