Im Gastkommentar erinnert Mobilitätsforscher an die Erfolgsgeschichte des Autos und daran, welche Lehren man daraus für den Flugverkehr ziehen kann.

Es ist ein alter Menschheitstraum: Fliegen! Das Chicagoer Abkommen aus dem Jahre 1944 hat diesen Traum in eine völkerverständigende Formel umgesetzt und den Himmel sozusagen als grenzlosen Verkehrsraum ausgerufen. Entstanden ist eine international einvernehmliche und stabile Verabredung für den freien Luftraum mit einer enormen Wirksamkeit. Fliegen wurde für sehr viele Menschen möglich. Fliegen wurde gleichsam demokratisiert.

Während 1970 noch ein Flug zwischen Wien und New York im Durchschnitt mehr als 4000 Euro kostete, ist dieser Preis mittlerweile auf unter 500 Euro gesunken. Befreit von praktisch allen Steuern und Abgaben, konnte sich zumindest auf der nördlichen Halbkugel das Fliegen fast jeder leisten.

Neuer Lebensstil

Wien-London für 35 Euro, Zürich-Mailand für 18 Euro. Fliegen ist zu einem Massenverkehrsmittel geworden, es ist Teil einer alltäglichen Verkehrspraxis wie das Auto, der Zug oder der Bus. Allerdings sind die Folgen für den Klimawandel bekanntlich gravierend. Im Vergleich zum Zug ist der Treibhausgasausstoß im Flieger rund achtmal höher. Selbst wenn die Summe aller Flüge mit knapp fünf Prozent Anteil an allen Treibhausgasen absolut gesehen noch gering ist, für die persönliche Klimabilanz ist jeder Flug eine Katastrophe.

Die Entwicklung des kommerziellen Flugverkehrs in weiten Teilen der Welt folgt damit dem rasanten Aufstieg des privaten Automobils. Dieses Verkehrsmittel war vor dem Zweiten Weltkrieg auch nur den Schönen und Reichen vorbehalten und wurde dann insbesondere in den USA und in Europa mit hohem Aufwand populär gemacht. Neue Infrastrukturen entstanden, und eine Rechtsordnung wurde erlassen, die immer dem Auto Vorfahrt gewährte und den Kauf und den Unterhalt so günstig machte, dass sich fast jeder zumindest ein Fahrzeug leisten konnte.

Alles erreichbar

Das Ergebnis kann überall besichtigt werden: Wir haben unseren Lebensstil um das Auto herumgebaut und unsere Biografien sozusagen in den Raum hineinverlegt, denn mit dem Auto ist ja alles erreichbar. Entstanden ist eine hohe Abhängigkeit, die jetzt kaum noch zurückzubauen ist. Auf dem Land ist und bleibt das Auto das Maß der Dinge. Das Ergebnis ist erdrückend: Wir haben zu viele Fahrzeuge.

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Weniger fliegen?
REUTERS/Tim Wimborne

Und das Fliegen? Langsam, still und heimlich gewöhnen wir uns zunehmend auch an das Flugzeug. Große Unternehmen organisieren ihre Arbeits- und Kommunikationsstruktur mit dem Flieger, als wäre es der Fahrstuhl im Haus. Die Meetings werden gerne gleich direkt an Flughäfen abgehalten, morgens Wien, nachmittags München und abends Berlin. Die Generation der unter 25-Jährigen kennt bei der Wahl des Reisemittels nur noch das Flugzeug. Es fängt schon in der Schule bei Klassenausflügen an. Die deutsche Bundesregierung leistet sich den Luxus von zwei Hauptstädten. In Bonn arbeiten immer noch etwa genauso viele Angestellte und Beamte, das Führungspersonal jettet täglich hin und her. Mit dem Flugzeug lässt sich das ja alles leicht bewerkstelligen. Es kostet ja praktisch nichts.

Alternative Bahn

Die Welt als globales Dorf ist nicht nur eine Folge des Internets, sondern auch das Resultat eines hochperformanten, internationalen Flugverkehrs. Die Lehren aus der Erfolgsgeschichte des Autos sind ziemlich klar. Wir dürfen das Maß nicht verlieren. Fliegen ist nicht nur ein alter Traum, das Flugzeug hat eine völkerverständigende Wirkung, und deshalb sollten wir es in solchen Mengen genießen, die wir uns im wahrsten Sinne auch leisten können.

Wir haben zwei Möglichkeiten: Man kann hoffen, dass es irgendwann Flugzeugantriebe gibt, die weder Treibhausgase noch Schadstoffe ausstoßen, oder man besinnt sich darauf, dass es für Entfernungen unterhalb 1000 Kilometern tatsächlich ja immer noch Alternativen gibt: die Bahn. Deutschland, Österreich und die Schweiz waren und sind ja zum Teil noch wahre Musterländer des Eisenbahnwesens, hier gibt es fast in jeden Winkel noch eine Schiene. Die Bahn war viele Jahrzehnte überhaupt das Hauptverkehrsmittel, sie funktioniert immer noch und kann mit Autos oder Fahrrad wunderbar kombiniert werden.

Politischer Wille

Es war der politische Wille, dass möglichst alle Menschen Autos besitzen und fahren können, und es war auch der politische Wille, dass möglichst viele Menschen fremde Länder mit dem Flugzeug erkunden können. Jetzt kann es auch der politische Wille sein, dass wir für den Inlandsverkehr keine Flugzeuge mehr nehmen, dass wir die Zahl der internationalen Flugbewegungen pro Kopf und Jahr auf beispielsweise drei Flugpaare begrenzen. Wer mehr will oder braucht, muss andere überreden. Damit hätten wir nicht nur einen "Deckel" auf die Zahl der Flugbewegungen, sondern auch mehr Gerechtigkeit, denn diejenigen, die nicht fliegen, haben mit dem Verzicht einen materiellen Vorteil. (Andreas Knie, 9.7.2019)