Dort, wo ab 7. Juli Kinderhorden zu ihren Sommerkursen strömen, hat Biologin Andrea Möller den STANDARD bereits vorab getroffen, um zu erklären, wie Kinder heute die Natur erleben und was ihr beim Engagement der Jugend in Sachen Klimaschutz noch fehlt.

Neben ihrer Familienvorlesung über Bienen bietet Möller im Rahmen der Kinderuni Wien auch zwei Workshops für junge Forscherinnen und Forscher an. Beim Vorabtreffen auf dem Unicampus des Alten AKH ging es auch um Sexualbildung.

Andrea Möller will Kinder für die Natur begeistern.
Foto: Andy Urban

STANDARD: Was wissen Kinder noch über die Natur?

Möller: Viel zu wenig. Wir wissen aus Studien, dass Kinder sich mehr und mehr zu Hause aufhalten, im Zimmer, vor dem Computer, dem Smartphone und dass sie leider viel zu wenig raus in die Natur gehen. Auch Eltern und Großeltern gehen kaum noch mit ihnen raus, und selbst im Biologieunterricht bleiben sie meist im Klassenzimmer, das wissen wir aus Schülerinnen- und Schülerbefragungen. Das heißt, die wichtige Begegnung mit der Natur findet viel zu wenig statt. Daher können sie auch kaum Fragen stellen.

STANDARD: Wissen Kinder wirklich wenig bis nichts, oder verfügen sie mehr über ein theoretisches Wissen?

Möller: Sie wissen weniger. Auch wenn sie lesen oder Natursendungen anschauen, können sie das oft nicht mehr verbinden mit Emotionen.

STANDARD: Und der Biologieunterricht lässt hier auch aus?

Möller: Der Biologieunterricht allein schafft es nicht. Unsere Untersuchungen zeigen, dass viel zu wenig mit Originalobjekten gearbeitet wird – also kaum Tiere und Pflanzen in den Unterricht mitgebracht werden oder Exkursionen unternommen werden. Da wird der Bach via Arbeitsblatt erarbeitet, statt mit den Kindern hinauszugehen.

STANDARD: Warum ist das so? Faulheit? Angst, dass sich jemand wehtut?

Möller: Das ist auch eine Frage der zeitlichen Ressourcen, der Zusammenarbeit im Team und der Ausbildung. Hier an der Uni Wien hatten Lehramtsstudierende bisher gar nicht so viele Chancen zu lernen, wie sie Kinder in der Natur unterrichten.

STANDARD: Weil der Unterricht für angehende Lehrkräfte zu theoretisch ist?

Möller: Ja, das ist leider oft der Fall. Um das zu ändern, haben wir hier in Wien zwei neue außerschulische Lernorte geschaffen: ein Bienengelände und ein Forschungs- und Lernlabor, das im September in Betrieb geht. Da können Schulklassen kommen und von den angehenden Lehrkräften unterrichtet werden. Die wiederum können sich dort ausprobieren, sie üben also nicht mehr nur das Trockenschwimmen.

STANDARD: Ist der Klimawandel im Unterricht vermehrt Thema?

Möller: Ja, und das ist erfreulich. Dank der Proteste sind die Jugendlichen tatsächlich sehr sensibilisiert für das Thema. Noch besser wäre es, wenn sie als Folge auch wieder mehr in die Natur gehen würden und sich engagieren würden für Natur-, Umwelt- und Klimaschutz, statt nur Bilder auf Instagram zu teilen. Jetzt müssten wir ihnen sagen: "Toll, dass ihr euch für den Klimaschutz engagiert. Aber jetzt tut auch was! Sammelt Müll im Wald ein! Helft Kröten über die Straße! Spart Energie und schaltet euer Handy am Wochenende aus!

STANDARD: Bleibt der Kampf der Jugend gegen die Erderwärmung bisher im Abstrakten stecken?

Möller: Auch viele Eltern haben sich nie ehrenamtlich engagiert. Selbst bei meinen Studierenden, die ich zu Vorlesungsbeginn frage, wer sich schon einmal mit Kindern beschäftigt hat – sei es als Fußballtrainer oder bei Naturschutzverbänden –, lassen hier aus. Bei unserer letzten Umfrage hatten nur vier von über 400 Personen Vorerfahrung mit Kindern gesammelt.

STANDARD: Warum gelten naturwissenschaftliche Fächer besonders bei Mädchen immer noch als unattraktiv?

Möller: Wir wissen, dass Mädchen in diesen Feldern nicht unbegabter sind als Buben. Wir wissen aber auch, dass sie anders angesprochen werden müssen, um sich begeistern zu lassen. Bei Experimenten melden sich oft zuerst die Buben. Es ist aber wichtig, dass Mädchen nicht nur zusehen.

STANDARD: Mädchen müssen also hervorgeholt werden?

Möller: Genau. Es geht darum, wie ich die Mädchen einbeziehe. Stellen Sie sich vor, Sie würden die Säugetiere nur am Beispiel Pferd durchnehmen. Tendenziell wären viele Mädchen begeistert, und die Burschen würden sagen, warum nicht der Wolf? Eine Kollegin macht regelmäßig Chemie-Camps für Mädchen. Bei einem waren zwölf Teilnehmerinnen, elf wollten danach Chemie studieren.

STANDARD: Also alles steht und fällt mit der Lehrkraft?

Möller: Ja, sie ist der größte Einflussfaktor auf die Qualität des Unterrichts. Sie können zehnmal in der Woche Biologieunterricht haben. Ist er schlecht, bringt das weniger als eine gute Stunde. Ich habe das überschlagsmäßig ausgerechnet: Auf jedes Lehrerleben kommen rund 3200 Schülerinnen und Schüler. Das ist enorm viel Verantwortung. Aber natürlich auch eine Riesenchance!

STANDARD: In Österreich gab es zuletzt Aufregung über die Gestaltung des Sexualkundeunterrichts. Als Folge dürfen externe Vereine jetzt nicht mehr herangezogen werden. Ist das eine gute Entscheidung?

Möller: Sexualbildung ist eines der wichtigsten Themen im Biologieunterricht. Junge Menschen über ihre Sexualität aufzuklären ist zentral, weil es tief in die Familien- und Partnerstrukturen eingreift. Viele Lehrkräfte haben damit große Schwierigkeiten, fürchten sich fast davor, weil manche Kinder unangenehme Fragen stellen. Wenn ein Lehrer gefragt wird, wie oft er masturbiert, dann sagen meine Studierenden: um Himmels willen! Was sage ich da? In Wirklichkeit wollen Schüler nur wissen: Bin ich normal?

STANDARD: Können Externe lockerer mit dem Thema umgehen?

Möller: In manchen Fällen ja. Grundsätzlich sollten Lehrkräfte so ausgebildet werden, dass sie das unterrichten können. Unsichere Lehrerinnen und Lehrer retten sich oft ins Technokratische, da geht es nur noch um den Aufbau der Geschlechtsorgane. Fertig!

STANDARD: Von der Sexualkunde zur Biene ist es nicht weit: Bei der Kinderuni sprechen Sie über das Innenleben der Bienenstöcke. Für Laien: Wie sieht es darin aus?

Möller: Dunkel. Es fasziniert Kinder, wie die bis zu 30.000 Bienen in einem Stock dann kommunizieren.

STANDARD: Wie machen sie das?

Möller: Über den Geruch, den Tastsinn und die Vibrationen des Körpers. Die Biene eignet sich auch hervorragend, um die großen ökologischen Zusammenhänge in der Natur zu erklären: Sie ist eine Art didaktisches Nutztier! (Peter Mayr, Karin Riss, 5.7.2019)