Frischer Wind in Erl: Die französische Dirigentin Audrey Saint-Gil leitet am Samstag Giuseppe Verdis "Aida", die erste Premiere der Festspiele in Erl.

Foto: Dario Acosta

Erl – Wenn am Samstag in Giuseppe Verdis Aida der bedauernswerte Radamès und seine Herzensdame schließlich in einem unterirdischen Gewölbe eingemauert werden, wird bei den Festspielen in Erl endgültig eine neue Zeit angebrochen sein. Der Gründer der Reihe und bisherige Hauptattraktion, Dirigent Gustav Kuhn, hat sich nach Vorwürfen eines womöglich übergriffigen Umgangs mit Künstlerinnen zurückgezogen. So galt es, eine Reihe von MusikerInnen zu finden, die ihn als Orchesterleiter ersetzen könnten. Alles neu also.

Die Veränderung der Macht

Dass mit der französischen Dirigentin Audrey Saint-Gil nun eine Frau die erste Premiere leiten wird, ist vielleicht Zufall. Es entbehrt – ob der Vorkommnisse rund um Kuhn – allerdings nicht einer gewissen ironischen Symbolik. In jedem Fall passt das Engagement zum gegenwärtigen Trend, gewichtige Machtpositionen langsam, aber sicher von Männerdominanz zu befreien.

Es gibt Trendbelege, Damen sind im Kommen: Oksana Lyniv ist derzeit Chefdirigentin an der Oper Graz, Mirga Gražinytė-Tyla wurde Leiterin des renommierten City of Birmingham Symphony Orchestra, Joana Mallwitz ist die neue Generalmusikdirektorin in Nürnberg. Und demnächst tritt auch Marin Alsop ihren Job als Chefin des ORF-RSO-Wien an. Da tut sich also einiges.

Leistet Widerstand!

Audrey Saint-Gil kannte, bevor sie angefragt wurde, übrigens weder Gustav Kuhn noch das zuletzt gebeutelte Festival. Spätestens seit seiner Eröffnungsrede wird sie allerdings den Präsidenten des Festivals, Hans Peter Haselsteiner, näher kennengelernt haben. Er appellierte zu Beginn an die Künstler im Allgemeinen, Widerstand gegen nationalistische Kräfte in Europa zu leisten.

Kosmopolitin Saint-Gil, die in den USA lebt und gedenkt, mit ihrem Partner, Starbariton Christopher Maltman, nach Europa zurückzukehren, wird sich angesprochen gefühlt haben. Saint-Gil ist ja eine vielseitig interessierte Zeitgenossin. Sie fährt nicht nur gerne Motorrad (auch auf Rennstrecken) und ist Trägerin eines schwarzen Kampfsportgurtes. Die Dame hat auch griechische Philosophie studiert, Filmmusik und Bücher geschrieben.

Natürlich hat sie eine gründliche Ausbildung als Pianistin und erhebliche Erfahrungen als Vokalcoach. Das Dirigieren war zwar nicht von Anbeginn an ein übermächtiger Wunsch. Mittlerweile jedoch ist sie in diesem Metier international unterwegs. Sie hat u.a. auch am Royal Opera House und an der Opern in Washington, New York und Los Angeles gearbeitet.

Noch mehr Oper

Das Festival in Erl, das heuer von Andreas Leisner geleitet wird, bevor demnächst Bernd Loebe, der Chef der Oper Frankfurt, übernimmt, würde Saint-Gil gerne auch in Zukunft beehren. Sie hat an der Unternehmung Gefallen gefunden, die heuer neben Verdis Aida auch Rossinis Guillaume Tell und Die Vögel von Walter Braunfels präsentiert (es dirigiert der erfahrene Lothar Zagrosek).

Audrey Saint-Gil ist Erfolg zu wünschen – auch im Sinne des Festivals. Schließlich muss es sich erst erweisen, wie blühend ein Festivalleben nach Kuhn auslastungsmäßig ausfällt.

Wie es heißt, ist der Kartenverkauf jedoch nicht eingebrochen: Oper gehe gut, schwerer hätte es Kammermusik, dies jedoch wäre auch zu Kuhns Zeiten nicht anders gewesen. Sollte Audrey Saint-Gil als Dirigentin glänzen, könnte sie dereinst als Pianistin auch in diesem Bereich Abhilfe schaffen. (Ljubisa Tosic, 5.7.2019)