Schöner Wohnen? Nein, Sebastian Kurz war zu Gast bei Angela Merkel im Berliner Kanzleramt. Er kritisierte die Hinterzimmerpolitik zur Nominierung von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen.

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Formal ist Sebastian Kurz derzeit ja "nur" Vorsitzender und Spitzenkandidat einer Partei. Das Kanzleramt hat er verlassen müssen, ein Mandat im Nationalrat hat er auch nicht. Doch am Donnerstag in Berlin ist von dieser Degradierung nichts zu bemerken.

Kurz kam in die deutsche Hauptstadt, und dort öffneten sich mit einer Selbstverständlichkeit Türen, als wäre er immer noch Bundeskanzler, was für einen Exkanzler im Wahlkampf natürlich nicht unangenehm ist.

Zunächst ging es zu Angela Merkel ins deutsche Kanzleramt, wo Kurz nach der Nominierung der deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und dem damit verbundenen Deal zwischen Merkel, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron sowie dem ungarischen Premier Viktor Orbán einiges zu besprechen hatte.

"Die letzten Tage boten ein unwürdiges Schauspiel. Entscheidungen sollten transparent ablaufen und nicht im Hinterzimmer", sagte er und meinte damit, wie die Nominierung von der Leyens zustande gekommen war.

Mit der Personalie selbst kann Kurz gut leben: "Ich kenne und schätze Ursula von der Leyen, ich denke, sie wird ihre Sache gut machen." Er sei außerdem froh, dass der Sozialdemokrat Frans Timmermans verhindert worden sei.

Verständnis hat Kurz auch dafür, "dass die großen EU-Länder Deutschland und Frankreich ihre Führungspositionen wahrnehmen wollten". Dennoch müsse beim nächsten Mal Transparenz herrschen. Es sei daher durchaus eine Überlegung, "das Spitzenkandidatensystem rechtlich zu verankern". Dann müsste nach der nächsten EU-Wahl tatsächlich jene/r EU-Kommissionspräsident/in werden, der/die zuvor Spitzenkandidat/in bei der Wahl war.

Keine Kritik an der Person

Doch Kurz will das ausdrücklich nicht als Kritik an von der Leyen selbst verstanden wissen. Am heutigen Freitag wird er sie treffen, Thema ist die Zukunft der EU. Allerdings haben beide Gesprächspartner noch ein kleines Handicap. Weder Kurz noch von der Leyen sind derzeit für neue Jobs legitimiert.

Kurz will nach der Nationalratswahl am 29. September wieder Regierungschef werden, von der Leyen muss erst noch vom Parlament bestätigt werden. Die österreichischen Stimmen in der EVP sollen fix sein, doch von der Leyen dürfte an Sicherung weiterer Stimmen aus dem konservativen Lager interessiert sein. Dabei soll Kurz helfen, der zu den Osteuropäern einen besseren Draht hat als Merkel.

In der eigenen Heimat ist die Unterstützung nicht in dem Umfang gegeben, wie es sich von der Leyen wünschen würde. Die SPD ist stinksauer ob der Ernennung von der Leyens: Deutschland musste sich – als einziges Land übrigens – auch enthalten, weil die SPD Merkel ihre Zustimmung verweigert hatte.

Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte seiner Partei sogar empfohlen, die Entscheidung für von der Leyen als Anlass für den Koalitionsbruch zu nehmen. Auch Juso-Chef Kevin Kühnert, einer der schärfsten Kritiker der großen Koalition, sagt: "So Ereignisse wie in dieser Woche mit Ursula von der Leyen tragen nicht unbedingt zur Wahrscheinlichkeit bei, dass es die große Koalition am Ende des Jahres noch gibt." Doch die SPD-Spitze will den Bruch nicht, sie muss ja überhaupt erst einmal eine neue Führung suchen, bevor sie sich über Neuwahlen Gedanken macht.

Schlechte Umfragewerte

Am späten Nachmittag war Kurz dann zum Gespräch bei CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer in der CDU-Zentrale. Dort waren Tipps gefragt, wie man denn Regierungschefin werden könne. AKK will ja eines Tages Merkel auch im Kanzleramt beerben, allerdings ist die EU-Wahl für die Union schlecht ausgegangen, auch die Umfragewerte für die CDU-Chefin sind mau. Und Merkel sitzt fest im Sattel.

Am Abend stand für Kurz ein halbprivater Termin auf dem Programm: ein Abendessen im legendären Klub des Axel-Springer-Verlages. Dort ist Kurz äußerst wohlgelitten, er gibt immer wieder der Bild und der Welt große Interviews.

Am Abendessen nahmen auch einige Minister teil, darunter sein Freund Jens Spahn. Der ist aktuell Gesundheitsminister, wird aber als Nachfolger von Ministerin von der Leyen im Wehrressort gehandelt. Es wäre ein Aufstieg für den 39-Jährigen, der kein Hehl daraus macht, dass er noch einiges vorhat – und auch deshalb in Sebastian Kurz ein Vorbild sieht.(Birgit Baumann aus Berlin, 4.7.2019)