"Solange jeder Einzelne nicht selbst dafür sorgt, dass die Welt zu dem friedlichen Ort wird, bleibt die Erde ein finsterer, kalter Planet": Kamasi Washington

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Als zurzeit vom Hype geküsster Jazzmusiker vermittelt Kamasi Washington rein äußerlich den Eindruck einer außergewöhnlichen Erscheinung, die von irdischen Gesetzen unbehelligt bleibt. Auf dem Cover seiner CD Heaven & Earth schwebt er kunstvoll mit Saxofon auf Gewässern wie ein elegant landender Außerirdischer, der sich als afrikanischer Medizinmann kleidet.

Der 1981 in Los Angeles Geborene konstruiert um sich herum eine Wirklichkeit, die also smartes Marketingtalent zeigt. Dabei ist Washington auch um philosophische Wortspenden nicht verlegen, die ihn als Konstruktivisten outen: "Die Wirklichkeit, die wir erfahren, ist eine Kreation unseres Bewusstseins. Aber unser Bewusstsein kreiert auch diese Wirklichkeit auf Basis gleicher Erfahrungen" sind jedoch Merksätze, die in der Wiener Arena leider nicht halfen.

Es begab sich, dass Washingtons Vater Rickey und ein Security-Mitarbeiter beim Publikumseingang aneinandergerieten. Papa Washington wurde nicht erkannt. Er konnte sich allerdings auch nicht ausweisen. Dicke Luft, Rempelei. Schließlich beschloss Sohn Kamasi, nur eine Komposition zu spielen und das Konzert sodann abzubrechen.

Der Konzertabbruch im Video – deutsche Untertitel können über die Videoplayer-Einstellungen hinzugefügt werden
DER STANDARD

Individualität und Zeit

Schon rein musikalisch war das schade. Washingtons Kunst, in der John Coltranes hymnische Stilistik gerne großorchestrale Auferstehung feiert, entfaltet ihren eklektischen Charme erst im Epischen. Sie braucht Zeit, um zu jenem Energiefeld zu mutieren, in das hinein Washington zu ekstatischen Monologen ansetzt. In zwanzig Minuten geht das gar nicht.

Washington hat zwar auch einen jazzfernen Hintergrund: Er hörte Gangsta-Rap und war mit Snoop Dogg auf Tournee, auch erlangte er Bekanntheit zunächst durch die Zusammenarbeit mit Rapper Kendrick Lamar. Er selbst nennt aber Jazzschlagzeuger Art Blakey als Einfluss und ist hörbar gelehrig in der Jazzhistorie verwurzelt, die zeigt: Individualität entfaltet sich am besten, so ihr reichlich Zeit gegeben wird.

Der Mann, der vom Modegeist geherzt wird, hat sich diese Zeit in der Arena nicht genommen. Verständlich, aber auch schade. Die Arena hat sich jedenfalls für den Vorfall entschuldigt. Und vielleicht nimmt Washington folgende Sätze ernst und kommt wieder: "Solange jeder Einzelne nicht selbst dafür sorgt, dass die Welt zu dem friedlichen Ort wird, bleibt die Erde ein finsterer, kalter Planet." Die Worte stammen von ihm selbst. (Ljubiša Tošić, 11.7.2019)