Die "Kronen Zeitung" hat nach Ansicht des Presserats ihre Leser bewusst getäuscht und schwer gegen den Ehrenkodex der österreichischen Presse verstoßen. Die Zeitung habe den Eindruck erweckt, die Witwe eines verstorbenen Kärntners habe ihr ein Interview gegeben. Zudem habe die "Krone" ein Familienfoto des Opfers mit seiner Frau und der minderjährigen Tochter unverpixelt veröffentlicht, sie wurden auch namentlich genannt.
Die Witwe wandte sich an den Presserat wegen des Fotos zum Artikel "Tod reißt eine große Lücke", erschienen in der "Kronen Zeitung" vom 18. Oktober 2018.
Die Zeitung berichtete, ein Kärntner Gastronom sei auf den Philippinen bei einem Raubüberfall erstochen worden. Die Zeitung zitiert die Witwe mit der Aussage "Wir lieben dich immer, werden dich irgendwann wiedersehen." Sie sei in "sich zusammengesackt und mutlos […] in einer Kapelle unweit von Manila" gesessen, habe sich immer wieder geschnäuzt und sich die Tränen weggewischt. Ihr Mann sei "ein toller Vater und Mann gewesen" – niemand könne fassen, dass er nicht mehr nach Hause kommt.
Keine Messerattacke, kein Interview, keine Zustimmung
Die Witwe erklärte, sie habe der Verwendung des Fotos nicht zugestimmt. Es würden die Persönlichkeitsrechte ihres verstorbenen Mannes verletzt und der falsche Eindruck erweckt, dass sie ein Interview gegeben habe. Es sei auch nicht korrekt, dass ihr Ehemann Opfer einer Messerattacke geworden sei, sie selbst könne das als Augenzeugin versichern. Die "Krone" nahm im Verfahren vor dem Presserat nicht Stellung, sie erkennt den Presserat bisher nicht an.
- Update 25. Juli 2019: "Krone"-Chefredakteur Herrmann bedauert Schweigen zum Fall – Witwe habe Veröffentlichung zugestimmt. Am 25. Juli 2019 stellte sich "Krone"-Chefredakteur Klaus Herrmann in der "Aufmacher"-Veranstaltungsreihe Publikumsfragen in der Wiener Concordia. Er bedauerte die Nicht-Teilnahme am Verfahren, das aus seiner Sicht sonst anders ausgegangen wäre. Herrmann in der Concordia: Die Witwe habe gegenüber der "Krone" via Whatsapp der Veröffentlichung des Fotos zugestimmt. Die Zitate im Artikel seien kein Interview gewesen, sondern Statements der Witwe auf Facebook; die Witwe habe auf Anfrage zugestimmt, dass die "Krone" diese zitiert.
"Bewusste Täuschung der Leser"
"Die Veröffentlichung eines Interviews, das nicht geführt wurde, stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen Punkt 2.1 des Ehrenkodex dar", entschied das Selbstkontrollorgan der österreichischen Presse. Der Punkt verlangt Gewissenhaftigkeit und Korrektheit in der Wiedergabe von Nachrichten als oberste Verpflichtung von Journalisten. Der Presserat: "Ein erfundenes Interview steht in einem diametralen Widerspruch zu den Vorgaben dieses Punktes. Nach Auffassung des Senats täuschten die beiden Autoren des Artikels ihre Leser bewusst. Es versteht sich von selbst, dass sich die Autoren im Falle eines erfundenen Interviews nicht auf legitime Informationsinteressen berufen können. Darüber hinaus ist in der Veröffentlichung erfundener Aussagen auch eine Persönlichkeitsverletzung zu erblicken: Ob und, wenn ja, in welchem Umfang ein Interview gegeben wird, bestimmt allein die betroffene Person."
Die behauptete Messerattacke entbehre laut Augenzeugin jeder Grundlage; sie verstoße ebenfalls gegen Punkt 2.1 des Kodex.
"Zurückhaltung und Sensibilität gefragt"
"Die Persönlichkeitssphäre eines Menschen ist auch über dessen Tod hinaus zu wahren", erklärt der Senat 2 des Presserats zum veröffentlichten Foto: "Auch die Hinterbliebenen haben prinzipiell Anspruch auf Schutz vor Veröffentlichung ihrer Bildnisse." Die "Krone" hätte nach Ansicht des Presserats auf die Anonymitätsinteressen der Abgebildeten Rücksicht nehmen müssen.
Die Veröffentlichung des Bildes verletze die Persönlichkeitsrechte. Bei Kindern habe der Schutz der Intimsphäre Vorrang vor dem Nachrichtenwert; die Veröffentlichung von Bildern und Berichten über Kinder und Jugendliche sei besonders kritisch zu prüfen.
Verwenden Medien Privatfotos, sei zudem die Zustimmung der Betroffenen beziehungsweise im Fall von Minderjährigen der Erziehungsberechtigten einzuholen, wenn kein berechtigtes öffentliches Interesse an den Bildern bestehe. Das Bild beeinträchtigt nach Ansicht des Presserats "die Trauerarbeit der Hinterbliebenen. Gerade in einer so schwierigen Zeit wie nach der Ermordung eines Familienmitglieds sind auch seitens der Medien Zurückhaltung und Sensibilität gefragt." Auch das Bild verstieß laut Senatsentscheid gegen den Ehrenkodex.
Der Senat stellte einen schwerwiegenden Verstoß gegen den Ehrenkodex fest und fordert die "Krone" auf, die Entscheidung freiwillig zu veröffentlichen.
"Vielleicht auch noch anständiger"
Klaus Herrmann, geschäftsführender Chefredakteur der "Krone", erklärte im STANDARD-Interview im Mai, die Zeitung überlege, sich in Zukunft am Presserat zu beteiligen. Das sei "sicher ein Thema. Das kommt natürlich auch auf die Zusammensetzung des Presserats an." Diese hat die "Krone" bisher "als unobjektiv angesehen".
Herrmann kündigt in dem Interview auch an, die Redaktion werde künftig "sicher noch behutsamer und vorsichtiger vorgehen und noch mehr abwägen. Das ist uns auch durch unsere Bestandsaufnahme über die ersten 60 Jahre bewusst geworden. Wir haben uns in den vergangenen Jahrzehnten nicht genug mit uns selbst beschäftigt. Wir waren immer erfolgreich – und dieser große Tanker ist immer auf seinem Kurs weitergefahren. Jetzt muss man sicher Kurskorrekturen vornehmen, bedachter und bewusster und vielleicht auch noch anständiger sein." (fid, 5.7.2019)