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Ursula von der Leyen wurde von Jean-Claude Juncker herzlich empfangen. Dieser legt sich für sie ins Zeug. Ob das reichen wird, ist aber ungewiss.

Foto: AP / Virginia Mayo

Gestern Straßburg, heute Brüssel, morgen Berlin, kommenden Montag wieder Brüssel, bald Paris. Der Terminkalender von Ursula von der Leyen kennt derzeit nur einen Impuls: In wildem Flug eilt die von den Staats- und Regierungschefs Dienstagabend völlig überraschend zur Kommissionschefin nominierte deutsche Verteidigungsministerin zwischen den Städten der wichtigsten EU-Institutionen und den Machtzentren hin und her.

Ihr einziges Ziel: Sie muss um jeden Preis versuchen, sich bei den 751 Abgeordneten des Europäischen Parlaments eine Mehrheit zu verschaffen, konkret eine absolute Mehrheit von 376 Stimmen, egal wie viele sich am Votum beteiligen oder dieses verweigern. Jede Stimme zählt. Sie hat nur noch elf Tage Zeit. Am 16. Juli wird abgestimmt.

Eine solche Mehrheit ist nach dem Chaos beim EU-Gipfel um das gesamte EU-Personalpaket derzeit nicht gegeben. Nicht nur die von den Regierungschefs völlig übergangenen Grünen sind als Fraktion strikt gegen die Bestätigung der Kandidatin des Europäischen Rates. Sie sagen, dabei seien die bei den Europawahlen angetreten Spitzenkandidaten der Parteifamilien ignoriert, Demokratisierung verhindert worden. Auch die Rechtsparteien, EU-Gegner und die Konservativen sind gegen den Deal.

Gespaltene Sozialdemokraten

"Die Sozialdemokraten sind derzeit mindestens gespalten", sagt ein Insider, und empört, wie mit ihrem Spitzenkandidaten Frans Timmermans umgesprungen wurde. Vor allem deutsche EU-Abgeordnete und die SPD machen mobil gegen von der Leyen, ein Koalitionsbruch in Berlin ist möglich.

Sie würde bei einem Votum in Straßburg derzeit durchfallen, schätzen Insider auch in der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP): "Nichts ist derzeit fix", hieß es am Donnerstag am Rande einer Aussprache im Plenum mit Ratspräsident Donald Tusk.

Von der Leyen hatte tags zuvor mit einer ersten kleinen Werbetour im EU-Parlament ("im Herzen der Demokratie") bereits begonnen. Es war ein "Heimspiel" in der EVP-Fraktion, die ihr volle Unterstützung zusagte. Während Tusk, ebenfalls ein Christdemokrat, Donnerstag auf die EU-Mandatare einredete, sie sollten dem EU-Paket zustimmen, war die Deutsche bereits beim noch amtierenden Kommissionschef Jean-Claude Juncker in Brüssel. Er empfing sie betont herzlich mit einer kräftigen Umarmung.

Sie sei eine wahre Europäerin, hob er hervor, habe viel Erfahrung, sei bestgeeignet für seine Nachfolge. Der Christdemokrat aus Luxemburg will ihr alle Kniffe bei der Bildung einer Kommission beibringen, wie man die zersplitterten Länder und Fraktionen auf einen Nenner bringt. Der EU-Vertrag gibt einer gewählten Kommissionspräsidentin bei der Gestaltung ihres Teams große Macht. Zwar muss sie nationale Kandidaten in Abstimmung mit den Regierungschefs der EU-Staaten aussuchen, muss deren Vorschläge akzeptieren. Aber welche Zuständigkeit ein Kommissar bekommt, das bestimmt allein die Präsidentin.

Mehr Grüne, mehr Osteuropäer

Darin liegt die wahre Gestaltungsmacht, in Form neuer Deals und im Geschick, ob von der Leyen sich eine Mehrheit erarbeiten kann. Tusk ließ dazu derweil in Straßburg (in Absprache mit der Kandidatin) mit einer inhaltlich spannenden Aussage aufhorchen: Nicht nur seien alle EU-Posten in einer "guten Wahl" super besetzt, auch in Hinblick auf die Geschlechterbalance mit zwei Frauen (die Französin Christine Lagarde soll EZB-Präsidentin werden, Belgiens Premier Charles Michel sein Nachfolger als Ratspräsident und der Spanier Josep Borrell neuer EU-Außenbeauftragter). Nun müssten auch die Grünen und die Osteuropäer stärker in die politische Gestaltung eingebunden werden, erklärte Tusk, und zwar auf der Ebene der Kommission.

Von der Leyen hat mit den Fraktionschefs der Grünen, Ska Keller und Philippe Lamberts, bereits Kontakt aufgenommen. Am Montag wird sie in Brüssel in die grüne Fraktion kommen und ein Angebot machen. Keller hatte bisher immer betont, dass die Personen weniger wichtig seien als Inhalte wie Klimaschutz und mehr Demokratie. Zuletzt waren die Grünen vor fast zwanzig Jahren mit einem EU-Kommissar repräsentiert, als in Deutschland Rot-Grün regierte. Damals war das Michaele Schreyer.

Die Grünen stellen mit 73 Abgeordneten die viertgrößte Fraktion im EU-Parlament. Sollten EVP (182), Liberale (RE, 108) und S&D (153 Mandate) zusammen nicht auf 376 Stimmen kommen, könnten sie den Ausschlag geben, ob von der Leyen es schafft. Welche nationalen Kommissare zum Zug kommen, entscheidet sich erst in den Wochen danach. In Österreich blühen schon die Spekulationen: Die SPÖ plädiert laut Kurier für Hans Dietmar Schweisgut, einen ehemaligen EU-Diplomaten und Berater von Ex-SP-Finanzminister Ferdinand Lacina. Auch Außen- und Europaminister Alexander Schallenberg wird genannt. (Thomas Mayer aus Straßburg, 4.7.2019)