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Auch die Arbeiter auf Brasiliens Sojaplantagen sind vom breit angelegten Spritzmitteleinsatz betroffen.

Reuters / Roberto Samora

Zwei Jahrzehnte lang haben die EU und der südamerikanische Staatenbund Mercosur verhandelt. Nun einigten sich beide Seiten auf ein Freihandelsabkommen, das einen Markt mit 760 Millionen Konsumenten schafft, auf dem heute schon Waren im Wert von 87 Milliarden Euro ausgetauscht werden. Ein Stolperstein war bis zu Schluss der EU-Agrarprotektionismus. Vor allem Brasilien erhofft sich nun einen neuen Markt für Soja, Orangen und Rindfleisch. Für die europäischen Konsumenten ist das nicht unbedingt eine gute Nachricht, sagt Larissa Mies Bombardi von der Universität von São Paulo.

In ihrem Büro geht es hoch her: Während tropischer Platzregen auf das Dach prasselt, packt ein TV-Team die Kameras ein. Die brasilianische Forscherin ist gefragt, denn sie hat einen 290 Seiten langen, ausführlich dokumentierten Atlas über den Einsatz von Agrargiften in dem südamerikanischen Land herausgegeben. Die Zahlen sind erschreckend.

STANDARD: Wie steht es um den Pestizideinsatz in Brasilien?

Mies Bombardi: Brasilien und die USA sind die größten Anwender von Pestiziden weltweit. Brasilien verbraucht etwa eine Million Tonnen jährlich. Mehr als 500 Pestizide sind hier genehmigt, davon 150, die in der EU verboten sind. Glyphosat ist das mit Abstand am meisten verkaufte Pestizid, die europäische Diskussion über die Gefahren des Glyphosats hat hier in Brasilien noch nicht einmal begonnen.

STANDARD: Wie hat sich der Pestizidverbrauch entwickelt?

Mies Bombardi: In den letzten Jahren hat sich der Pestizidverbrauch um 150 Prozent gesteigert, im gleichen Maße auch die Zahl der akuten Vergiftungen durch Pestizide.

STANDARD: Hängt das mit der Ausweitung der Anbaufläche zusammen oder mit den zunehmenden Resistenzen?

Mies Bombardi: Vor allem mit der Ausweitung. Die Anbauflächen dringen von der Zentralsavanne immer weiter in den Amazonas vor. Die Anbaufläche für Soja hat sich von 18 Millionen Hektar im Jahr 2002 auf 33 Millionen Hektar 2015 fast verdoppelt.

Larissa Mies Bombardi sieht den großzügigen Umgang mit Pestiziden in Brasilien sehr kritisch.
Foto: Sandra Weiss

STANDARD: Es gibt eine Studie des Nationalen Instituts für Krebsforschung (Inca), wonach jeder Brasilianer im Schnitt pro Jahr fünf Liter Pestizide durch Rückstände in Lebensmitteln konsumiert.

Mies Bombardi: Diese Rechnung stammt nicht von mir. Aber ich habe dokumentiert, dass im Süden, wo die großen landwirtschaftlichen Flächen sind, zwischen zwölf und 16 Kilo Pestizide pro Hektar versprüht werden. In Europa sind es ein, in Belgien bis zu zwei Kilo.

STANDARD: Woher kommt dieser enorme Unterschied?

Mies Bombardi: Das offizielle Argument lautet, dass es in den Tropen mehr Schädlinge gibt. Aber es liegt auch am Modell der industriellen Landwirtschaft, die auf Gentechnik basiert, deren Saatgut Glyphosat-resistent ist. 70 Prozent der Pestizide werden für genetisch verändertes Soja, Mais und Zucker aufgewendet. Das sind riesige Monokulturen. Allein die Fläche, auf der Soja angebaut wird, ist so groß wie viermal Portugal. Außerdem sind die Behörden sehr großzügig, was Grenzwerte betrifft.

STANDARD: Haben Sie ein Beispiel?

Mies Bombardi: Bei Soja sind in der EU Rückstände von Glyphosat von 0,05 Milligramm pro Kilo erlaubt. In Brasilien sind es zehn Milligramm, also 200-mal mehr. Im Trinkwasser erlaubt Brasilien einen 5000-mal höheren Glyphosat-Rückstand als Europa.

STANDARD: Gibt es in Brasilien kein Vorsorgeprinzip?

Mies Bombardi: Nein. Wenn beispielsweise ein Pestizid einmal registriert ist, verfällt die Lizenz nie und ist auch keinen periodischen Neubewertungen unterworfen wie in der EU.

STANDARD: Sojabauern sagen, dass Glyphosat nicht sehr toxisch sei und viel besser als alles andere.

Mies Bombardi: Darüber kann man diskutieren. Glyphosat gilt als wenig toxisch, aber diese Einordnung bezieht sich auf akute Toxizität. Langzeitschäden werden nicht berücksichtigt. Die Weltgesundheitsorganisation hat Studien durchgeführt, wonach es möglicherweise krebserregend ist.

STANDARD: Und für die Umwelt? Zersetzen sich die Pestizide nicht in Berührung mit Wasser?

Mies Bombardi: Nein, sie verschwinden nicht, sie werden im Boden und im Grundwasser eingelagert und töten dort die vorhandenen Mikroorganismen ab.

STANDARD: Welche Folgen hat das?

Mies Bombardi: Der Boden wird unfruchtbar, das haben wir in Studien an der Universität herausgefunden. Die Bodenfruchtbarkeit hat nicht nur mit Mineralien zu tun, sondern auch mit biologischen Mikroorganismen, die durch Insektizide und Fungizide getötet werden.

STANDARD: In 20 Jahren werden die Sojaäcker also zur Wüste?

Mies Bombardi: Ja, mittelfristig deuten die Studien darauf hin.

STANDARD: Und was hat das mit Europa zu tun?

Mies Bombardi: Es gibt einen Vergiftungskreislauf. Der Großteil der Pestizide kommt aus den USA und der EU. Chemiekonzerne wie Bayer und seine US-Tochter Monsanto oder Syngenta exportieren in Drittländer auch Pestizide, die in Europa verboten sind. Der Großteil dieser Chemikalien und des Schadens wird natürlich hier in Brasilien angerichtet, aber ein Teil kommt über Exporte in Form von Nahrungsmitteln wieder zurück nach Europa.(Sandra Weiss aus São Paulo, 1.7.2019)