Trauergesänge stehen am Anfang von Mira Lu Kovacs' musikalischem Werden. Mittlerweile hat sie bei Schmieds Puls, 5K HD und My Ugly Clementine das Sagen oder zumindest die Finger an der Gitarre

Foto: Ina Aydogan

Beginnen Sie am Anfang" ist vielleicht bei der Psychotherapie ein zulässiger Gesprächsbeginn – bei Interviews wirkt er etwas unspezifisch und unvorbereitet. Mira Lu Kovacs kann man als Person, deren unterschiedliche musikalische Projekte vom Erzählen sehr persönlicher Geschichten leben, so etwas aber schon zumuten. Sie beginnt also ganz am Anfang: Einen Monat lang hatte Baby Kovacs, Jahrgang 1988, keinen Vornamen. Die Mama konnte sich nicht entscheiden, bis sie in einem Buch doch noch fündig wurde: Mira Luise Belle. Das klang gar prätentiös, also kürzte sie auf Mira Lu – ausgefallen durfte es schon sein.

Mira Lu Kovacs stammt aber, anders als man vermuten könnte, nicht aus einer Künstlerfamilie, auch nicht aus einer musikalischen. Das sollte im strengen Musikgymnasium, wo die Kenntnis des klassisches Repertoires und eiserne Disziplin vorausgesetzt wurden, noch zum Problem werden.

"Verzupfen" um Zupfen

Nicht dass Kovacs undiszipliniert gewesen wäre, immerhin hatte sie da schon einige Jahre Gitarrenunterricht hinter sich, aber mit Druck ließ sich bei ihr nicht viel machen. Zu Hause war es auch nicht oberste Priorität gewesen, kleine Mozarts heranzuziehen. Das Klavierspiel der Schwester war überhaupt zu laut, und auch Mira Lu sollte sich zum Gitarrespielen eher "verzupfen", wie sie schmunzelnd erzählt. Die Mama, die drei Kinder größtenteils allein aufzog, brauchte auch mal Ruhe.

Schmieds Puls

"Ich glaube, ich war ein recht misstrauisches Kind. Ich hatte schnell das Gefühl, dass mir Leute nicht zuhören, also habe ich angefangen, mir selbst Geschichten zu erzählen." Aus den Geschichten wurden Trauergesänge für die Katzen, deren Leben die B19 forderte. So war die erste Funktion, die Musik im Leben von Kovacs erfüllte, die des Trosts. "Das zieht sich eigentlich durch bis heute."

Spätestens mit zwölf Jahren war für Kovacs klar, dass sie Sängerin werden möchte, werden muss. Im leidigen Musikgymnasium quälte sie sich zur Matura. Später dann Jazzgesang auf der Anton-Bruckner-Privatuniversität in Linz. Das Studium brach sie nach zwei Jahren ab. "Es ist eine wahnsinnig tolle Schule, ich finde es aber einfach nicht notwendig, Musik oder Kunst zu institutionalisieren. Eine eigene Sprache finden kann man nur alleine." Kovacs wollte immer machen, schaffen – und am besten viel. Gleichzeitig wirkt sie nicht wie eine Person, die überschnell handelt. Sie zweifelt und tüftelt, versucht möglichst kompromisslos zu arbeiten – allein und auch in ihren vielen kollaborativen Projekten. Dabei kämpft sie nicht so sehr um die Gunst von anderen als um ihre eigene. Ist ein Projekt abgeschlossen, geht sie sofort zum nächsten weiter.

Schmieds Puls

Als Kovacs 2012 ihr "Baby" auf die Welt brachte, tat sie sich bei der Namensfindung leichter als ihre Mutter. Ihr aus dem Ungarischen kommende Nachname gab den Ausschlag: Kovács bedeutet "Schmied", Schmieds Puls war geboren. 2013 erschien das Debüt Play Dead, jenes Schmieds-Puls-Album, auf das sie bis heute am stolzesten ist. Zwei weitere Alben sollten folgen, mit der Zeit wurde der anfänglich fragil wirkende Singer-Songwriter-Pop elektrischer, wuchtiger und bestimmter.

5K HD Music

Schmieds Puls soll immer freier werden, alles sein können. Dazu gehören auch Trennungen. Statt Walter Singer und Christian Grobauer interpretieren seit Anfang des Jahres Kathrin Kolleritsch und Beate Wiesinger Kovacs' Lieder und bringen frischen Wind in das Projekt. "Ich lerne viel von den neuen Musikerinnen, und der Umgang miteinander könnte nicht wertschätzender sein, aber es ist mein Projekt, und da habe ich das letzte Wort."

Avant-Pop und Barockdudelei

Bei ihrem anderen Projekt, der hochgelobten Avant-Pop-"Supergroup" 5K HD, ist Kovacs nicht die alleinige Chefin. Bei My Ugly Clementine, einem jungen Indie-Rock-Bandprojekt der Leyya-Sängerin und Produzentin Sophie Lindinger, steht sie gerne als Gitarristin in der zweiten Reihe.

My Ugly Clementine

Und auch sonst ist Kovacs gerade sehr präsent – aktuell als Co-Kuratorin einer Wiener Institution: Zum Zehnerjubiläum des Popfests ist sie zusammen mit Yasmin Hafedh aka Yasmo für das Programm verantwortlich. Diese Woche wurde bekannt, dass sie mit Manu Mayr (auch Teil von 5K HD) einen Wettbewerb für die Gestaltung des Corporate Sound der Belvedere-Museumsfamilie gewonnen hat. "Barock dudeln", wie Kovacs scherzhaft sagt, kann man sie dort nun zum Beispiel in der Telefonwarteschleife hören – wenn halt gerade niemand abhebt. (Amira Ben Saoud, 11.7.2019)