Inhalte des ballesterer (http://ballesterer.at) #143 (August 2019) – Seit 12. Juli im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk (https://www.kiosk.at/ballesterer)

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ALLES FÜR EUROPA

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"WIR KÖNNEN DIE ENTWICKLUNG BREMSEN"

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EUROPACUPFINALE

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LANGZEITERMITTLUNG

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DAS SPIEL MIT GEFÜHLEN

Ein Anstoß zum Verrat

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UNTER PROFIS

Drittligaaufsteiger Waldhof Mannheim

"ERNSTGENOMMEN HABE ICH NUR DEN BALL"

Lukas Königshofer im Interview

GROUNDHOPPING

Matchberichte aus England, Polen und Vietnam

"Der Verband vertritt den Standpunkt, dass meine Teilnahme aufgrund der Hormonpräparate nicht möglich ist."

Foto: Daniel Shaked/ballesterer

"Transpersonen müssen ganz einfach Fußball spielen können. Alles andere ist inakzeptabel."

Foto: Daniel Shaked/ballesterer

Der 25-jährige Roy Ohana kennt sich mit Kämpfen aus. Vor sechs Jahren war er an Einsätzen des israelischen Militärs beteiligt – unter seinem früheren Namen Shirel, als Frau. Nach der Zeit bei der Armee spielte sie in Fußballteams in Hadera, Netanya und Kiryat Tivon. Vor drei Jahren begann Shirel Ohana eine Geschlechtsumwandlung und änderte ihren Namen. Im Vorjahr war er wieder im Ligabetrieb aktiv, bei einem Frauenteam in Kiryat Yam. Wenig später begann der israelische Fußballverband, seinen Fall zu untersuchen. Ohana wurde mitgeteilt, dass sich andere Vereine beschwert hätten, weil er verbotene Substanzen einnehme. Roy beschloss daraufhin, den Kampf für Transgenderpersonen im Fußball aufzunehmen. Mit dem ballesterer sprach er über die lange Suche nach Antworten.

ballesterer: Sie durchlaufen gerade einen Prozess, den man umgangssprachlich Geschlechtsumwandlung nennt. Was bedeutet das für Sie?

Roy Ohana: Ich würde es nicht als Geschlechtsumwandlung bezeichnen, sondern als Angleichung. Ich passe mein biologisches Geschlecht meiner Geschlechtsidentität an, die männlich ist. Das bedeutet, dass ich für den Rest meines Lebens regelmäßig Hormone nehmen muss und hoffentlich ein chirurgischer Eingriff folgt. Als Kind habe ich meine Situation als Fluch empfunden – ich habe mich im Spiegel angeschaut und gewusst, dass mit mir etwas nicht stimmt. Das war äußerst belastend.

ballesterer: Können Sie das genauer beschreiben?

Ohana: Ich weiß, dass ich den gesellschaftlichen Erwartungen nicht entspreche. Das ist ein ständiger Kampf. Ich bin nie weiblich genug gewesen für eine Frau. Ich weiß, dass ich ein Mann bin – und ich möchte wie einer behandelt werden. Ich kämpfe darum, ich zu sein. Und will akzeptiert werden.

ballesterer: Sie sind der erste Transgender, der im israelischen Verband Fußball spielen will. Warum ist Ihnen das so wichtig?

Ohana: Ich spiele Fußball, seit ich denken kann – ohne den Sport könnte ich nicht leben. Zunächst habe ich befürchtet, dass ich aufgrund der Geschlechtsanpassung mit dem Fußball aufhören muss. Dann habe ich aber recherchiert und beschlossen, den Kampf aufzunehmen. Ich habe den Trainer Yossi Buhbut kontaktiert und ihm meine Situation erklärt. Dann haben wir angefangen, Verbandsformulare auszufüllen.

ballesterer: Was haben Sie dort eingetragen?

Ohana: Ich habe im Spielerpass eine weibliche Identität angegeben, das schien uns der einfachere Start. Dann habe ich in der Frauenliga gespielt, auch weil sie für mich eine vertraute Umgebung war. Doch bald hat es Fragen wegen meines Aussehens gegeben. Die anderen Vereine haben gegen meine Teilnahme protestiert. Sie haben sogar eine Petition gestartet, um mich aus dem Spielbetrieb auszuschließen.

ballesterer: Seit Ihrem Umzug von Haifa nach Tel Aviv spielen Sie nicht mehr. Warum?

Ohana: Ich habe schlicht kein Team gefunden, das mich aufnehmen würde. Der Verband vertritt den Standpunkt, dass meine Teilnahme aufgrund der Hormonpräparate nicht möglich ist. Ich würde bei jedem Anti-Doping-Test durchfallen, ich muss diese Hormone aber nehmen, um meine Geschlechtsanpassung vorzunehmen.

ballesterer: Sind die Präparate nicht tatsächlich ein Problem?

Ohana: Viele denken, dass mich die Hormone in einen Cristiano Ronaldo verwandeln, aber so ist es nicht. Ich nehme dieselben Präparate wie jeder andere Transgender auch. Das sind keine verbotenen Substanzen, ich bin bereit, jedes dieser Medikamente offenzulegen. Ich habe den Verband kontaktiert und erkläre gerne jedem Verein im ganzen Land meine Situation.

ballesterer: Welche Reaktionen haben Sie erlebt?

Ohana: Nicht gerade aufmunternde. Einmal hat mir ein Trainer der gegnerischen Mannschaft entgegengeschrien, dass er sich nun auch umziehen und spielen werde. Ich versuche, auf solche Provokationen nicht zu reagieren. Der Fußball muss wohl erst lernen, mit einer Transperson umzugehen. Die Transgenderbewegung ist in Israel erst seit wenigen Jahren sichtbar, es ist ein langer Kampf. Aber es wird Zeit, ihn auch im Fußball anzugehen.

ballesterer: Wenn die Hormone Ihnen gegenüber Frauen Vorteile verschaffen, könnten Sie ja bei den Männern spielen. Wäre das eine Lösung?

Ohana: Das wäre mein Wunsch, aber derzeit liegt alles in einem Graubereich. Es gibt keine Regelung dafür, in welcher Liga Transpersonen spielen können. Deswegen verlange ich vom Verband Antworten. Wenn sie mir sagen, dass ich nur bei den Frauen spielen kann, habe ich damit auch kein Problem – ich will einfach nur spielen.

ballesterer: Was hat der Verband bisher gesagt?

Ohana: Sie versuchen, mir aus dem Weg zu gehen. Es ist so, als würde ich gegen eine Wand laufen. Sie reden mich als Frau und mit meinem früheren Namen an. Und sie kommunizieren fast nicht mit mir direkt. Immerhin habe ich einmal einen Sprecher und einen Arzt des Verbands getroffen, aber sie haben keine Ahnung, was zu tun wäre. Ich habe mir von dem Verband erhofft, dass er eine Antwort auf eine fundamentale Frage findet – außer einer weiteren Stigmatisierung fällt ihm aber nicht viel ein.

ballesterer: Haben Sie auch schon international Verbände wie die Uefa und die Fifa kontaktiert?

Ohana: Ja. Auch sie müssen realisieren, dass ich keine verbotenen Substanzen nehme. Hoffentlich setzen sie sich mit dem Thema auseinander. Fußball ist der beliebteste Sport auf der Welt – auch unter Transpersonen. Es kann nicht in ihrem Interesse sein, dass eine ganze Gruppe ausgeschlossen wird. Ich strebe jetzt auch eine Klage gegen den israelischen Verband und die Uefa an. Ich weiß wirklich nicht, was ich sonst noch tun könnte.

ballesterer: Kennen Sie noch andere Transgenderpersonen, die Fußball spielen wollen, aber nicht dürfen?

Ohana: Sicher, da gibt es einige. Aber leider hat kaum jemand die Kraft, so eine Auseinandersetzung durchzustehen. Ich hoffe, dass mein Fall dazu beiträgt, diese Mauer zu durchbrechen. Wir schreiben immerhin das Jahr 2019.

ballesterer: Der Konflikt könnte auch damit enden, dass Sie gar nicht mehr am Ligabetrieb teilnehmen können.

Ohana: Das ist mir bewusst, aber daran will ich gar nicht denken. Transpersonen müssen ganz einfach Fußball spielen können. Alles andere ist inakzeptabel. Ich bin nicht anders als andere Fußballspieler. Für mich gibt es nichts Schöneres, als den Rasen zu riechen und den Ball ins Netz zu schießen. Es ist absurd, dass das, was ich zwischen den Beinen habe oder nicht habe, daran etwas ändern soll.

ballesterer: Wenn Sie wegen der Hormone nicht bei den Frauen und wegen Ihres Körpers nicht bei den Männern spielen dürfen, gibt es noch eine Alternative?

Ohana: Ich kann mir schon vorstellen, eine eigene Liga für Transgender zu gründen. Am liebsten würde ich aber bei den Männern spielen. Auch damit die Leute verstehen, dass wir nicht irgendwelche Freaks sind. Ich bin kein Alien, ich bin nicht vom Himmel gefallen, ich will einfach nur Fußball spielen – und habe ein Recht dazu. (Itay Goder, 12.7.2019)