Die polnische Gewerkschaft "Solidarność" warb in den Tagen der Ausrufung des Kriegsrechts auch in Österreich um Wertschätzung – und wurde prompt mit köstlichen ATW-Zigaretten gedopt.

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Man kann es unseren Parteien nicht hoch genug anrechnen, dass sie sich – die einen mehr, die anderen weniger – auf die Einhaltung von Parteispendenobergrenzen verständigt haben. In den fortschrittlichen Jahren der Ära Kreisky wäre es keinem Staatsbürger im Traum eingefallen, seine jeweilige Lieblingspartei mit den eigenen Ersparnissen zu mästen.

Meine Wahrnehmung als argloser Babyboomer war die einer glücklichen Feudalzeit. Wollte man beim Bürgermeister der Heimatgemeinde etwas Nützliches bewirken, fand man sich mit einer Flasche schwefelhaltigen Weins in seinem Büro ein. Ein Lächeln umspielte dann die blaustichigen Züge des verdienten Mannes. Für größer dimensionierte Gunsterweise musste man sich an den Arzt des Ortes wenden. Der versprach seinerseits verschmitzt, für die Erteilung der gewünschten Baugenehmigung mit dem regionalen Nationalratsabgeordneten Tuchfühlung aufzunehmen.

Aus Liebe zum Iglo-Gemüse

Die Herrschaften waren einander von Herzen zugetan, pflegten sie doch gemeinsam das regionale Niederwild zu dezimieren. Hunderttausende Rebhühner ließen ihr Leben, während viel Gutes für die Region beschlossen wurde. Am Land schien jede Handlung gottgefällig, so lange sie nicht "den Roten" (den Sozialdemokraten) in die Hände spielte. Mit verschärftem Eifer galt es überdies, die "Russen" vom Einmarsch im Marchfeld abzuhalten, wo ihre Panzer unweigerlich das gute Iglo-Gemüse plattgewalzt hätten.

Mein Verdruss wuchs schlagartig, als in Polen 1981 das Kriegsrecht ausgerufen wurde. Da ich unweit der polnischen Botschaft in Wien wohnte, sah ich unter unserem Fenster zwei Männer mit Pappschildern vor der Brust stehen: "Gerechtigkeit für Solidarność". Es war Dezember, und meine Mutter kochte Gulaschsuppe, die sie den beiden Demonstranten im Kessel auf die Straße brachte.

Leider angelte sie sich ohne zu fragen auch mein Päckchen Zigaretten und händigte es den Aktivisten aus: eine Schachtel A3 ohne Filter. Für mich und meine Lunge brach eine Welt zusammen. Im Nachhinein denke ich, dass sich Polens Söhne lebhaft an ihre niederschlesischen Braunkohlefabriken erinnert haben werden. (Ronald Pohl, 10.7.2019)