Die Lebensqualität von Personen, die unter dem Reizdarmsyndrom leiden, ist stark eingeschränkt.

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Ein Reizdarm kann quälend sein: Plötzlich einsetzende chronische Bauchschmerzen, Unwohlsein, Blähungen, Durchfall und Verstopfung sind typische Symptome, die auch Lebensqualität kosten. Die komplexen Prozesse, die einen Reizdarm (Irritable Bowel Syndrome, IBS) verursachen, sind bislang nur teilweise bekannt. Ein ganz wichtiger Player ist aber die Psyche – und somit auch Stress. Zwischen Darmhirn und Gehirn gibt es einen regen Informationsaustausch.

Könnte früher Stress im Kleinkindalter eine ursächliche Rolle bei einem späteren Reizdarm spielen? Und wenn ja, auf welche Weise? Forscher der Hongkonger Baptist University (HKBU) haben das nun genauer untersucht.

Sie stellten im Tiermodell fest, dass frühkindlicher Stress ein späteres Reizdarmsyndrom begünstigt: Stress in der ersten Lebensphase der Mäuse, verursacht durch die Trennung von der Mutter, führte im Mäusedarm zu einer Erhöhung der Menge des Nervenwachstumsfaktors (NGF) um 30 Prozent. NGF ist für die neuronale Entwicklung des Nervensystems sehr wichtig.

Serotonin erhöht Empfindlichkeit

Die Forscher konnten beobachten, dass der Nervenwachstumsfaktor das Wachstum und die Proliferation von Darmstammzellen deutlich fördert – um ganze 50 Prozent mehr – und so der Stress in früher Kindheit lebenslang seine Spuren hinterlässt. Die erhöhte Zahl an intestinalen Stammzellen führt dazu, dass auch eine abnormal große Zahl sogenannter enterochromaffiner Zellen im Darm (ebenfalls 50 Prozent mehr) entsteht.

Sie produzieren nun aber den Botenstoff Serotonin, der im Darm eine andere Wirkung hat als das im Gehirn ausgeschüttete Serotonin. Vom Darmserotonin ist bekannt, dass es in hoher Menge einen Reizdarm verursachen kann. Die um 75 Prozent gesteigerte Serotoninmenge erhöht die Schmerzempfindlichkeit im Darm der Versuchstiere. Und offenbar nicht nur bei ihnen.

Es ist bekannt, dass der Darm von Reizdarmpatienten schmerzempfindlicher ist. Gasansammlungen im Darm, die Druck auf die Darmwand ausüben und den Darm dehnen, führen bei den Betroffenen bereits dann zu Schmerzen, wenn Gesunde noch gar nichts von den Gasansammlungen bemerken. Deshalb werden zur Therapie oftmals trizyklische Antidepressiva verwendet, die die Schmerzschwelle anheben. Diese Medikamente werden dabei in einer Dosis eingesetzt, in der das Medikament noch nicht antidepressiv wirkt.

Wachstumsfaktor hemmen

Ist es möglich, den Nervenwachstumsfaktor zu blockieren? Zumindest im Mäusemodell war das mit einem bestimmten Antikörper möglich. Bei geblocktem Nervenwachstumsfaktor nahmen dann bei den Versuchstieren sowohl die Serotoninmenge im Darm als auch die Symptome des Reizdarms ab.

Diese Ergebnisse aus dem Tiermodell überprüften die Forscher mit einem klinischen Check. Der zeigte deutlich, dass auch bei Reizdarmpatienten mit Durchfall eine Korrelation zwischen Nervenwachstumsfaktor und Serotonin besteht. Weitere Forschung ist allerdings nötig, um festzustellen, ob tatsächlich ein Ursache-Wirkung-Zusammenhang besteht.

Infektion als Ursache

Frühkindlicher Stress ist aber nur eine von mehreren möglichen Ursachen für einen Reizdarm. "Das IBS ist ein Sammeltopf für unterschiedliche Ursachen, die zu einigen der genannten Beschwerden führen", sagt der Neurogastroenterologe Thomas Frieling vom Helios-Klinikum Krefeld.

IBS lässt sich in mehrere Untergruppen einteilen. Bei etwa 30 Prozent der Patienten treten mikroskopisch kleine Entzündungen in der Darmschleimhaut auf. Sie sind eine Folge von Magen-Darm-Infekten, wie sie etwa bei Fernreisen oder infolge einer Salmonelleninfektion auftreten. Ärzte sprechen dann vom postinfektiösen Reizdarm. Bei etwa 20 Prozent der IBS-Patienten ist eine Gluten- oder Weizensensitivität (Non-Celiac Gluten Sensitivity, NCGS) Ursache der Beschwerden. Vielfach kommen mehrere Faktoren zusammen.

Elektroakupunktur als Therapie

Auch auf der Therapieseite gibt es etwas Neues. Die US-Arzneimittelkommission (FDA) hat kürzlich für Jugendliche ein Gerät zur Reizdarmtherapie zugelassen. Es handelt sich um die perkutane Nervenfeldstimulation (PEHFS), eine Variante der Elektroakupunktur.

Dabei geben drei feine Akupunkturnadelpflaster im Bereich der Ohrmuschel elektrische Impulse in die Haut ab. Sensorische Nerven leiten die Signale ins Gehirn, wo sie angeblich die Schmerzverarbeitung beeinflussen. Die Intensität von Bauchschmerzen soll dadurch etwas gelindert werden. Ob der Effekt wirklich überzeugend ist, bleibt abzuwarten. Eine Zulassung in Europa ist eher fraglich.

Fodmap-Diät

Wenn eine Reizdarm-Symptomatik unter psychosozialen Belastungen auftritt und nicht innerhalb von einigen Wochen bis maximal drei Monaten weggeht, kann eine psychosomatisch-psychotherapeutische Beratung hilfreich sein.

In vielen Fällen bessern sich die Reizdarmsymptome aber schon merklich, wenn in der Nahrung bestimmte Zucker, sogenannte blähende Fodmaps (fermentierbare Oligo-, Di-, Monosaccharide und Polyole), vermieden werden. Diese Zuckermoleküle können im Dünndarm nicht ausreichend abgebaut werden und gelangen unverdaut in den Dickdarm, wo sie Probleme bereiten.

Fodmap-reich sind beispielsweise Cashewnüsse, Birnen, Joghurt, Karfiol und Weizen. Ob Brot einen blähenden Effekt hat oder nicht, hängt aber vor allem von der Teigzubereitung ab. Lässt der Bäcker den Teig mehrere Stunden gehen, dann spielt der Fodmap-Gehalt des Getreides keine so große Rolle mehr, weil jene Bestandteile im Brot, die Beschwerden verursachen, weitestgehend abgebaut werden. Fodmap-arm sind Banane, Dinkel, Hirse, Brokkoli, dunkle Schokolade und Walnüsse. (Gerlinde Felix, 15.7.2019)