Wenn an einem Samstag bei sommerlichen 30 Grad mehr als zweihundert Grüne im Wiener Arbeiterbezirk Favoriten zusammenkommen, um sich sieben Stunden in einem Innenraum aufzuhalten, muss eine wichtige Entscheidung anstehen. Tatsächlich war die Spannung beim diesjährigen grünen Bundeskongress, der in der Expedithalle auf dem Gelände der ehemaligen Ankerbrotfabrik stattfand, groß. Schließlich wurde in basisdemokratischer Manier über die Bundesliste für die Nationalratswahl abgestimmt. Hier kommt es traditionell zu Überraschungen.
Vor zwei Jahren hatte die Nicht-Wahl von Peter Pilz auf den vierten Listenplatz zu massiven Turbulenzen geführt und mittelbar zum Ausscheiden der Grünen aus dem Nationalrat beigetragen. Die großen Knalleffekte blieben diesmal allerdings aus. Nur die elektronischen Wahlgeräte stellten die Geduld der Delegierten auf die Probe.
"Vernudelt"
An die Wahlschlappe von 2017 erinnerte zunächst Bundessprecher Werner Kogler bei seinem Auftritt am Vormittag, mit dem er sich für den ersten Platz bewarb. Anfänglich im Plauderton auf der Bühne mäandernd, bekannte er: "Man muss ehrlich sein, wir haben es vernudelt." Man habe danach aus den Fehlern gelernt, sich bei den Wählern entschuldigt und damit ein "grünes Comeback" eingeleitet, sagte Kogler eingedenk des mit 14 Prozent starken Ergebnisses bei den Europawahlen.
"Unsoziale Rasselbande"
Spätestens als Kogler auf die abgesetzte türkis-blaue Regierung zu sprechen kam, geriet seine Rhetorik ins kämpferisch-emphatische. Durch den Rechtsruck der ÖVP habe es sich eigentlich um eine "blau-blaue" Regierung gehandelt, die sich als "unsoziale Rasselbande" erwiesen habe. Gegen populäre Politik sei ja prinzipiell nichts einzuwenden, aber was hier geboten worden sei, sei "Scheißdreck-Populismus" gewesen, wetterte Kogler. Bei den Delegierten fand Kogler jedenfalls Anklang, er wurde mit 98,58 Prozent Prozent an die Spitze der Bundesliste gewählt.
Gewessler und Hamann auf sicherem Ticket
Keine Gegenkandidaten gab es auch für den zweiten und dritten Listenplatz. Leonore Gewessler, die als Quereinsteigerin von der Umweltorganisation Global 2000 kommt, will sich für ihr Leibthema – den Klimaschutz – einsetzen und wurde dafür mit 99 Prozent Zustimmung direkt hinter Kogler auf die Liste gereiht. Die prominente Journalistin Sibylle Hamann, die bislang als Kolumnistin für "Falter" und "Presse" tätig war, erhielt mit 92 Prozent den dritten Listenplatz. Damit ist Gewessler und Hamann ein Mandat im nächsten Nationalrat so gut wie sicher.
Reimon und Zadić auf guten Plätzen
Der vierte Platz ging an den Burgenländer Michel Reimon, der die letzten fünf Jahre für die Grünen im Europaparlament saß. Er konnte sich klar gegen Alexander Spritzendorfer, den stellvertretenden Bezirksvorsteher aus Wien-Josefstadt, durchsetzen.
Für Alma Zadić, die bisher für die Liste Jetzt im Nationalrat aktiv war, gab es seitens der grünen Basis durchaus kritische Fragen. Warum Zadić nicht schon früher erkannt habe, dass sie zu den Grünen gehöre, wollte etwa ein Delegierter im Saal wissen. Die 35-jährige Juristin räumte ein, dass sie selbst über die Performance der Liste Jetzt enttäuscht sei und sich vor zwei Jahren mehr erhofft habe. Sie habe aber immer den Kontakt zu den Grünen gesucht nachdem diese aus dem Parlament geflogen seien.
Die Mehrheit der Delegierten hat Zadić mit ihrem Auftritt überzeugt; sie erzielte mit 78 Prozent weitaus mehr Stimmen als ihre Gegenkandidatin, die Energieexpertin Bettina Bergauer (22 Prozent).
Müde Geräte
Danach wurde das Prozedere etwas schleppend, nicht zuletzt aufgrund des vermeintlich avancierten elektronischen Abstimmungsverfahrens. Immer wieder mussten Wahlgänge wiederholt werden, weil die Geräte nicht taten, was sie sollten. Die ohnehin wahlwiederholungserprobten Grünen nahmen es gelassen, wenngleich die auditive Konzentration im Laufe der mehrstündigen Rede-Kaskade merklich nachließ und durch angeregtes Getuschel ersetzt wurde.
Auf Platz sechs und sieben wurden noch der Gewerkschafter Markus Koza und die Kärntner Biobäuerin Olga Voglauer gewählt.
Vierzehn Bewerber für etwa sechs Plätze
Als aussichtsreich für den Einzug in den Nationalrat gelten nach momentanem Stand der Umfragen die ersten fünf bis sieben Plätze auf der Bundesliste. Es gab allerdings 14 Bewerber. Auch Eva Blimlinger, Rektorin der Akademie der Bildenden Künste und der Menschenrechtsanwalt Georg Bürstmayer – im Endeffekt Rang acht – hatten sich aufgestellt. Mit Alev Korun, Helene Jarmer und Berîvan Aslan bewarben sich überdies drei ehemalige grüne Nationalratsabgeordnete für realistische Plätze – alle drei erfolglos. (Theo Anders, 6.7. 2019)