Foto: Begedia

Die Rockabilly-Ära anno 1957 ist ein ... nicht gerade abgenutztes Thema für eine Science-Fiction-Anthologie, ich muss schon sagen. Doch genau das liefert uns der Begedia-Verlag hier in Form von elf Kurzgeschichten deutscher Autoren. Motorräder und Lederjacken, American Diners und Halbstarken-Gangs sowie natürlich jede Menge zeitgenössischer Musik sind in der bunt illustrierten Anthologie "Elvis hat das Gebäude verlassen" allgegenwärtig.

Doch erinnert sie uns – mitunter auf grausige Weise – auch daran, dass die 50er genauso das Jahrzehnt des Kalten Kriegs, des Atombunkerbaus und der Duck-and-Cover-Parolen waren. Das verbindet sich dann mit der Fifties-Nostalgie zu Bildern wie bei Anja Bagus: Die Jungs trugen ihre Jeans und Lederjacken über blendendweißen T-Shirts. Tollen waren über kahle Stellen gekämmt, und manch ein Zahnstocher wurde von fast zahnlosen Gaumen gehalten.

Highlights

Der beste Beitrag kommt vom frischgebackenen Kurd-Laßwitz-Preisträger Thorsten Küper und wird für den Begriff Think Tank eine ganz neue Bedeutung finden. Die Geschichte mit dem Titel "Belichtungszeit" lebt vom Suspense-Faktor: Im Las Vegas der 50er feiert man ausgelassene Atombombenparties mit Blick auf die Testexplosionen draußen in der Wüste. Student Kenneth ist extra angereist, um das mitzuerleben, und lässt sich vom eigentlichen Protagonisten der Erzählung, Dale, zu einem angeblich besseren Ausblickspunkt in die Wüste locken. Man weiß aus Dales Innenschau, dass er ein böses Spiel treibt – aber welches?

Ebenfalls gelungen – und ebenfalls von atemloser Spannung lebend – ist die grimmige Erzählung "Rattenfänger 2.0" von Peter Hohmann. "Grimmig" übrigens im doppelten Sinne, denn angesiedelt ist die Geschichte in der Rattenfänger-Stadt Hameln. Die wurde in Hohmanns Version der Welt von einer amerikanischen Atombombe zerstört. Dem Ich-Erzähler – einem Ermittler mit SS-Vergangenheit – wird jedoch zugetragen, dass diese Explosion möglicherweise nur dazu gedient hat, eine großangelegte Verschwörung zu vertuschen. Guter Schluss, nebenbei bemerkt!

Wettrennen -> Crash

James Dean war offenbar eine recht naheliegende Assoziation, gleich drei Autoren lassen ihre Geschichten um Autowettrennen kreisen. Leider kann keine davon überzeugen. Am besten ist noch "Ready Set Go!" von Anja Bagus, in dem das Leben von der verstrahlten Oberfläche ins unterirdische Sheltertown verlegt wurde. Bagus findet einige hübsch schräge Bilder (siehe oben), der handlungstechnische Hintergrund für die von ihr geschilderten Straßenrennen wirkt aber unausgegoren.

Christian Vogt fährt in "Daredevils" ebenfalls Diner- und Jugendgang-Kulissen auf, verlagert dann aber alles etwas überraschend in den Weltraum. Da fügen sich die Einzelteile nicht wirklich zu einem organischen Ganzen zusammen, ebensowenig wie die verwendete Slang-Mixtur. Kay Noa schließlich treibt es am weitesten und übernimmt für ihr "Hasenflug" kurzerhand das Personal von "Denn sie wissen nicht, was sie tun". Zieht man das einzige vorhandene Phantastik-Element (die vage beschriebenen Cyanmoleküle, die als neuer Wundertreibstoff fungieren) ab, bleibt von der Erzählung also nichts Eigenes mehr übrig.

Christian Künne zeichnet in "Rebecca" ein Frankfurt, das schon mit Mitteln wie Rohrpost, Lochkarten & Co den Menschen so obsolet macht wie die Digitalisierung unserer Tage. Allerdings wirkt die Erzählung wie ein Auszug aus einem Roman und entsprechend fragmentarisch. Einen ambivalenten Eindruck hinterlässt auch Armin Rößlers "Random Gunn und der Griff nach der Weltherrschaft", in dem eine klassische Pulp-Detektivgeschichte auf einen Zeitreise-Plot umgelegt wird. Rößler liegt schreiberisch klar über dem Schnitt, sein Umgang mit Zeitparadoxa und alternativen Geschichtsverläufen erscheint mir in sich aber nicht stimmig.

Strahlende Landschaften, verblassende Menschlichkeit

Die restlichen Geschichten sind dann wieder etwas besser – allerdings keineswegs optimistischer. Ernüchternd etwa Andreas Flögels "Phasenverschiebung", in dem ein Teenager seine Superkraft entdeckt, flugs für den Geheimdienst zwangsrekrutiert wird und damit in einen Sumpf gerät. Deprimierend auch die Welt des Spitzensports, die André Geist in "Das große Rennen" zeichnet: Nicht nur der Kalte Krieg belastet hier die Olympischen Spiele, sondern auch der unfaire Wettbewerb zwischen Strahlenmutanten und künstlich augmentierten Menschen. Ein typischer Fall für Geschichten übrigens, in denen die Schlusspointe den Gesamteindruck aufwertet.

Durch seine Wahl von Plot (Eliminierung entlaufener Cyborgs) und Schauplatz (ein Diner am Rand der verstrahlten Wüste) führt Mario Steinmetz in "Saturday Night Firefight" nicht nur "Mad Max" und "Blade Runner" zusammen. Das Ganze mündet dann auch noch in einen irren Tarantino-Shootout. Und positiv zu Buche schlägt auch "Phönix am Zonenrand" von Tobias Fromme, für mich der Bronzemedaillengewinner in dieser Anthologie. Fromme hält eine prekäre Balance zwischen Zynismus und Menschlichkeit, wenn er beschreibt, wie US-Colonel Aaron Marks plant, deutsche Städte mit Nuklearwaffen zu bombardieren, um den Vormarsch der Sowjets zu stoppen – ein ganz spezielles kleines Stückchen Deutschland aber verschonen will. Den Twist, in den die Geschichte mündet, hätt's nicht gebraucht. Doch zum Glück entwertet er Marks' Dilemma nicht wirklich.

Gesamtbewertung: OK. Einige Geschichten (Küper, Hohmann, Fromme) werden in Erinnerung bleiben. Mit der sprachlichen Verheißungskraft, die die Anthologie auf der Buchrückseite zeigt ("Rockabilly und Petticoats, Jukebox und Milchshakes, während der Kalte Krieg als greller Schädel zum Himmel hochwächst"), kann sie in ihrem Inneren aber nicht mithalten.