Auch wenn nicht jedes Game ein Meilenstein und jede Konsole ein Verkaufsschlager war: In den Jahrzehnten seiner Tätigkeit als Videospielfirma hat sich Nintendo den Ruf erarbeitet, ein Hort der Kreativität zu sein. Mario ist bis heute der vielleicht bekannteste Games-Held der Welt, Mario Kart gilt als Goldstandard für partytaugliche Arcade Racer, und Zelda begeistert schon lange mit seiner atmosphärischen Welt und fesselnden Abenteuern, wie auch der aktuelle Ableger Breath of the Wild beweist. Für Perlen wie diese zeigen die Fans auch Geduld, etwa wenn es um die notorisch schlecht umgesetzten Onlinefeatures der eigenen Konsolen oder den wenig gütigen Umgang mit Fanprojekten geht.

Man könnte manchmal glatt vergessen, dass Nintendo ein gewinnorientiertes Unternehmen ist, das eine beachtliche Größe erreicht hat. Wäre da nicht der Vorstoß in die Ära von Smartphone und Tablets, offenbart dieser doch die dunkle Seite der japanischen Kultfirma.

Bei Mobile Games benimmt sich Nintendo wie ein Bösewicht.
Foto: Nintendo

Mario und das Freemium-Experiment

Dabei war der Anfang noch vielversprechend. Mario Run war der erste eigene Titel, den man für iOS und Android umsetzte. Spielerisch war das Game als simpler "Autorunner" zwar kein Meilenstein, doch das Bezahlmodell wurde allgemein als fair angesehen. Das Spiel kann man kostenfrei herunterladen und einige Level absolvieren. Wer den kompletten Kartenumfang freischalten möchte, zahlt einmalig zehn Euro. Mikrotransaktionen gibt es keine.

Doch offenbar war dies der erste und letzte Versuch, ein Game als "Freemium"-Produkt zu verkaufen. Fire Emblem: Heroes und Dragalia Lost, zwei taktische Rollenspiele, an denen Nintendo mitgewirkt hat, setzten bereits einige Inhalte hinter die Schranke kleiner Bezahlungen. Allerdings in einem noch erträglichen Maß, wie viele Tester befanden.

Bezahldruck in "Dr. Mario World"

Heuer werden zwei weitere Klassiker von Nintendo ihren Weg auf Smartphones finden – nämlich Umsetzungen von Mario Kart und Dr. Mario. Und bei diesen scheint der Hersteller nun Praktiken aufzugreifen, die schon lange als verpönt gelten.

Da wäre etwa Dr. Mario World, für das seit einiger Zeit ein geschlossener Test durchgeführt wird. "Gizmodo"-Redakteur Sam Rutherford konnte daran teilnehmen und zeigt sich ganz und gar nicht begeistert. Die Spielmechanik an sich sei gut umgesetzt, erklärt er. Nintendo habe einige kluge Anpassungen vorgenommen – etwas das Verschieben aufsteigender Pillen –, die neue Lösungswege schaffen.

Nintendo Mobile

Zahlen zum Weiterspielen

Aber er schreibt auch, dass das Game insgesamt ein stetiger Kampf gegen das Free2Play-Geschäftsmodell sei. Schon wenn man zum ersten Mal an einem Level scheitert, wartet das Spiel mit dem Hinweis auf, dass man sich das Leben doch mit einem Power-up erleichtern könnte. Das gibt es freilich nur im Gegenzug gegen Goldmünzen, die neben Herzen und Diamanten eine der drei Ingame-Währungen sind.

Die Münzen sind die hauptsächliche Belohnung für Erfolge im Spiel. Sie dienen zur Freischaltung besagter Power-ups, aber auch neuer Spielcharaktere. Beim Spielen selbst verbraucht man Herzen. Gehen diese zur Neige, muss man warten, bis sie sich langsam wieder aufladen. Es sei denn, man kauft sich wieder welche. Man erhält sie allerdings nur im Gegenzug für Diamanten. Und weil man diese vom Game nur sehr spärlich als Belohnung erhält, muss man Echtgeld einwerfen, um weiterspielen zu können.

Hinzu kommt, dass Dr. Mario World "an allen Ecken und Enden" mit Bezahlangeboten zu locken versucht. Da hilft es wenig, dass Nintendo betont, dass man jeden Doktor und Assistenten grundsätzlich gratis freispielen kann.

Pay2Win in "Mario Kart"

Mario Kart Tour, zuletzt ebenfalls in einer Testphase, leidet an der gleichen Krankheit. Auch hier gilt: Das Spielprinzip an sich ist gut umgesetzt, doch die Monetarisierung folgt den schlechtesten Beispielen aus der Branche. Wer mehr als ein paar Rennen am Stück fahren will, muss Premium-Ingame-Währung kaufen.

Es gibt Lootboxen, über deren Inhalt im Vorfeld nichts verraten wird. Und es gibt Ingame-Figuren, die anderen Fahrern überlegen sind. Und da man mittels Premiumwährung mehr Lootboxen kaufen kann, handelt es sich faktisch um einen Pay2Win-Mechanismus.

TheAwesomeMewtwo

Schlechte Vorbilder

Im Mobile Gaming liegt viel Zukunft. In vielen asiatischen Ländern ist das Spielen auf Handys und Tablets bereits ein Massenphänomen, bis hin zu hochdotierten E-Sports-Turnieren mit großem Publikum. Auch in westlichen Ländern, die viel mehr eine Bastion von PCs und Konsolen sind, steigt die Akzeptanz. Daher ist es klug von Nintendo, sich diesen Plattformen zu öffnen.

Es ist aber schade zu sehen, dass ein oft sympathisch wirkender Hersteller mit langer Tradition sich dabei jener Praktiken bedient, die bei vielen anderen Unternehmen auch zu Recht kritisiert werden. Man erinnere sich etwa an den veritablen Shitstorm, den Electronic Arts für seine mobile Umsetzung von Dungeon Keeper kassierte. Geradezu ironisch wirkt es dabei, dass Nintendo erst vor einigen Monaten noch seine Partner für Mobile Games laut "Wall Street Journal" gebeten haben soll, bei Mikrotransaktionen einen Gang zurückzuschalten. Und noch vergangenes Jahr warnte Mario-Erfinder Shigeru Miyamoto Spielehersteller davor, "zu gierig" zu werden.

Follow the Money

Den Schwenk von der Einmalzahlung für alle Inhalte hin zum Worst-Case-Free2Play der Firma alleine vorzuwerfen würde der Situation aber unrecht tun. Wie eingangs erwähnt handelt es sich um ein gewinnorientiertes Unternehmen, das sein Geschäft stetig wachsen lassen will. Wenngleich Super Mario Run auf riesiges Interesse gestoßen ist und 200 Millionen Mal heruntergeladen wurde, blieb der Umsatz deutlich unter den Erwartungen.

Dragalia Lost soll trotz deutlich niedrigerer Downloadzahlen mit 75 Millionen Dollar bereits mehr erwirtschaftet haben. Fire Emblem: Heroes soll seit dem Launch im Februar 2017 gar mehr als 500 Millionen Dollar eingebracht haben. Wirtschaftlich gesehen spricht die Faktenlage also ganz klar für zahlreiche Mikrotransaktionen und gegen den einmaligen "Vollpreis".

Worte und Taten

Es ist also auch eine Entscheidung, die Spieler mit ihrem Geld getroffen haben. Nun kann man freilich argumentieren, dass die Bezahlschranke mit zehn Euro für Mario Run für ein Mobile Game sehr hoch angesetzt war. Dem lässt sich aber entgegenhalten, dass sich in Summe bei Games mit Mikrotransaktionen deutlich mehr ausgeben lässt. Letztlich zählt für ein Unternehmen das Endergebnis in der Bilanz.

Freilich: Basierend auf dem Feedback aus den Testläufen besteht natürlich noch eine Chance, dass Dr. Mario World und Mario Kart Tour hinsichtlich ihrer Free2Play-Mechanismen entschärft werden. Dennoch ist die Entwicklung exemplarisch für die Games-Branche und Mobile Games im Speziellen. Zwar wird immer wieder lautstark gefordert, lieber auf Einmalzahlungen statt Mikrotransaktionen zu setzen, doch den Worten müssen auch Taten folgen, wenn sich doch wieder ein Hersteller dazu entschließt, ein gutes Game zum fairen Einmalpreis anzubieten. Sonst wird man sich daran gewöhnen müssen, dass Firmen wie Nintendo hier auf der "dunklen Seite" stehen. (Georg Pichler. 9.7.2019)