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Der Italiener David Sassoli (li.) nimmt die obligate Gratulationsumarmung von Manfred Weber entgegen.

Foto: AP Photo/Jean-Francois Badias

Auftreten und reden vor großem Publikum ist für David Sassoli nicht einfach nur Routine. Er beherrscht dieses Fach bis zur Perfektion. Bevor der 63-jährige Sozialdemokrat in die Politik wechselte und 2009 Abgeordneter im Europäischen Parlament wurde, war er Journalist und Moderator einer Nachrichtensendung beim staatlichen italienischen TV-Sender Rai. Ein Star, der Ende Mai erneut mit vielen Vorzugsstimmen in die Volksvertretung in Straßburg gewählt wurde.

Umso auffälliger waren die Zurückhaltung, die vorsichtigen Formulierungen und die Allgemeinplätze, die Sassoli wählte, als er sich am Mittwoch nach der Frühsitzung des Plenums in einer Pressekonferenz Fragen der Journalisten stellte. Ja, man müsse nach den Europawahlen "die Information für die Bürger noch besser machen", referierte er. Das Parlament müsse sich öffnen. "Die Demokratiefrage" werde das wichtigste Thema in den nächsten fünf Jahren sein.

Vorsicht bei der Pressekonferenz

Seine Vorsicht hatte einen guten Grund. Kurz davor war Sassoli zum neuen Präsidenten des Parlaments gewählt worden, mit einer relativ schwachen Mehrheit von 345 Stimmen von insgesamt 751 Abgeordneten. Die absolute Mehrheit bekam der Sozialdemokrat (und Nachfolger seines Landsmanns Antonio Tajani) von der zweitstärksten Fraktion (S&D, 152 Sitze) erst im zweiten Wahlgang, obwohl er von den Christdemokraten (EVP, 182) – der größten Fraktion – unterstützt wurde. Diese verzichteten auf eine eigene Kandidatur ihres Spitzenkandidaten Manfred Weber, so wie die Liberalen von Renew Europe (RE, 108 Sitze).

Weber soll den Italiener in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode 2022 gemäß einer Parteienvereinbarung ablösen. So sieht das auch das große Personalpaket der EU-Topjobs vor, das die Staats- und Regierungschefs tags zuvor in Brüssel mit viel Mühe beschlossen hatten. Die der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) angehörende Europaabgeordnete Mairead McGuinness ist zur ersten Vizepräsidentin des EU-Parlaments gewählt worden. Insgesamt wurden im ersten Wahlgang elf der 14 Vizepräsidenten bestimmt, darunter mit 477 Stimmen ÖVP-EU-Delegationsleiter Othmar Karas.

Ein erster Gradmesser

Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen soll Kommissionspräsidentin werden, was in den Fraktionen, vor allem bei Sozialdemokraten und Grünen, teils Empörung hervorrief: Sie drohen damit, von der Leyen bei der Abstimmung Mitte Juli im Plenum durchfallen zu lassen, weil der Gipfel das Modell der Wahl-Spitzenkandidaten ignoriert habe und weder Weber noch den SP-Mann Frans Timmermans als Nachfolger von Jean-Claude Juncker in Betracht zog.

Die Personalie Sassoli war also der erste Gradmesser, ob der einhellige Deal der Regierungschefs Bestand haben wird – oder wieder gesprengt wird. Davon hängt ab, ob die Französin Christine Lagarde (EVP) Chefin der Europäischen Zentralbank, der liberale belgische Regierungschef Charles Michel nach Donald Tusk im Dezember Präsident des Europäischen Rates wird und Spaniens Außenminister Josep Borrell (SP) nach Federica Mogherini EU-Außenbeauftragter. Timmermans soll Vizepräsident der Kommission werden.

Werben in Straßburg

Eine Mehrheit für von der Leyen ergibt sich nur, wenn neben Rot und Schwarz auch die Liberalen mitstimmen. Sassolis Gegenkandidaten haben bei der Wahl des roten Präsidenten überraschend gut abgeschnitten, etwa die grüne Fraktionschefin Ska Keller (119 Stimmen) und der tschechische Konservative von der EKR, Jan Zahradil (160).

Da die Fraktionslosen (darunter britische EU-Skeptiker) genauso wie die Rechtsfraktion von Le Pen, Lega und FPÖ (ID) die neue EU-Führungsriege ablehnen, wird es schwer für von der Leyen: Sie braucht die absolute Mehrheit aller Abgeordneten, 376 Stimmen von 751 – mehr als Sassoli am Mittwoch. Kein Wunder, dass die Deutsche bereits am ersten Tag nach ihrer Nominierung nach Straßburg reiste, um um Zustimmung zu werben.

Von der Leyen wirbt in eigener Sache

Sie begann mit einem Heimspiel in der EVP-Fraktion, dem die besondere "Bearbeitung" der Christdemokraten aus Deutschland folgte, die noch immer ihrem Spitzenmann Weber nachtrauern. Der neue Parlamentspräsident wollte sich nach einer Frage des Standard nicht festlegen, ob er für von der Leyen werben will. Der Beschluss der Regierungschefs habe "in allen Fraktionen für Diskussionen gesorgt".

Er müsse und werde dafür sorgen, dass "diese Debatte geführt wird und alle zu Wort kommen". Sassoli bestätigte, dass er nicht selber als Präsident kandidiert hätte: "Als das gestern an mich herangetragen wurde, fühlte ich mich schon überrascht", erzählte er, aber dann habe er sich gedacht: "Ich bin nicht der Mann des Rates der Regierungschefs, sondern des Parlaments", das völlig autonom entschieden habe. (Thomas Mayer aus Straßburg, 3.7.2019)