Die Kritik an der Art, wie die EU-Topjobs besetzt wurden, reißt nicht ab, und auch der verhinderte Kommissionspräsident Manfred Weber präsentiert sich im STANDARD-Interview als Opfer einer Hinterzimmerintrige der Staats- und Regierungschefs, die mit ihrer Absage an die Spitzenkandidaten bei der Europawahl der Demokratie schweren Schaden zugefügt haben.

An dieser Sichtweise ist vieles falsch. Das Spitzenkandidatenprinzip beruhte nie auf einem EU-Beschluss, sondern auf einem Alleingang des Parlaments, das seine Rolle damit stärken wollte. Wichtige Regierungschefs waren immer dagegen. Vor fünf Jahren wurde von der größten Fraktion mit Jean-Claude Juncker ein erfahrener Ex-Premier nominiert, der auch für den EU-Rat akzeptabel war. Damit konnte der Prinzipienstreit vermieden werden.

Diesmal entschied sich die EVP mit Weber allerdings für einen reinen Parlamentarier, der nie Exekutivverantwortung getragen hatte. Das war eine Provokation der Regierungschefs und ein Machtspiel einer EU-Institution gegen eine andere, das nicht gutgehen konnte.

Mitverantwortlich

Weber hat durch seinen Ehrgeiz, unbedingt Spitzenkandidat zu werden, das Scheitern dieser Idee mitzuverantworten. Demokratisch legitimiert wurde er dadurch nicht, dass die EVP die größte Fraktion blieb. Denn kaum ein Wähler hat seinetwegen für eine konservative Liste gestimmt.

Als nach Emmanuel Macrons Veto gegen Weber das Parlament forderte, nun müsse der Spitzenkandidat einer kleineren Fraktion Kommissionschef werden, demontierte es jede demokratische Logik hinter dem Prinzip. Frans Timmermans war hochqualifiziert, aber zu sagen, "Hauptsache, es wird einer von uns", hat mit Erfüllung des Wählerwillens nichts zu tun.

Bestes Personalpaket seit langem

Das unter Macrons Führung geschnürte Personalpaket ist das beste seit langem. Ursula von der Leyen ist eine progressive Bürgerliche und eine begeisterte Proeuropäerin mit großer Regierungserfahrung. Mit Christine Lagarde wurde der geldpolitische Spaltpilz Jens Weidmann an der Spitze der Europäischen Zentralbank verhindert. Der designierte Ratspräsident Charles Michel musste als belgischer Premier das Vermitteln täglich üben. Selbst das EU-Parlament traf mit David Sassoli als Präsident eine spannende Wahl. Starke Führungspersönlichkeiten sind für die Zukunft der EU wichtiger als geografischer Proporz oder demokratische Rituale, die nur wenige Menschen verstehen.

Video-Porträt von Ursula von der Leyen
DER STANDARD

Das EU-Parlament ist nicht das "bessere Europa", auch wenn viele Abgeordnete das glauben. Obwohl die Wahlbeteiligung zuletzt gestiegen ist, genießen nationale Regierungen bei den meisten Bürgern mehr Vertrauen als sie.

Das Spitzenkandidatensystem wird daher auch bei der nächsten EU-Wahl 2024 genauso umstritten und unzulänglich sein. Für eine Direktwahl des Kommissionspräsidenten wiederum ist Europa nicht reif. Der Weg zu einem europäischen Bundesstaat ist steinig und lässt sich durch demokratiepolitische Taschenspielertricks nicht abkürzen. (Eric Frey, 8.7.2019)