Für Rebrikow stellt vererbte Gehörlosigkeit eine Indikation für einen genetischen Eingriff in die Keimbahn dar. Bioethiker zweifeln das allerdings stark an.

privat / researchgate

Beim ersten Mal passierte noch alles im Geheimen: Als der chinesische Biophysiker He Jiankui im November 2018 an die Öffentlichkeit ging, waren die beiden Zwillingsmädchen bereits geboren, deren Erbgut He bereits im frühen Embryo mithilfe des Genome-Editing-Werkzeugs CRISPR/Cas9 manipuliert hatte.

He Jiankui wurde anschließend von der wissenschaftlichen Gemeinschaft international hart kritisiert und in China für sein ethisch verantwortungsloses Vorgehen verurteilt. Über den Verbleib des Forschers sowie der beiden Kinder und einer weiteren damals im November angekündigten dritten Schwangerschaft ist weiterhin nichts bekannt. Vermutlich wurde dieses Baby bereits geboren.

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Hes russischer Nachfolger

Nach diesem Tabubruch legten einige der weltweit führenden Forscher im Bereich Genom-Editierung ein Moratorium vor, das bis auf weiteres einen internationalen Stopp solcher Eingriffe in die Keimbahn vorsieht. Den russischen Genetiker Denis Rebrikow scheint das aber wenig zu kümmern. Schon vor einigen Wochen kündigte er an, etwas Ähnliches wie He machen zu wollen.

Am Donnerstag hat die Fachzeitschrift "New Scientist" seine jüngsten Pläne enthüllt, mit denen der Forscher nicht weiter hinter dem Berg hält. Rebrikow, der am Nationalen Medizinischen Forschungszentrum Kulakow für Geburtshilfe, Gynäkologie und Perinatalmedizin in Moskau forscht, will nun nicht mehr – so wie He – ein Gen verändern, das angeblich einen Schutz vor einer HIV-Infektion darstellt.

Genom-Editierung gegen Taubheit

Laut den neuesten Informationen hat er fünf Elternpaare identifiziert, die an einer genetisch bedingten Gehörlosigkeit litten. Diese wünschten sich ein Kind, das hören kann. Die autosomal rezessive Erbkrankheit der Eltern werde durch eine fehlende Base an Position 35 im Gen GJB2 hervorgerufen. Die gehörlosen Paare seien für den geplanten Eingriff deshalb geeignet, weil sie selbst mithilfe einer Präimplantationsdiagnostik und künstlicher Befruchtung keine genetisch eigenen und von der Mutation nicht betroffenen Embryonen zeugen könnten.

Aus diesem Grund, argumentiert Rebrikow, bestehe eine Indikation für ein "Genome Editing" im Embryo. Er werde deshalb innerhalb "weniger Wochen" einen entsprechenden Antrag bei den zuständigen russischen Behörden stellen. Erst Mitte Juni hat Rebrikow erklärt, für ihn persönlich würden nicht die russischen Regulierungen der Keimbahntherapie die größte Hürde, sondern das "richtige klinische Modell". Habe man erst einen "guten Fall", dann sei er optimistisch, "die Zustimmung der Regulierungsbehörden einholen zu können".

Dem internationalen Moratorium würde der Eingriff freilich klar widersprechen. Demnach sei Embryonen-Genom-Editierung in Zukunft erst dann ethisch vertretbar, wenn alle potenziellen Risiken des Eingriffs kalkulierbar sind und vor dem Eingriff weitere Kriterien beachtet würden, wenn es etwa "einen zwingenden medizinischen Grund" und keine "vernünftige Alternativen" gebe.

Internationale Kritik an den Plänen

Weil Gehörlosigkeit nicht lebensbedrohlich ist und viele Gehörlose ihren fehlenden Sinn nicht einmal als Behinderung empfinden, steht auch das neue Vorhaben Rebrikows unter Fachleuten bereits stark in der Kritik – einmal abgesehen von den noch lange nicht kalkulierbaren Risiken. Entsprechend kritisch äußern sich auch Forscher und Bioethiker nach Bekanntgabe der Pläne.

Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrats, verweist einmal mehr darauf, ob "Keimbahneingriffe überhaupt eines Tages mit Blick auf Beherrschbarkeit von Sicherheitsrisiken verantwortlich erscheinen könnten". Aus ethischer Perspektive könne eine gegenwärtige Umsetzung der geplanten Versuche nicht legitimiert werden.

Medizinethikerin Alena Buyx, Mitglied des Komitees der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Genome Editing beim Menschen, sieht die Sache ganz ähnlich: "Die geplanten Versuche sind klar unverantwortlich und unzulässig. Die Weltgesundheitsorganisation und andere Organisationen arbeiten aktuell an globalen Standards für Keimbahneingriffe. Gegenwärtig bleibt zu hoffen, dass die russischen Behörden Rebrikows Versuche nicht zulassen." (tasch, 5.7.2019)