Denise hatte dann eine Frage. Sie freue sich, sagte sie, dass ihr Haus in einem Social-Media-Posting als perfekte Homebase für ein Tapering-Wochenende gelobt werde. So etwas lese man ja immer gerne. Aber noch netter, meinte sie und rührte hinter im Frühstücks-Porridge, wäre es aber, wenn sie eine Ahnung hätte, wovon ich überhaupt spräche: "Taper-what?"

Denise hatte natürlich recht. Und ich einen Fehler gemacht. Einer der wichtigsten Sätze meiner Branche lautet, dass ein Köder dem Fisch schmecken muss, nicht dem Angler.

Keine Ahnung, wie oft ich das bei Workshops, Seminaren oder Besprechungen mit Experten, Koryphäen und Chefs schon mantraartig wiederholt habe: "Es geht ums Runterbrechen. Wenn die, die ihr erreichen wollt, nur einen Satz, ein Wort, nicht verstehen, sind sie weg: Der Köder …" Und so weiter. Hindert mich das daran, den Fehler selbst zu machen? Natürlich nicht.

Thomas Rottenberg

Aber der Reihe nach. In ein paar Tagen ist Ironman. Genau genommen ist eh immer Ironman: "Ironman" ist schließlich keine sportliche Disziplin, sondern eine global agierende Marke im Portfolio eines chinesischen Misch- und Megakonzerns, die über das Jahr hinweg in 150 Ländern 153 Langdistanz-Triathlons veranstaltet. Weil einer der Firmengründer vor 41 Jahren in Hawaii sagte, "den Sieger nennen wir dann den Ironman", und ein paar Jahre darauf bei einem No-Name-Grafiker um 50 Dollar ein Logo orderte, fallen auch Nichtsportler vor Ehrfurcht um, sobald man "Iron…" haucht. Triathlon? Eine Randsportart für ein paar Spinner. (Nebenbei: diese 50-oder-so-Dollar-Logo-Marke wurde vor ein paar Jahren um 600 Millionen Dollar nach China verkauft.)

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Doch zurück zum Thema. Und zur fragenden Porridgeköchin und Hotelchefin Denise. Denise hat natürlich auch einen Nachnamen. Nur weiß ich den nicht. Genauso wenig wie den ihres Mannes oder Freundes Klaus. Natürlich könnte ich googeln. Nur: Wozu? Relevanter als der Nachname ist, dass die beiden seit eineinhalb Jahren in Podersdorf in einem ehemaligen Obstgarten ein aus acht kleinen Häuschen bestehendes supernettes Frühstückshotel betreiben. Es heißt "The Parcels Hotel" – und ich war übers Wochenende dort eingebucht. Zum Tapern. Was auch immer das sein mag.

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"Ach wie fein, du bist ja jetzt in der Taperingphase", hatte ein Freund lächelnd gesagt, als ich ihm in der größten Hitze des Bahntrainings letzte Woche von meinem geplanten Trip ins Burgenland erzählt hatte. Er wirkte fast neidig. "Na dann genießt du jetzt also das süße Nichtstun vor dem Sturm", sagte sein Blick. Ich kenne diesen Blick. Und den Gedanken dahinter: Vor zwei oder drei Jahren hätte ich vermutlich ähnlich gelächelt, geschaut und gedacht.

Weil viele Leute Tapering mit "Pausemachen" verwechseln. Nur: Das ist es halt nicht. Ganz im Gegenteil.

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"Tapering" heißt tatsächlich "anspitzen". Es ist die Phase unmittelbar vor einem Wettkampf. Die Zeit, in der man (hoffentlich) dem Körper und dem Kopf schon alles beigebracht hat, was er dort, wofür man sich fit machen wollte, brauchen wird: Kraft. Ausdauer. Bewegungsabläufe. Den Willen, das jetzt tatsächlich durchzuziehen. Das Wissen, dass es, wenn nix Blödes dazwischen kommt, auch funktionieren müsste. Die Ruhe, ohne Panik, aber kritisch-fokussiert nach vorn zu sehen.

"Tapering" ist eine Phase, in der man nichts mehr dazugewinnen kann, wenn man noch härter, noch schneller und noch intensiver trainiert. Eher im Gegenteil

Also, denken viele, gilt hiermit wohl der Umkehrschluss. Oder?

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Oder? Und zwar sowas von. Laienhaft ausgedrückt ist "Tapering" in etwa das, was Kinder früher mit Blech-Aufziehmäusen taten, knapp, bevor sie sie loslassen und hoffen, dass die Katze dem dann wie irre loswuselnden Ding sofort nachrennt.

Oder was meine Bubengeneration mit Dardadrom-Autos spielte. Die Schwungfeder zuerst bis zum Anschlag anspannen und dann versuchen, die Spannung so lange wie möglich zu halten. Damit dann, wenn die Autos loszischten, genug Bumms für möglichst alle Loopings da war: Oft genug kippten die Dinger ja dann aus der letzten oder allerletzten Schlinge der Plastikspur, landeten auf dem Rücken und ließen wie abgestürzte Käfer ihre letzte Energie traurig surrend ins Nichts verpuffen.

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Ganz falsch, sagt Harald Fritz, sei dieses Bild auch nicht. "Tapering", so mein Coach und Vereinschef, "mag von außen so aussehen, als würde man da einfach weniger machen. Tatsächlich aber reduziert man zwar Umfänge, hält aber die Intensität hoch: Man soll sich erholen, der Körper darf aber auf keinen Fall glauben, dass jetzt Pause ist." Dass da statt 18-Wochenstunden-Training vor einer Tri-Langdistanz plötzlich nur noch sieben oder acht auf dem Plan stehen, sei nur in der Außenwahrnehmung der Druck auf die Pausentaste: "Es ist wie beim Kochen: Man kann den Topf auf kleiner Flamme am Köcheln halten – aber dass da nix anbrennt, zerkocht oder schal und fad wird, ist die Kunst dabei. Wenn man den Topf vom Feuer nimmt, muss das genau im richtigen Moment sein."

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Für den Athleten oder die Athletin fühlt sich dieses Auf-kleiner-Flamme-Weiterkochen ziemlich sicher nicht nach Erholung an, erklärt der Sportwissenschafter, "ganz im Gegenteil: Viele fühlen sich gerade in dieser Phase müde und schlapp. Sie können damit oft auch nicht umgehen, dass da die ganze Müdigkeit rauskommt. Da sagen dann richtig gute und sehr erfahrene Leute plötzlich: ‚Ich kann gar nix mehr, ich schaffe das nicht, wozu das alles?‘ Das ist aber vollkommen normal." Umso wichtiger sei es, da nicht alleine zu sein. Denn es macht für die meisten Leute einen Unterschied, etwas aus Lehrbüchern oder Web-Tutorials zwar zu wissen – oder es von jemandem, dem man vertraut, face-2-face zu hören.

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Das Abstink-Gefühl, so der Harald, sei wirklich "vollkommen normal". Die Kunst des richtigen Taperns sei es daher, rechtzeitig zu starten. Also weder zu früh noch zu spät. Und das sei dann nicht nur vom individuellen Trainings- und Leistungslevel abhängig, sondern, eh klar, auch von der Art von Bewerb oder Wettkampf.

Strikte Zeitfenster gäbe es daher nicht wirklich: "Da geht es um Erfahrung, Fingerspitzengefühl und ein bisserl Herumprobieren." Grosso modo könne man aber sagen, dass man bei einem Langdistanz-Triathlon etwa zwei Wochen vorher beginne, die Umfänge ein wenig runterzufahren. "Bei kleineren Aufgaben eben dementsprechend später. Und bei kleinen Bewerben brauchen das manche Leute dann auch gar nicht."

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Gender, meint Harald, spiele da auch eine Rolle: "Männer müssen meist etwas früher vom Gas gehen, weil sie länger brauchen, sich zu erholen." Bei Frauen führe zu frühes Tapering dagegen manchmal dazu, dass sie die Spritzigkeit verlören und schlapp würden.

"Das ist immer und bei allen eine Gratwanderung und mit das Schwierigste, wenn man Sportlerinnen oder Sportler betreut. Ganz unabhängig davon, ob es um mögliches Olympiagold oder den allerersten erfolgreich absolvierten 5k-Lauf eines oder einer Hobbyläuferin einer Firmen-Laufgruppe geht."

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Aber dagegen, sich die Tapering-Phase dann halbwegs fein zu gestalten, spricht natürlich nix. Wobei "fein" dieses Wochenende dann auch relativ zu sehen war. Das im Umfang eh schon reduzierte Training bestand aus einer Stunde Freiwasserschwimmen (noch in Wien) am Freitag und jeweils rund 90 Minuten hartem Radfahren, gefolgt von 45 Minuten Koppellauf im Wettkampftempo in reichlich brutaler Hitze am Samstag und am Sonntag.

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Dass es am Neusiedler See am Wochenende zu Mittag locker 35 Grad im Schatten hatte und sich jeder nicht vollkommen Gestörte da entweder in den Schatten legte oder im See plantsche, war aber kein Grund, nicht genau dann in der prallen Sonne unterwegs zu sein: In Klagenfurt wird es diesen Sonntag eher auch nicht kühl sein.

Pause machen und die Beine hochlegen kann ich ja später. In einer Woche. Hoffentlich. Endlich. Wenn ich mir schwören werde: "Nie wieder". – So wie nach dem letzten Mal. Und ich ganz genau weiß, dass es mich ein paar Tage später schon wieder in den Beinen jucken wird. (Thomas Rottenberg, 3.7.2019)

Anmerkung im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Der Aufenthalt im The Parcels Hotel in Podersdorf wurde regulär gebucht und bezahlt.


Weiterlesen:

Wahnsinn verbindet, Teil 1: Wie ich mich auf einen Ironman vorbereite

Ironman-Vorbereitung, Teil 2: "Wahl der Waffen" in Klagenfurt

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