"Das System Landwirtschaft krankt", sagt der Naturschutzrat Vorarlberg.

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Bregenz – Die Vorarlberger Landwirtschaft braucht eine klare Zukunftsperspektive. "Das System Landwirtschaft krankt", diese Diagnose stellt der Naturschutzrat Vorarlberg, ein beratendes Gremium der Landesregierung. Der Schutz von Lebensraum, Arten, Boden und Klima – alles Grundlagen der Landwirtschaft – werde vernachlässigt. Die regionale Landwirtschaft verliere an Bodenhaftung. Ratsvorsitzende Gerlind Weber präsentierte am Montag ein Strategiepapier zur Transformation von Landwirtschaft und Förderwesen. Die Empfehlung: Bauern und Konsumenten müssten Lebensraumpartnerschaften eingehen.

Start-ups für die Landwirtschaft

Übersetzt heißt das: Bauern sollen jene Lebensmittel erzeugen, die gebraucht werden, Konsumenten für ökologischen Anbau und tiergerechte Haltung höhere Preise bezahlen. Der Bauer soll aus der Förderkomfortzone wieder ins Unternehmertum finden, rät Studienautorin Maria Anna Schneider-Moosbrugger. Die Landwirtschaft brauche eine Start-up-Kultur, die sich der Kreislaufwirtschaft und regionalen Kooperationen verschreibe. Das Potenzial dafür sieht sie bei den jungen Betriebsnachfolgern und vor allem bei Frauen.

Landwirte müsste wieder für Mensch und Mitwelt brennen, "nicht ausbrennen für den täglichen Kampf um die pure Existenz". Zurück zum Beobachter, Forscher und Entwickler mit hohem Bewusstsein für das Mitweltgefüge müssten Bauer und Bäuerin kommen, sagt Schneider-Moosbrugger. Jährlich sollen zehn Prozent des Landwirtschaftsbudgets, das sind acht Millionen Euro, in die Förderung neuer landwirtschaftlicher Konzepte fließen. Landesregierung und Bauernkammer können zum Strategiepapier noch nicht Stellung nehmen, sie kennen es noch nicht.

Selbstversorgung schlecht

Aktuell wirtschaften in Vorarlberg 3.500 Bäuerinnen und Bauern, nur noch ein knappes Drittel macht das hauptberuflich. Mit einem Anteil von 15 Prozent Biobauern ist Vorarlberg Schlusslicht der österreichischen Statistik. Hauptzweig ist die Milchwirtschaft.

Betrachtet man den Selbstversorgungsgrad, wird die fehlende Produktvielfalt deutlich. Bei Getreide beträgt der Selbstversorgungsgrad zwei Prozent, bei Gemüse sieben Prozent, auch bei Obst liegt man unter zehn Prozent. Selbst mit Fleisch – Schwein (drei Prozent) und Rind (60 Prozent) – kann man sich nicht durch regionale Produkte versorgen. Käse wird hingegen mit 147 Prozent im Überfluss produziert.

Flächenfraß und Klimanotstand

Sorgen bereitet dem Naturschutzrat der Flächenverlust durch Bodenversiegelung. Täglich gehen Flächen im Ausmaß von zwei Fußballfeldern verloren. Allein im letzten Halbjahr wurden rund 50 Hektar aus der Landesgrünzone genommen oder zur Umwidmung beantragt. 13 Organisationen, darunter der Naturschutzrat und auch die Landwirtschaftskammer, fordern nun von der Landesregierung in einer Allianz für Bodenschutz ein Moratorium: Eine sofortige fünfjährige Nachdenkpause soll dazu dienen, Strategien zur Umsetzung des im April im Landtag beschlossenen Raumbilds 2030 zu entwickeln und die Landesgrünzone in ihrem Bestand zu schützen.

Ein weiterer Landtagsbeschluss könnte Bodenschutz und Ökologisierung der Landwirtschaft forcieren. Der Landtag erklärte den Klimanotstand. Künftig sollen alle Gesetze und Förderungen auf Vereinbarkeit mit dem Klimaschutz geprüft werden. Um die konkrete Umsetzung wird sich der neue Landtag, der am 13. Oktober gewählt wird, kümmern müssen. (Jutta Berger, 8.7.2019)