Der Sci-Fi-Film "The Martian" veranschaulicht basierend auf aktueller Forschung gut, welche Herausforderungen eine bemannte Marsmission mit sich bringt. Das wäre aber nur der Anfang einer langen Reise.
Foto: The Martian / 20th Century Fox

Der rote Planet übte immer schon eine Faszination auf die Menschheit aus. Der Mars ist der einzige Planet in unserem Sonnensystem, der sich in absehbarer Zeit bereisen und letztlich kolonisieren ließe. Tech-Entrepreneur Elon Musk will bereits 2024 das erste bemannte Raumschiff losschicken, um nach achtmonatiger lebensgefährlicher Reise durchs All dann 2025 zur Eroberung Landung ansetzen zu können. Die US-Weltraumbehörde glaubt zwar, erst um 2040 so weit sein zu können, hat inzwischen jedoch schon einmal zahlreiche Technologien erfunden, die zur extraterrestrischen Fernreise und Exkursion notwendig sind: vom CO2-Sauerstoffwandler bis hin zum Ziegelstein aus der Mikrowelle. Und erfinderische Köpfe wie die MIT-Forscherin Dava Newman arbeiten seit geraumer Zeit an Outfits, die uns selbst unter den widrigsten Bedingungen (über)leben lassen.

Ohne all diese gewaltigen technischen Errungenschaften und nicht nur für kommende Generationen inspirierenden Herausforderungen zu schmälern, drängt sich eine Frage vor alle anderen: Sind wir Menschen überhaupt physisch und psychisch in der Lage, Marsianer zu werden? Die kurze Antwort vorweg: Wenn dies gelingt, wird es keine schmerzfreie Geburt. Oder, wie der US-Schriftsteller und Spacejunkie Stephen Petranek es formuliert: "Es ist möglich, dass es eines Tages eine menschliche Spezies auf der Erde geben wird, die ein wenig anders ist als die menschliche Spezies auf dem Mars."

Ein ungemütlicher Ort

Um zu verstehen, welche körperlichen Herausforderungen der Mars uns stellt, muss man sich die Rahmenbedingungen ansehen. Er ist rund sechsmal kleiner und verzeichnet an der Oberfläche 62 Prozent weniger Schwerkraft als die Erde. Die Atmosphäre ist toxisch und tödlich – zumindest für die allermeisten Lebewesen, wie wir sie kennen. Die Temperaturen schwanken zwischen frischen -5 und -125 Grad Celsius. Wasser gibt es reichlich, allerdings ist dieses gefroren. Der atmosphärische Druck ist so niedrig, dass weder Wasser fließen noch Menschen überleben könnten. Die dünne Atmosphäre und die geringe Stärke des planetaren Magnetfelds sorgen weiters dafür, dass man an der Oberfläche hundertfach mehr kosmische Strahlung abbekommt als auf der Erde. Und ebenfalls eher ungemütlich: Regelmäßige Sandstürme neigen dazu, das Sonnenlicht wochenlang zu verdrängen. Auf der positiven Seite: Es gibt ansonsten reichlich Sonne, und ein Tag auf dem Mars dauert in etwa so lange wie auf der Erde. Nur ein Marsjahr zählt etwa doppelt so viele Tage.

Ist der Mars bewohnbar? Ein Überblick von Geomorphologin Mari Foroutan.
TED-Ed

Nichts für Muskelprotze

Diese planetarischen Umstände sind kein Zuckerschlecken für unseren Körper. Der Mensch entstand nach Millionen Jahren der Evolution, geformt durch die Lebensbedingungen auf der Erde. Unsere Muskeln, unsere Knochen, unser gesamtes Erscheinungsbild ist von der Schwerkraft geprägt. Wie sich die geringere Schwerkraft des Mars dauerhaft auf unsere Physis auswirken würde, ist noch nicht belegt. Die Raumfahrt liefert jedoch zahlreiche, zumindest vorsichtig stimmende Erkenntnisse bezüglich des Aufenthalts in Schwerelosigkeit: Die Muskeln schrumpfen, die Knochendichte nimmt ab, das Herz-Kreislauf-System wird beeinträchtigt und auch die Sehleistung beeinflusst. Das Immunsystem wird geschwächt, und die vielfach höhere kosmische Strahlung auf dem Mars könnte zur DNA-Instabilität führen und das Krebsrisiko erhöhen.

Halluzinationen

Von Raumfahrern, die längere Zeit im All verbracht haben, wissen wir auch, dass die Distanz zur Erde Auswirkungen auf die Psyche hat. Kosmonaut Michail Kornijenko, der sich mit dem Astronauten John Kelly fast ein Jahr lang auf der Internationalen Raumstation befand, erklärte nach seiner Rückkehr, vor allem die Erde selbst und ganz einfache Dinge stark vermisst zu haben: "Ich vermisste Gerüche. Ich vermisste Bäume, ich habe sogar von ihnen geträumt. Ich habe sogar halluziniert. Ich dachte, ich rieche echtes Feuer, und dass etwas gegrillt wird. Ich habe schließlich Bäume an die Wand gehängt, um mich aufzumuntern. Du vermisst die Erde dort oben wirklich."

Die Nasa veröffentlichte 2016 eine Studie zu den psychischen Auswirkungen der Raumfahrt. Darin werden häufige Probleme wie Einsamkeit, vorübergehende Angstzustände und Depressionen – teils mit psychosomatischen Symptomen – vor allem zu Beginn von Missionen im All beschrieben. Starke Stimmungsschwankungen wie bei manischer Depression oder Schizophrenie wurden hingegen nicht verzeichnet. Das Leben auf einem fremden Planeten, abgeschnitten von den irdischen Wurzeln, könnte jedenfalls negative Gefühle wie Isolation und Beklemmung verstärken.

Astronaut John Kelly spricht über seinen 340-tägigen Aufenthalt auf der Raumstation ISS und seine Rückkehr.
NASA

Rückkehr auf die Erde

Eine Erkenntnis sollte ebenfalls nicht verachtet werden: Was in der Raumkapsel passiert, bleibt nicht in der Raumkapsel. Nach seinem einjährigen Aufenthalt auf der ISS litt Astronaut Scott Kelly noch sechs Monate lang an geistigen Einbußen. Nicht nur das: Seine Haut fühlte sich bei Berührungen zeitweise an, als würde sie brennen, und der ganze Körper war steif und ausgelaugt.

Warum ist das alles wichtig für den Mars?

Die Umstände im All sind nicht eins zu eins mit den Bedingungen auf dem Mars zu vergleichen, das Wissen darüber dürfte jedoch noch entscheidend für künftige Missionen zum roten Planeten und dessen Kolonisierung sein. Menschen, die von der Erde zum Mars aufbrechen, müssen nicht nur eine achtmonatige Reise in einer Blechbüchse überstehen, sondern auch mit den dortigen widrigen Lebensbedingungen zurechtkommen. Sprich: in geringer Schwerkraft existieren und sich vor der starken Strahlung, der dünnen Atmosphäre, der extremen Kälte und den desaströsen Stürmen schützen.

Höhlenmenschen

Das bedeutet: Sollte die "Eroberung" des Mars glücken, würden die menschlichen Siedler viele Jahrzehnte oder vielleicht gar Jahrhunderte in geschlossenen Behausungen verbringen, bevor die Technologie fortgeschritten genug für Terraforming ist. Zunächst in sehr kompakten Einheiten, die einer Raumstation ähneln, und später in (teilweise) unterirdischen Gebäuden. Wobei klar sein muss, dass die Architektur bis zum Aufbau und der Realisierung einer vitalen Industrie wohl nicht den traumhaften Konzepten so mancher Vordenker ähneln wird. Weniger Glaspalast, mehr Bunker. Mit Gewächshäusern statt Gemüsegärten, Solarpanelen zur Stromerzeugung, Systemen zur Produktion von Sauerstoff und Rückgewinnung von Wasser und vielen weiteren technischen Erfindungen, die vieles dessen ermöglichen, was auf der Erde selbstverständlich ist.

Marsha ist ein von der Nasa mit 500.000 Dollar gefördertes Behausungsprojekt für eine 3D-gedruckte Unterkunft auf dem Mars.
SpaceFactory

Vegane Ernährung

Für die ersten Marsianer wird die Ernährung eine der größten Herausforderungen sein. Trockennahrung, die von der Erde mitgeschickt wird, kann keine dauerhafte Lösung sein. Die Eigenerzeugung von Vitaminen und Proteinen aus Pflanzen wie Kartoffeln, Bohnen und Tomaten wird neben Sauerstoff und Wasser der Schlüssel zum Überleben sein. Die Nasa hat aktuell rund 200 Speisen auf dem Plan der ISS-Besucher, für langfristige oder dauerhafte Aufenthalte auf einem Planeten sei Abwechslung nicht nur aus gesundheitlichen Gründen essenziell, erklärt Vickie Kloeris, Ernährungsexpertin der US-Weltraumbehörde. Abstriche müssen so oder so hingenommen werden: Aufgrund des hohen ökologischen Aufwands dürfte Fleisch zumindest für längere Zeit nicht auf dem Speiseplan stehen. Bis dahin wird es vielleicht aber schon echt gute unechte Steaks und Burger geben.

Geboren auf dem Mars

Bevor all diese Probleme gelöst sind, muss man sich natürlich die Frage stellen, ob eine Kolonisierung im Sinne der Schaffung einer eigenständigen Marsbevölkerung auf elementarer Ebene überhaupt möglich ist. Sprich Fortpflanzung. Hier gibt es bisher kaum aussagekräftige Studien. Noch hat sich kein Menschen und kein größeres Säugetier im All oder bei verminderter Schwerkraft vermehrt. Studien dazu sind zumindest geplant, und es konnte bereits gezeigt werden, dass gefrorenes menschliches Sperma seine Aktivität im All behält.

Darüber hinaus wird es spekulativ, sowohl was den Akt der Reproduktion selbst als auch das Kinderkriegen betrifft. Sex allein könnte zum "Akt" werden. Körperflüssigkeiten verhalten sich bei verminderter Schwerkraft anders, und die üblichen Mechaniken der Kopulation müssten an die neuen Umstände angepasst werden. Am meisten beschäftigt Wissenschafter aber, welche Auswirkungen die vielfach höhere kosmische Strahlung und die verminderte Schwerkraft auf den Fötus haben. Mutationen während der Entwicklung könnten zu Fehlgeburten oder Krankheiten führen.

Schlaksige Körper, orangefarbene Haut, große Augen: Wie würden Menschen aussehen, die auf dem Mars leben? Eine Visualisierung von "Science Insider".
Science Insider

Veränderungen des Körpers

Sollte eine Geburt auf dem Mars gelingen, muss man zudem gefasst darauf sein, was dabei herauskommt. Mit Sicherheit ein entzückendes Baby, dessen Körper sich dem britischen Astrophysiker Chris Impey zufolge rasch an die Mars-Gegebenheiten anpassen dürfte. Schon die Physis erwachsener Erdauswanderer würde sich mit den Jahren der geringeren Schwerkraft fügen, Muskeln, Knochen und Weichteile anders wachsen. "Nach nur ein paar Generationen könnten diese Menschen ein Ableger der Menschheit werden. Sie werden sich wahrscheinlich zu etwas anderem entwickeln", so Impey. "Und psychologisch werden sie sich wie ein neues Volk fühlen."

Annahmen, die auch der Anthropologe Cameron Smith teilt. Zwar seien genetische Mutationen willkürlich, doch anhand der äußeren Lebensumstände ließen sich so manche physischen Anpassungen wenigstens grob prognostizieren – wenngleich gravierende Veränderungen des menschlichen Körpers wohl nur über eine große Zeitspanne von hunderten oder tausenden Jahren geschehen würden. Müssten Marsianer etwa konstant mit einem geringeren Sauerstoffgehalt auskommen als Erdbewohner, würden ihre Lungen wachsen, um mehr aufnehmen zu können. Das könnte zu einem mächtigeren Brustkorb führen. Wie sich die unterschiedliche Zusammensetzung der Luft im Detail auswirken würde, sei aber aus heutiger Sicht nicht abschätzbar.

Schlaksige Figur, großer Kopf

Aufgrund der geringeren Schwerkraft würden Menschen auf dem Mars dünnere Knochen und weniger Muskelmasse entwickeln. Der Körper hätte weniger zu kämpfen, um in die Höhe zu wachsen. Das Herz müsste weniger kräftig pumpen, um Blut zirkulieren zu lassen. Gleichzeitig könnte aufgrund des geringeren Widerstands der Hirndruck steigen, was bei Marsianern zu größeren Schädeln führte. Über Jahrtausende gerechnet könnte das auch zu breiteren Becken bei Frauen führen.

Dem Biologen Scott Solomon zufolge dürfte sich überdies die vermehrte kosmische Strahlung sichtbar machen. Während das verminderte Sonnenlicht und der Aufenthalt in Bunkern oder unter der Oberfläche die Haut der Marsbewohner zunächst wohl bleicher machen würden, könnte die höhere Strahlung dazu führen, dass Carotin stärker an die Oberfläche dringt und die Haut orange färbt. Die geringere Verfügbarkeit von natürlichem Licht könnte wiederum zu einer Anpassung und vielleicht Vergrößerung der Augen führen.

Menschen sind voller Keime, die sie auch ins All mitschleppen. Der Besuch von Erdbewohnern könnte für gebürtige Marsianer eine große Gefahr darstellen.
SciShow Space

Keimfreie Zone

Da auf dem Mars keine Organismen leben, die dem Menschen ähneln, wären Marsianer deutlich weniger Viren und Bakterien ausgesetzt als Erdbewohner. Einerseits würde sich das positiv auf das Bevölkerungswachstum auswirken. Andererseits bestünde so immerzu die Gefahr einer ernsthaften Epidemie, sobald ein neuer Besucher von der Erde ankommt. Hat sich der Mars eines Tages als eigenständige Kolonie etabliert, in der native Marsianer die Mehrheit bilden, würde das jedes Aufeinandertreffen mit Erdmenschen zu einem Risiko für beide Seiten machen. Jedes Volk würde seine eigenen Keime mit sich bringen und so eine Gefahr für sein Gegenüber darstellen. Die gute Nachricht: Wie die Nasa-Zwillingsstudie zeigte, wirken Impfstoffe wie jene gegen die Grippe auch bei verminderter Schwerkraft. Also ist vielleicht eine gegenseitige Immunisierung möglich.

Riskante Heimreise

Wirklich interessant ist gewiss die Frage, ob Erdmenschen und Marsmenschen auf lange Sicht eine Verbundenheit werden aufrechterhalten können. Zum einen würden die Marsianer laut Astrophysiker Impey früher oder später eine eigene Identität finden. Andererseits treiben die Distanz und später auch die gesundheitlichen Gefahren einen Keil zwischen die Völker. Wer auf dem Mars bei einem Drittel der irdischen Schwerkraft aufwächst, könnte sich ohne technische Hilfsmittel nicht mehr auf der Erde aufhalten. Der Blutkreislauf, die Muskulatur und das Skelett würden unter der Erdgravitation wortwörtlich eingehen.

Elon Musks Raumfahrtunternehmen will bereits 2024 erste bemannte Raketen zum Mars schicken. Für die Passagiere wird es kein Zuckerschlecken.
Tech Insider

Wollen wir Marsianer werden?

Der romantische Ausblick auf die Kolonisierung des Mars verspricht den Fortbestand unserer Spezies, sollten wir die Erde zerstören, sollte der Erde etwas geschehen. Und der Aufbau einer Marskolonie würde nicht nur neue Rohstoffquellen für künftige Megaprojekte liefern, sondern auch ein Sprungbrett in bislang unerreichte Dimensionen des Weltalls sein. Und hat man das nötige Kleingeld, könnte man seine Freunde mit einem Feriensitz an einem wirklich exotischen Örtchen beeindrucken. Sofern sie die Anreise überleben.

Es gibt also gute Gründe, die Reise zum roten Planeten anzutreten und heute noch verrückt klingende Ideen zu prüfen. Gleichzeitig besteht die Gefahr, mit den falschen Erwartungen an dieses Jahrtausendprojekt heranzugehen. Wer den Mars vor allem als Chance zur Rettung unserer Spezies sieht, sollte sich nicht wundern, wenn letzten Endes, nach hunderten Generationen, nicht der eigene Arterhalt gesichert, sondern eine neue Spezies geschaffen wurde, der die Erdlinge nicht wie die engsten Verwandten am Herzen liegen. (Zsolt Wilhelm, 15.7.2019)