Eine Geheimgesellschaft Ihrer Majestät auf musikalischer Expedition: King Crimson ("der karminrote König"), im Hintergrund rechts: der unscheinbare Mister Fripp.

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Wie viele bedeutende Persönlichkeiten vor ihm spricht auch Robert Fripp von sich selbst gelegentlich in der dritten Person. "Robert", lässt er Journalisten dann wissen, "hält, was die Wahrung der Interessen von King Crimson betrifft, die Zügel fest in der Hand." Dabei blickt er verschmitzt in die Runde: ein 73-jähriger südenglischer Herr, der edles Tuch trägt und rein äußerlich einem Bilanzbuchhalter gleicht, der unvermutet ein reiches Erbe angetreten hat.

In Konzerten von King Crimson malträtiert Robert Fripp seine Gitarre, auf einem Hocker sitzend, mit der gleichmäßigen Ruhe eines Sachbearbeiters. Dabei bestehen seine famosen Gitarrenexkursionen häufig genug aus ungewöhnlichen Intervallschichtungen. Fripp kann Lärm schlagen wie kein anderer Meister der Stromgitarre. Man wird ihn jedoch unter keinen Umständen verzückt die Miene verziehen sehen. Auch Vertreter der "Eric Clapton ist Gott!"-Schule sind bei ihm definitiv am falschen Platz.

Als Fripp vor genau fünf Dekaden, in den Sommermonaten des Jahres 1969, gemeinsam mit ein paar Getreuen das King-Crimson-Debütalbum "In the Court of the Crimson King" aufnahm, durfte man wenigstens im Musikland England die Uhren neu stellen.

Viktorianische Parkanlagen

Auf das brutale, durch den Verzerrer gejagte "21st Century Schizoid Man" folgten Beispiele typisch britischer Idyllik. Man schlenderte fortan durch King-Crimson-Songs wie durch viktorianische Parkanlagen. Auf diese warf das Mellotron flauschige Wolkenschatten. Gelegentlich verlor sich das Ensemble in improvisierten Passagen von noch nie gehörter harmonischer Kühnheit und Dichte. Jazzer wie Pianist Keith Tippett beehrten das Unternehmen auf Zeit und hinterließen markante Spuren.

Das Monster "Progressive Rock" war geboren und spie aus vollem Drachenhals Flammen. Und zusammengehalten wurde der Crimson-Laden vom verlässlich schüchtern dreinblickenden Mister Fripp: ein Realkundelehrer im Taumel der von ihm wie besessen gespielten Arpeggios.

Greg Lake sang die mittelalterlichen Vertonungen surrealer Lyrik (von Peter Sinfield). Bald gaben einander die Musiker die Türklinke in die Hand. Fripp blieb die einzige verlässliche Konstante, während nacheinander Meisterwerk um Meisterwerk entstand: "Lizard", "Islands", "Lark's Tongues in Aspic". Bis sich 1975 das damals nur noch dreiköpfige Tier King Crimson zur vermeintlich allerletzten Ruhe niederlegte.

Heute, unzählige Unterbrechungen und Personalverschiebungen später, bilden King Crimson das letzte lärmende Biest aus einem versunkenen Musikzeitalter. Zurzeit besteht das Ensemble aus acht Herren, die in allen möglichen Venues rund um den Globus den immer selben skurrilen Anblick bieten: Sage und schreibe drei Drummer versitzen nebeneinander den Platz vorne, an der Rampe. Die bürgerlich gekleideten Herrschaften ähneln Mitgliedern einer Geheimgesellschaft unter der Regentschaft von King Edward. So wie die scheinbar naiven Covergemälde den Geist eines nicht näher zu bezeichnenden Sadismus atmen.

Wohllaut der Maschine

King Crimsons mitunter kalt anmutende Perfektion scheut keinen Tritonus (die übermäßige Quarte). Zugleich gleicht das gelegentlich Maschinenhafte dieser Musik einer Leugnung der Realität. Sie mutet großbürgerlich an. Sie ist das Zitat einer Zeit, als die Besitzenden vom Leid der von ihnen Ausgebeuteten nichts Näheres wissen mussten – und sich ihrer Privilegien dennoch nicht reinen Herzens erfreuen konnten.

Das lässt die famose King-Crimson-Musik gelegentlich sentimental erscheinen. Kein Vergleich jedoch mit den alten, verschrobenen Genesis-Songs über wucherndes Unkraut und Cricket-Spiele mit abgeschlagenen Menschenköpfen! Heute kaufen sich gestandene "Crim-Heads" eine der altmodischen CD-Kisten, in denen sämtliche Phasen der Band erschöpfend, bis auf das letzte Tonfitzelchen, dokumentiert sind. Das jüngst erschienene Boxset "Heaven and Earth" beschreibt die Werkphase der Jahre 1997 bis 2008. Es umfasst 24 Tonträger und kostet nicht einmal so viel wie ein gebrauchter Kleinlaster.

Aus dem verhuschten Esoteriker und Gurdjieff-Jünger Fripp ist ein gestandener Gutsbesitzer geworden, der heute in glücklicher Ehe mit Ex-Punksängerin Toyah Willcox im Grünen lebt und vor Besuchern seinen voluminösen weißen Hasen streichelt. Gut möglich, dass Fripp dem Meister Lampe zu hohen Feiertagen das Brutalo-Riff von "21st Century Schizoid Man" um die langen Ohren wirft. Und dazu verschmitzt lächelt wie ein gemütvoller Foltermeister. (Ronald Pohl, 10.7.2019)