Die Mittelklasse stöhnte schon lange. Am Sonntag hat sie Alexis Tsipras wegen der hohen Steuern abgewählt und Kyriakos Mitsotakis ihr Vertrauen gegeben, weil er versprach, die Abgaben zu senken. Ein umfassender Politikwechsel ist allerdings nicht zu erwarten. Denn dazu gibt es weder das Geld, noch gibt es den Nutzen einer ideologischen Totalumkehr. Nach dem Abgang von Finanzminister Yannis Varoufakis im Jahr 2015 hat die Syriza ohnehin keine linkspopulistische Politik mehr gemacht.

Im Gegenteil: Die Regierung Tsipras hat für die neue Regierung Mitsotakis gute Vorarbeit geleistet und die Vorgaben der EU-Troika erfüllt. 2017 hat Griechenland das Haushaltsziel sogar deutlich übertroffen und einen Budgetüberschuss von 3,5 Prozent erwirtschaftet – dies wurde von den Geldgebern eigentlich erst für 2018 verlangt.

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Der neue griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis mit dem vorigen Premier Alexis Tsipras.
Foto: REUTERS/Costas Baltas

Tsipras hat übrigens kürzlich gesagt, dass es ein Fehler gewesen sei, Varoufakis überhaupt zum Finanzminister zu machen. Er selbst wurde immer moderater. Eines seiner Verdienste im Land ist, dass er den Allerärmsten, die wegen der Krise teils auf der Straße landeten, mit Sozialprogrammen half. Bezahlt wurde das unter anderem mit Steuererhöhungen.

Beziehungen und Absprachen

Tatsächlich könnten nun Steuersenkungen das Wachstum ankurbeln. Doch die Regierung Mitsotakis läuft damit auch Gefahr, ein Signal auszusenden, durch das die Steuerzahlungsdisziplin wieder einbricht. Diese ist gerade erst ein bisschen ins Bewusstsein eingedrungen.

Die zweite Gefahr liegt in der Partei Nea Dimokratia selbst, die eine Mitverantwortung für die Staatsverschuldung trägt. Denn das Geben und Nehmen zwischen staatsnahen Betrieben, Medien und den Parteibossen garantierte jahrzehntelang, dass nicht Leistung, sondern Beziehungen und Absprachen belohnt wurden.

Man handelte mit Parteispenden, Inseraten, billigen Krediten und dem Bewusstsein, dass der jeweils andere sich verpflichtet fühlt, wieder zu geben, zu nehmen und zu schweigen. Dabei zahlten der Steuerzahler und der Bürger drauf. Meint es Mitsotakis mit den Reformen ernst, dann muss er sich auch mit seinen Parteifreunden anlegen, andernfalls könnte er in den Sumpf hineingezogen werden.

Oppositionsrolle

Tsipras scheint sich hingegen auf die Oppositionsrolle fast zu freuen. Auf der Habenseite kann er das Ende des Hilfsprogramms, niedrige Zinsen und hohe Finanzreserven verbuchen. Zudem konnte er die Syriza langfristig als neue sozialdemokratische Partei etablieren: 31,5 Prozent würden sich viele andere in der EU erträumen. Zuletzt hat er sich auch europäische Verdienste erworben.

Der Grieche hat mit seinem mazedonischen Amtskollegen Zoran Zaev im Vorjahr einen jahrzehntealten Namenskonflikt beendet. Der Nachbarstaat heißt nun offiziell Nordmazedonien, Athen hat seine nachbarschaftsfeindliche Politik beendet – Griechenland hatte seit 2005 einen Beitritt von Nordmazedonien zu Nato und EU verhindert.

Die dritte Gefahr, die von der neuen Regierung deshalb ausgeht, ist der alte Nationalismus. Mitsotakis könnte den historischen Verdienst von Tsipras zerstören, der im Inland nicht geschätzt wird. Der Mann, der durch den rechten Flügel an die Macht kam, wetterte gegen das Namensabkommen. Man kann nur hoffen, dass er nicht den Beginn von EU-Verhandlungen für Nordmazedonien blockieren, sondern stattdessen wie sein Vorgänger als Europäer in die Geschichte eingehen wird. (Adelheid Wölfl, 8.7.2019)