Ohne Stickstoff geht nicht viel. Menschen und Tiere jedenfalls wären ohne ihn nicht lebensfähig, er kommt in allen Proteinen, aber auch in der DNA, unserer genetischen Festplatte, vor. Man findet dieses Element auch in Hormonen, im Bindegewebe und im Immunsystem. Und wir sind von ihm umgeben, da die Erdatmosphäre zu 78 Prozent aus Stickstoff besteht. Nutzpflanzen brauchen ihn außerdem für das Wachstum. Es ist also ein durch und durch positiv besetztes Thema, dieses Element mit der Ordnungszahl 7 im Periodensystem, wenn es da nicht eine Folge menschlichen Tuns gäbe, die Stickstoff zu einem der größten Umweltprobleme der Gegenwart macht: die Überdüngung.

Planloses Düngen führt zu mehreren Umweltproblemen: Das Nitrat wird ausgewaschen und landet im Grundwasser.
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Die Welternährung hängt großteils vom Wachstum der Nutzpflanzen ab, diesem Anspruch kann man aber ohne zusätzlichen Dünger nicht gerecht werden. Neben Phosphor und Kalium muss den Pflanzen vor allem Stickstoff zugeführt werden, da sie den Luftstickstoff nicht nutzen können. Stickstoffdünger wird industriell durch das Haber-Bosch-Verfahren erzeugt, in großen Fabriken entsteht mit viel Energieaufwand Ammonium aus Luft.

Die Bedeutung dieser Entwicklung, für die insgesamt drei Nobelpreise vergeben wurden, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Heute werden 50 Prozent der Weltbevölkerung ernährt, indem man zu Nutzpflanzen den industriell hergestellten, teuren Dünger gibt.

Schlechte Öko-Bilanz

Allerdings ist die Öko-Bilanz aufgrund des hohen Energieaufwands schlecht. Eine Alternative ist die organische Düngung mit tierischen Exkrementen und Klärschlamm. In der Gülle, einem Gemisch aus Kot und Urin, ist viel Stickstoff enthalten, nur wird da häufig weit über das Ziel hinausgeschossen. "Für Tiermastbetriebe geht es bei der Düngung häufig nicht um die Steigerung des Pflanzenertrags, sondern vielmehr um die Entsorgung der tierischen Exkremente", kritisiert der Mikrobiologe Michael Wagner von der Universität Wien.

Er ist seit 2003 Professor für Mikrobielle Ökologie und beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit dem Stickstoffkreislauf der Natur, vor allem aber mit der Rolle von ganz bestimmten Bakterien, die Ammonium verarbeiten und umwandeln: den sogenannten Nitrifikanten. Kürzlich hat er für seine Forschungsarbeit einen von zwei mit je 1,5 Millionen Euro dotierten Wittgenstein-Preisen vom Wissenschaftsfonds FWF und vom Wissenschaftsministerium erhalten. Der andere ging an den Historiker Philipp Ther,

Was ins Grundwasser gelangt

"Wir wissen viel über diese Nitrifikanten, aber noch lange nicht alles", sagt er. Eine Gruppe der Mikroben wandelt Ammonium aus dem Dünger in Nitrit um, eine andere das Nitrit in Nitrat – und es gibt auch erst kürzlich von Wagners Team entdeckte sogenannte Comammox-Bakterien, die direkt Nitrat aus Ammonium machen. Obwohl Pflanzen Ammonium und Nitrat aufnehmen können, hat das dramatische Folgen. Nitrat wird, wenn es regnet, viel leichter als Ammonium ausgewaschen und gelangt ins Grund- und Meerwasser. So werden häufig nur 20-30 Prozent der Düngemittel von den Nutzpflanzen aufgenommen.

Der >Mikrobiologe Michael Wagner erhielt kürzlich den Wittgenstein-Preis.
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Hier beginnt eine Kaskade an Folgen, für die derzeit laut Wagner noch wenig Bewusstsein in der Bevölkerung besteht: Grundwasser muss vom gesundheitsschädlichen Nitrat befreit werden, das ist kostspielig und macht Trinkwasser teurer, als es sein müsste. Über Flüsse gelangt das Nitrat in die Meere, wo Algenteppiche entstehen. Nach deren Absterben werden sie von Bakterien abgebaut, die den Sauerstoff verbrauchen.

Lachgas-Problem

Langfristig entwickeln sich so Todeszonen, außer Bakterien kann dort nichts mehr leben. Aktuell ist das über den Golf von Mexiko berichtet worden. Die Nitrifikanten erzeugen aber auch Lachgas, das seit dem Verbot von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) als Kältemittel das für die Ozonschicht schädlichste Treibhausgas ist.

Außerdem führt die Überdüngung der Böden auch zum Verlust der Biodiversität auf Wiesen: Löwenzahn und Brennnessel wachsen dann in großen Mengen, während viele andere Pflanzen nicht mehr gedeihen. Damit gibt es auch weniger Insekten, die für ihren Bestand mehr Vielfalt brauchen – womit schließlich auch den Vögeln ein Element ihrer Speisekarte fehlt.

Es gibt aber auch Ausnahmen von Nutzpflanzen, die eigene Wege der Düngeoptimierung gehen. Die Leguminosen, das sind Hülsenfrüchte wie Kichererbsen, Sojabohnen aber auch Futterpflanzen wie Lupinen und Klee, haben Gäste in ihren Wurzelknollen. Es sind Bakterien, die den Luftstickstoff in Ammonium umwandeln können. Dafür füttern die Pflanzen den Symbionten mit organischen Kohlenstoffverbindungen. Man kann diese Pflanzen auch ins Feld einarbeiten und mit dieser "grünen" Düngung den Boden ohne Zugabe von Industriedünger verbessern, erzählt Michael Wagner.

Nicht nur "schädlich"

Aber: Nitrifikanten sind nicht nur "schädlich". Die gleichen Mikroben, die in der Landwirtschaft Umweltprobleme schaffen, sind nämlich in Kläranlagen für die Reinigung der Abwässer zuständig. Jeder Mensch scheidet 20 bis 30 Gramm Harnstoff, der fast zur Hälfte aus Stickstoff besteht, aus. "Man muss sich das einmal vorstellen", sagt Wagner und fragt: " Was bedeutet das in einer Großstadt? Welche Mengen Stickstoffverbindungen würden über ungeklärte Abwässer in die Gewässer gelangen?"

Dank Kläranlagen werde aus dem Harnstoff wieder das Stickstoffgas, das in der Luft keine Probleme verursacht. In manchen Kläranlagen tauchen auch die von Wagners Gruppe entdeckten Comammox-Bakterien auf, die beide Umwandlungsprozesse, von Ammonium in Nitrit und von Nitrit in Nitrat, schaffen und dabei deutlich weniger Lachgas produzieren als andere Nitrifikanten.

Die Gruppe um Michael Wagner erforscht nun, wie man das Wachstum dieser "grünen" Nitrifikanten in Kläranlagen anregen kann, um diese noch umweltverträglicher zu machen.

Weniger Fleisch essen

Was kann man also tun, um die Probleme und Umweltkatastrophen zu minimieren, die durch Überdüngung verursacht werden? Wagner: "Der logische Schritt wäre: weniger Fleisch essen und intelligenter düngen." Ein großer Teil der landwirtschaftlich genutzten Fläche wird für die Futterproduktion für die Tiermast benötigt, und die Exkrementeentsorgung aus der Massentierhaltung trägt stark zur Überdüngung bei.

Um effizienter düngen zu können, muss man allerdings erst analysieren, wo auf den Feldern Düngung in welchem Umfang nötig ist. Wagner bestätigt, dass es dazu zahlreiche Forschungsprojekte mit Drohnen und künstlicher Intelligenz gibt. Wissenschafter überlegen auch, ob man Nutzpflanzen genetisch so verändern kann, dass sie selbst für ihren Sickstoffhaushalt sorgen – ähnlich wie die genannten Leguminosen – oder Stoffe aus ihren Wurzeln ausscheiden, die die Nitrifikanten hemmen und so weniger Dünger benötigen. "Ein heikles Thema in Österreich", sagt Wagner, "das aber offen diskutiert werden müsste." (Peter Illetschko, 6.7.2019)