Angeklagter P. saß zum fünften Mal wegen Vergewaltigung vor Gericht. (Symbolbild)

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Wien – "Wenn jemand zum fünften Mal wegen Vergewaltigung vor Gericht sitzt und Jahrzehnte deswegen in einer Anstalt oder in Haft war – ist so jemand gefährlich oder nicht?", fragt Beisitzer Stefan Apostol im Schöffenprozess gegen Günter P. den Angeklagten. "Zwischen Gefährlichkeit gibt es Abstufungen", versucht der Angesprochene auszuweichen. "Ich meine Sie! Gehören Sie in die Psychiatrie oder sind Sie einfach so gefährlich?", lässt Apostol nicht locker. P. weicht neuerlich aus: "Ich neige zu Alkoholmissbrauch", versucht der 53-Jährige zu begründen, warum er nicht in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher will.

Mit einem Aufenthalt dort hat er Erfahrung. Mit 17 Jahren erhielt er 1984 die erste seiner neun Vorstrafen, vier von diesen wegen Vergewaltigung. Neben der Strafhaft wurde er zwei Mal in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, beim zweiten Mal fast 20 Jahre lang. Ein psychiatrischer Sachverständiger bescheinigte ihm guten Behandlungserfolg und Fortschritte, er kam bedingt in Freiheit. Nicht lange, denn nicht einmal ein Jahr später vergewaltigte er 2010 sein nächstes Opfer.

Sachverständiger lag zweimal falsch

Derselbe Sachverständige, der einige Monate zuvor die Fortschritte gesehen hatte, wurde im folgenden Prozess erneut um seine Expertise gebeten – und blieb dabei: P. sei nicht wirklich psychisch krank, die Vergewaltigung habe mit seinem Geisteszustand nichts zu tun. Was dazu führte, das P. zu acht Jahren regulärer Haft verurteilt wurde, aus der er im vergangenen September entlassen wurde.

"Was haben Sie danach gemacht?", will nun Vorsitzende Eva Brandstetter im fünften Vergewaltigungsverfahren wissen. "Erst habe ich bei Freunden gewohnt, das habe ich ein Einzelzimmer in einem Obdachlosenheim bekommen." – "Wie hat sich Ihr Sexualleben gestaltet?" – "Es hat sich so gestaltet, dass ich zu Prostituierten ging", antwortet der Mindestsicherungsbezieher.

Daneben frönte er dem Alkoholkonsum. "Ich war jeden Tag unterwegs", erinnert er sich. So auch am Montag, dem 11. März. "Ich habe zwischen 16 und vier Uhr acht bis neun Bier getrunken, dazwischen Tequila und Red-Bull-Jägermeister." Die Nacht endete in einem Café in Wien-Brigittenau, wo Frau C. frisch als Bedienung begonnen hatte.

Hinter die Theke gegangen

"Ich habe die Kellnerin attraktiv gefunden und dachte mir, es wäre schön, mit ihr Sex zu haben", fasst der Angeklagte seine Gedanken zusammen. Nachdem der letzte andere Gast das Lokal verlassen hatte, wollte er seine Vorstellungen real werden lassen. Allein: "Ich bin es undiplomatisch angegangen. Ich bin hinter die Bar, habe sie von hinten berührt und irgendwas von ,Schnackseln' gesagt."

Frau C. sagte in ihrer Zeugenaussage bei der Polizei, sie sei gleich von hinten attackiert und zu Boden gebracht worden. Auch P. bestätigt, dass beide am Boden zum Liegen kamen und er der Frau mehrere Faustschläge versetzte. "Aber nicht gegen den Kopf, wie in der Anklage, mehr so seitlich", hält er fest. "Ah so, also eh nur ins Gesicht", kann sich die Vorsitzende eine sarkastische Zwischenbemerkung nicht verkneifen. "Eigentlich reicht das eh schon", gibt der Angeklagte zu.

Anschließend zerrte er sein Opfer an den Haaren in einen Nebenraum und versuchte sie zu vergewaltigen. "Ich bin brutal vorgegangen", gesteht er ein. "Gott sei Dank hat die sich so heftig gewehrt", ist er heute froh. Daher flüchtete er, ließ aber sein Mobiltelefon, das er davor zum Aufladen hinter die Bar gegeben hatte, zurück.

Angeklagter kritisiert Polizeiprotokoll

P. will nach seinem Geständnis noch einen anderen Punkt besprechen, der ihm äußerst wichtig ist. Der nunmehrige psychiatrische Sachverständige Peter Hofmann hat in seinem Gutachten nämlich aus dem Polizeiprotokoll zitiert, wobei der Angeklagte sich missverstanden fühlt.

"Ich habe mir nicht von Anfang an gedacht, dass ich sie vergewaltigen will!", beharrt er. Vorsitzende Brandstetter blättert im Akt und stellt fest, dass im Protokoll lediglich steht: "Ich habe mir gedacht, ich will sie ficken." Daher stellt sie nun die Frage: "Ab wann wollten Sie sie denn ficken?" – "Erst ab dem Zu-Boden-Werfen. Aber vorher wollte ich sie nicht vergewaltigen." – "Und warum haben Sie nicht gefragt, ob sie Sex mit Ihnen haben will?" – "Weil ich zu ungeschickt war in meinem Alkoholdunst."

Maximal 2,5 Promille Alkohol

Überhaupt bleibt P. bei seiner Meinung, dass seine Taten nicht Ausdruck eines psychischen Problems seien, sondern der Alkohol die Schuld trage. "Ich trau mich wetten, wenn ich keinen Alkohol trinken würde, hätte ich das nicht gemacht." Er sei damals allerdings völlig betrunken gewesen. Was Sachverständiger Hofmann nicht glaubt: Er kommt auf einen Maximalwert von 2,5 Promille und geht von einer leicht- bis mittelgradigen Alkoholisierung aus. Auch deshalb, da der Angeklagte bei seiner Ankunft im Lokal noch klar genug denken konnte, um sein Handy aufladen zu lassen, und sich an das Tatgeschehen genau erinnern kann.

"Der Alkoholkonsum kann enthemmend wirken, aber nicht handlungsbestimmend", ist Hofmann überzeugt. P. leidet seiner Ansicht nach an einer Persönlichkeitsstörung, die ihn zwar nicht zurechnungsunfähig, aber gefährlich mache. Die Voraussetzungen für die Unterbringung in einer Anstalt seien also erfüllt. Gleichzeitig schränkt Hofmann ein: "Die bisherige Bilanz der Maßnahmenunterbringung ist negativ." Was auch daran liegen könnte, dass noch nie eine medikamentöse Therapie versucht worden ist, die ein Untergebrachter aber verweigern kann.

Psychiatrische "Wertungsfrage"

P.s Verteidigerin Gabriela Kaiser versucht auf die Expertisen des anderen Psychiaters zu verweisen, die dafür gesorgt hatten, dass ihr Mandant aus der Anstalt entlassen wurde beziehungsweise nach der nächsten Vergewaltigung nicht dorthin zurückkam. "Das ist eine Wertungsfrage", bleibt Hofmann vage und verweist darauf, dass er im Gegensatz zu seinem Berufskollegen von einer "geistigen und seelischen Abartigkeit höheren Grades", wie es im Juristendeutsch heißt, ausgehe.

Da P. geständig ist, sind Staatsanwältin und Verteidigerin damit einverstanden, dass die Aussage von Frau C. verlesen wird und die Zeugin gehen kann. Nur der Angeklagte hat Einwände: Er möchte sich bei seinem Opfer entschuldigen. "Darauf legt meine Mandantin keinen Wert", stellt Privatbeteiligtenvertreterin Irene Oberschlick klar und fordert 3850 Euro Schmerzensgeld. Frau C. sei noch immer arbeitsunfähig und leide an einem posttraumatischen Belastungssyndrom.

Da dadurch der Vergewaltigungsversuch eine schwere Körperverletzung zur Folge hatte, was ein höheres Strafmaß bedeuten würde, muss ein medizinisches Gutachten erstellt werden. Brandstetter vertagt daher auf unbestimmte Zeit. (Michael Möseneder, 1.7.2019)